Er selbst sieht sich als klassischer und überzeugter Lutheraner, doch pietistische Einflüsse schließt Johannes Moosdiele-Hitzler in seiner Familienbiographie nicht aus. Im württembergischen Heidenheim an der Brenz geboren und im bayerischen 1.350-Einwohner großen Bächingen aufgewachsen, hat Moosdiele-Hitzler in seiner Doktorarbeit über Konfessionskultur, Pietismus und Erweckungsbewegung die pietistische Vergangenheit seines Heimatortes an der Grenze zu Baden-Württemberg aufgearbeitet.

Die reichsritterschaftliche Herrschaft Bächingen lag an der Bruchkante zweier territorialer und konfessioneller Blöcke:

Auf der einen Seite das erzlutherische Herzogtum Württemberg, das sich durch seine calvinistisch strenge Kirchenzucht und den starken Einfluss der Amtskirche auf die Regierung den Ruf erwarb, ein 'lutherisches Spanien' gewesen zu sein, erklärt der Historiker. Und auf der anderen Seite eben das 'schwäbische Rom', die Bischofs- und Universitätsstadt Dillingen, sowie das katholische Fürstentum Pfalz-Neuburg, von dem Bächingen auf drei Seiten umgeben war.

Nachdem sich die Bächinger Ortsherren in den 1570er-Jahren für die Einführung der Reformation entschieden hatten, förderte das katholische Übergewicht in der Region bei ihnen ein trutziges, konfessionelles Bekennertum, das mit der Zeit auf ihre Untertanen durchschlug", sagt Moosdiele-Hitzler.

Wesentlich mitentscheidend für das Aufkommen des Pietismus sei auch Herzogin Franziska von Württemberg gewesen, die Bächingen 1790 bis 1811 als Privatgut besaß.

Als prominenteste Pietistin ihrer Zeit berief die Herzogin einen Pfarrer nach Bächingen, der mit seinen Lehren von der bevorstehenden Endzeit religiöse Schwärmerei auslöste. Diese artete schließlich in gröbsten Separatismus aus und gipfelte 1821/22 in der Auswanderung von 54 Bächingern nach Bessarabien. Zusammen mit Gleichgesinnten um den bayerischen Erweckungsprediger Ignaz Lindl gründeten sie dort die schwäbische Kolonie Sarata nach dem Vorbild frühchristlicher Gemeinden.

Unmittelbar an einer Hauptreibungsfläche des Konfessionskonflikts im Alten Reich und nach 1805 in der bayerischen Diaspora gelegen, gingen in Bächingen protestantisches Bekennertum, der Pietismus in seinen verschiedenen Erscheinungsformen und die Erweckungsbewegungen des 19. Jahrhunderts ineinander über, sagt der Historiker. Zwar seien lange nicht alle Bächinger zu bekennenden Pietisten geworden, aber alle seien in derselben, tendenziell pietistischen lokalen Konfessionskultur sozialisiert.

Ein Beweis dafür sei die erneute Gründung eines Hauskreises zur religiösen Erbauung in der Zeit des Ersten Weltkriegs - interessanterweise gerade durch Nachfahren derjenigen, die hundert Jahre zuvor zu den bekennenden Pietisten gehört hatten. "Der Hauskreis schloss sich der Liebenzeller Gemeinschaft an, die ebenfalls in der Nachfolge des Württembergischen Pietismus steht. Er besteht bis heute und hat in Bächingen ein eigenes Versammlungshaus.

Die Pietisten von heute sind nur schwer mit denjenigen des 18. und frühen 19. Jahrhunderts vergleichbar, sagt der Historiker.

Das Schwärmerische der Pietisten von damals, die täglich mit dem Anbruch des Tausendjährigen Reiches rechneten, fehlt heute. Im Allgemeinen scheint mir das Verhältnis zwischen Kirchengemeinde und Liebenzeller Gemeinschaft, der ja nur ein Bruchteil der Bevölkerung angehört, ein freundschaftliches zu sein. Nicht wenige der Gemeinschaft besuchen ja sonntags die Kirche und nicht nur ihre eigenen Versammlungen , sagt der 35-Jährige.

Auch in der Alltagskultur merke man den Bächingern ihre Andersartigkeit im Vergleich zu den bayerischen Nachbargemeinden noch heute an. Über Jahrhunderte bestand zwischen Protestanten und Katholiken eine unsichtbare, soziale Grenze. So habe man sich in Bächingen bis in die jüngste Zeit beinahe ausschließlich nach Württemberg orientiert.

Diese Einflüsse sind noch immer sicht- und hörbar: In Bächingen sind die Spätzle lang wie in Württemberg, während sie in den bayerischen Nachbarorten auf die katholische Art, nämlich knöpfchenförmig üblich sind. Auch das rundherum lebhaft gepflegte Fasnachtsbrauchtum, das ja dezidiert katholisch besetzt ist, sei hier bis in die jüngste Zeit verpönt gewesen, und vielen Bächingern fehle noch heute schlichtweg das Faschings-Gen.