Seit zehn Jahren kämpft die Münchner "Allianz für den freien Sonntag" gegen die Zunahme verkaufsoffener Sonntage. Das Bündnis aus Kirchen und Gewerkschaften hat Erfolg: Seine Klage gegen einen Sonntagsmarkt in Eching führte im November 2015 zu einem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, das bundesweit die Regeln für Sonntagsöffnungen verschärft hat. Doch der Einzelhandel lässt nicht locker. Ein Gespräch mit Philip Büttner, Referent beim Kirchlichen Dienst in der Arbeitswelt , über die Karstadt-Kampagne "Selbstbestimmter Sonntag", die eine völlige Öffnung des Sonntagsschutzes fordert.


Laut Umfragen lehnen 73 Prozent der Bevölkerung verkaufsoffene Sonntage ab. Trotzdem verbuchen Online-Händler und Outlet-Center in Grenznähe am Sonntag die höchsten Umsätze. Woher kommt diese Diskrepanz?

Philip Büttner: Was die Umsätze im Online-Bereich betrifft, gibt es auch andere Studien, die angeben, dass der Samstag der verkaufsstärkste Tag im Internet ist - wie beim Einzelhandel vor Ort auch. Außerdem arbeitet im Warenlager von Amazon am Sonntag niemand, auch wenn Kunden sonntags ihre Bestellungen aufgeben - das würde sich ändern, wenn der Sonntag ein Arbeitstag wäre. Mit Blick auf die Outlet-Center im Grenzbereich meine ich: Wir können nicht unser Grundgesetz in Frage stellen, nur weil Menschen an der deutsch-niederländischen Grenze sonntags einkaufen gehen. Deutschland steht für sich. Es sollte seine Gesetzgebung nicht von Regelungen der Nachbarländer bestimmen lassen.


Der Sonntag ist schon jetzt Arbeitstag für rund elf Millionen Menschen, die im Gesundheitswesen, bei den Einsatzkräften, in der Gastronomie oder in Fabriken arbeiten. Warum wäre es ein Dammbruch, wenn der Sonntag für den Einzelhandel geöffnet würde?

Philip Büttner: Es war immer klar, dass die Grundversorgung und Sicherheit der Bevölkerung auch am Sonntag gewährleistet sein muss. Auch besondere Tätigkeiten wie die des Pfarrers oder des Musikers, die dem Sonntag seinen besonderen Charakter geben, müssen möglich sein - Einkaufen gehört nicht dazu. Es fällt auf, dass Sonntagsarbeit früher etwa 20 Prozent der Arbeitnehmer betraf. Heute sind es schon fast 30 Prozent. Sonntagsarbeit hat branchenübergreifend zugenommen, auch in Arbeitsbereichen wie dem produzierenden Gewerbe, wo das schon grenzwertig ist.  Wenn nun auch noch die rund drei Millionen Beschäftigten des Einzelhandels sonntags im Geschäft stehen, verändert das den Charakter des Sonntags und hat Folgen für sehr viele Familie.


Die Wortführer der Kampagne "Selbstbestimmter Sonntag" versprechen, dass Sonntagsarbeit freiwillig bleibt und durch Zulagen vergolten wird...

Philip Büttner: Das glaube ich nicht. Ich kenne mittlerweile wirklich viele Verkäufer, und diejenigen, die Familie haben, haben keine Lust auf Sonntagsarbeit. Aber der Beruf ist eben kein Hobby, die Menschen sind angewiesen auf ihren Arbeitsplatz. Wenn der Arbeitgeber Sonntagsarbeit erwartet, ist es schwer, sich dem auf Dauer zu entziehen, ohne Nachteile zu haben. Die versprochenen Zulagen werden schon jetzt nicht überall gezahlt. Je normaler Sonntagsarbeit wird, desto weniger Zulagen wird es dafür geben.


Welche neuen Regelungen gibt es bundesweit beim Sonntagsschutz?

Philip Büttner: In Nordrhein-Westfalen wurde von der schwarz-gelben Landesregierung gerade ein sogenanntes "Entfesselungspaket" beschlossen. Künftig kann der Einzelhandel dort an acht statt an vier Sonntagen öffnen, maximal möglich sind 16 Sonntage im Jahr. Was wir für gefährlich halten: Die Begründung wird beliebig. Belebung der Innenstädte, Konkurrenzfähigkeit der Geschäfte - das alles reicht künftig als Argument aus. Aus Artikel 140 Grundgesetz zur "Sonntagsruhe" folgt aber, dass Sonntagsöffnungen nicht aus kommerziellem, sondern nur aus öffentlichem Interesse stattfinden dürfen. Das hat auch das Bundesverwaltungsgericht in seinem Beschluss vom 11. November 2015 festgestellt und somit vielen verkaufsoffenen Sonntagen einen Riegel vorgeschoben.


Spielt das Thema im Wahlkampf eine Rolle?

Philip Büttner: Allgemein ist der Sonntagsschutz für die meisten Parteien derzeit kein Thema. Nur die FDP dringt explizit und radikal auf eine generelle Freigabe des Sonntags: Händler sollen nach eigenem Belieben sonntags öffnen dürfen. Sollte die FDP in der nächsten Regierung sitzen, könnte sich also beim Sonntagsschutz einiges ändern.

 

Was halten Sie von einem verkaufsoffenen Sonntag? Schreiben Sie uns: online@epv.de.

Link-Tipp

Sonntagsschutz

Mit einer Online-Petition richtet sich die Münchner "Allianz für den freien Sonntag" gegen  die Karstadt-Kampagne Selbstbestimmter Sonntag. Die Petition der Sonntagsschützer läuft noch bis Ende 2017. Zur Münchner "Allianz für den freien Sonntag" gehören der evangelische Kirchliche Dienst in der Arbeitswelt (kda), die Katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB) und Betriebsseelsorge, die Gewerkschaft ver.di und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB).

www.change.org/sonntag

http://www.allianz-fuer-den-freien-sonntag.de/startseite/