Gerhild Zeitner geht jeden Tag durch die Justizvollzugsanstalt in Nürnberg. Sie ist als Seelsorgerin für die Gefangenen da, hört ihnen zu, urteilt nicht. "Etwa ein Drittel derjenigen, die mich ansprechen, sind Muslime."

Die evangelische Gefängnisseelsorgerin ist in Nürnberg unter anderem für die Untersuchungshäftlinge zuständig. Sie kümmert sich um die christlichen Insassen genauso wie um die Muslime, denn die haben in Nürnberg keinen hauptamtlichen Ansprechpartner.

"Es gibt deutlich weniger muslimische Seelsorger als christliche oder jüdische. Die Versorgung ist längst nicht flächendeckend, auch wenn das angestrebt wird", stellt Jörn Thielmann fest. Er ist Geschäftsführer des Erlanger Zentrums für Islam und Recht, das eine breit angelegte Studie zum Islam in Bayern durchgeführt hat.

"Das liegt daran, dass in Bayern wie andernorts im Prinzip keine muslimische Organisation als Körperschaft öffentlichen Rechts anerkannt ist. Dadurch gibt es keinen klaren Kooperationspartner."

Ein Verein für die Seelsorge

Die meisten der Seelsorgerinnen und Seelsorger in Bayern kommen von Ditib, also dem deutschen Ableger der türkischen Religionsbehörde. Eine engere Zusammenarbeit wäre keine Lösung für alle muslimischen Häftlinge, weil Ditib nur die türkischen Muslime vertritt.

Da ohne festen Kooperationspartner die Finanzierungsfrage schwer zu klären ist, kümmern sich die meisten muslimischen Seelsorger nur ehrenamtlich um die Gefangenen - neben vielen anderen Aufgaben.

Oft fehlt auch eine gezielte Ausbildung für die seelsorgerliche Betreuung von Menschen in Krisensituationen. Der Handlungsbedarf ist für Thielmann klar: "Ich denke, für die Gesamtgesellschaft und die praktische Arbeit im Justizvollzug wäre es gut, wenn es zu einer geregelten, flächendeckenden Versorgung käme." Solange es keine muslimischen Organisationen als anerkannte Körperschaften gebe, könne man beispielsweise einen eingetragenen Verein einrichten, der sich speziell um Seelsorge kümmert, schlägt er vor.

In Niedersachsen wurde dieses Jahr der Grundstein für eine solche Zusammenarbeit gelegt. Das Justizministerium, die Islamische Theologie der Universität Osnabrück und die Schura, Landesverband der Muslime in Niedersachsen, haben einen gemeinsamen Ausbildungskurs für muslimische Seelsorger entwickelt.

Die Vorteile der hauptamtlichen Seelsorge

Die Theologin Sümeyra Yavas ist eine der Teilnehmerinnen und wird zum Ende des Jahres nach mehreren Blockseminaren und praktischer Arbeit im Frauenvollzug hauptamtliche Gefängnisseelsorgerin sein. "Wir lernen, was die Rolle einer seelsorgenden Person ist. Wir hatten Seminare zu Wahrnehmung und Körpersprache, Gesprächsführung und auch zum Thema Scham und Schuld im Islam."

Durch die Ausbildung, die in Inhalt und Gesamtlänge dem Umfang eines christlichen Seelsorgekurses entspricht, kann Yavas professioneller arbeiten als ihre ehrenamtlichen Kolleginnen und Kollegen.

"In der JVA erwartet einen quasi jeden Tag etwas anderes. Die Ausbildung trägt dazu bei, dass man viel besser reflektieren kann und fundiertes theoretisches Wissen hat. Dadurch fühle ich mich sicherer." Im Anschluss an das Pilotprojekt sollen in Niedersachsen mehrere Stellen für hauptamtliche muslimische Gefängnisseelsorger geschaffen werden.

Unterstützung durch einen Imam

Die muslimischen Gefangenen in Nürnberg haben zwar zurzeit keinen Zugang zu einem hauptamtlichen Seelsorger, dennoch sind sie nicht ganz ohne religiöse Betreuung. Sie bekommen Besuch vom Verein Medina, dessen Ehrenamtliche Gruppengespräche und gemeinsame Gebete anbieten. Alle 14 Tage kommt ein Imam vorbei. "Jemanden zu haben, der immer da ist und auch die Möglichkeit und den Schlüssel hat, um sich die Leute zu Vier-Augen-Gesprächen zu holen, das wäre toll", sagt die evangelische Seelsorgerin Gerhild Zeitner.

Denn der Imam gehört nicht zum Gefängnispersonal. Er hat keinen eigenen Schlüssel und muss von den Beamten durch die Haftanstalt begleitet werden. Gerhild Zeitner ist als angestellte Seelsorgerin dagegen jeden Tag da, kann sich frei bewegen, bei den Gefangenen vorbeischauen und angesprochen werden. "Ich wäre froh, wenn ich da einen muslimischen Kollegen oder eine Kollegin hätte und auch Arbeit abgeben könnte."

Dass das niedersächsische Konzept in Bayern Schule macht, kann sich Forscher Thielmann allerdings nicht vorstellen, "weil die bayerische Staatsregierung bislang keinen Vertrag mit muslimischen Organisationen möchte". Er schließe "Bewegung in diesem Bereich" zwar nicht aus, "aber eine institutionelle, dauerhafte Kooperation sehe ich vorerst nicht". So werden sich in Bayern auf absehbare Zeit die christlichen Seelsorger auch weiterhin um die muslimischen Gefangenen mitkümmern.