Mit Europa und dem Brexit hat sich der Jahresempfang der Evangelischen Akademie Tutzing beschäftigt. Die Europäische Union müsse heute mehr denn je zusammenhalten, sagte Festredner Jean Asselborn, luxemburgischer Außen- und Immigrationsminister, laut Redemanuskript. Nur dann könne sie als "Faktor des Friedens und der Stabilität" bestehen. Der Brexit habe wohl vielen Europaskeptikern vor Augen geführt, "was man an der EU hat".

Die europäischen Grundwerte seien nicht verhandelbar, sagte Asselborn in seiner Festrede. Die EU sei "nicht nur eine Interessengemeinschaft, sondern zuerst eine Wertegemeinschaft". Sie habe sich zu dem essenziellen Ziel bekannt, "das Gemeinschaftliche zu stärken". Wenn nationale Politiker "die in Brüssel" für unpopuläre Maßnahmen verantwortlich machten, grenze dies an "Brandstiftung". Die Regierungen der Mitgliedstaaten hielten die Fäden zur Gestaltung Europas in der Hand.

Asselborn sorgt sich um Polen und Ungarn

Asselborn sagte in seiner Festrede, ihn stimme traurig, dass die EU seit 2015 immer noch keine gemeinsame Migrationspolitik verfolge, weil einzelne Staaten eine Entscheidung blockierten. Dabei führe "kein Weg an einer automatischen Verteilung" von Migranten vorbei. "Sind wir ein Europa geworden, das Migration in all ihren Formen verleugnet? Oder sind wir ein Europa, das sich organisiert?", fragte er.

Zudem müsse sich die EU ernsthafte Sorgen um die rechtsstaatlichen Zustände in Polen und Ungarn machen. Er bleibe optimistisch, dass sich die Einsicht in die Notwendigkeit einer engeren Zusammenarbeit in der EU durchsetze. Asselborn plädierte dafür, in außenpolitischen Fragen den Zwang zur Einstimmigkeit aufzuheben. Sonst riskiere die EU, "zu einem außenpolitischen Zwerg zu werden". Die Union sollte den Dialog mit Russland unbedingt aufrechterhalten und "mehr denn je proaktiv den Dialog mit Amerika" suchen.

Landesbischof Bedford-Strohm über Brexit

Landesbischof Heinrich Bedford-Strohm sagte, im Angesicht des Brexits scheine "alles, was nach zwei Weltkriegen an Zusammenhalt zwischen den Völkern Europas" entstanden sei, in Gefahr zu geraten. Überall, wo nun "die anti-europäischen Stimmen in Großbritannien ein anti-britisches Echo auf dem Kontinent hervorrufen mögen", sei entschiedener Widerspruch angesagt. Die klare Botschaft an die Briten müsse sein: "Wir wollen auf euch als ein zentrales Stück Europa nicht verzichten."

Er sei "überzeugt, dass sich die Verantwortung für das Friedensprojekt Europa auch den Kirchen stellt", sagte der Landesbischof. Diese seien gerufen, "für Solidarität und Kooperation über nationale Grenzen hinweg einzutreten". Er fragte: "Wie könnten wir in den Chor der nationalistischen Scharfmacher einstimmen, ohne den Herrn zu verraten, der die Grundlage für Geschwisterlichkeit ist?"

 

Der Luxemburger Außenminister Jean Asselborn spricht über den Brexit und die Chancen auf eine Lösung.

Florian Herrmann vertritt Markus Söder

In Vertretung von Ministerpräsident Markus Söder war Florian Herrmann (beide CSU), Staatskanzlei-Leiter sowie Minister für Europaangelegenheiten und Medien, gekommen. Ihm zufolge steht Europa in diesem Jahr "ganz grundsätzlich infrage". Es gehe darum, ob die Kräfte der Mitte bei der Wahl zum Europaparlament überhaupt noch eine Mehrheit gegenüber Populisten und Europaskeptikern bekommen könnten. Das Bekenntnis Bayerns "zur europäischen Integration ist unverrückbar".

Europa sei eine Idee, die älter sei als der Nationalstaat, sagte Herrmann. Gemeinsame Hauptaufgabe sei, den Klimawandel, disruptive Technologien und die Friedenssicherung "in den Griff zu kriegen". Doch der Umgangston sei rauer geworden. Mit Blick auf die Nutzung sozialer Medien sagte er, es sei "vielleicht das Ende jedes politischen Diskurses, wenn man auf keine Gegenmeinung mehr stößt".

Akademiedirektor Hahn: "Krisen entstehen durch Vereinfachung"

Laut Akademiedirektor Udo Hahn ist die Gesellschaft von Verunsicherung geprägt. Der Glaube an die Stabilität der Strukturen habe Risse bekommen. Die Frage sei, ob ein so komplexes System wie der deutsche Staat zukunftstauglich sei. Doch Komplexität sei nicht per se die Ursache für Probleme: "Krisen entstehen immer durch Vereinfachung." Der Erfolg der Demokratie habe mit einer Haltung zu tun, die auf Konsens und Kompromiss setze.