Am 25. Juni 2019 – mitten im Karl-Barth-Jubiläumsjahr – jährt sich der 120. Geburtstag von Charlotte von Kirschbaum (1899-1975). Die gebürtige Bayerin war die Liebhaberin, Lebensgefährtin und Assistentin Karl Barths (1886-1968). Der Theologin Andrea König vom forum frauen im Amt für Gemeindedienst zufolge wurde Kirschbaums Bedeutung für Barths Werk bislang unterschätzt. In ihrem Sonntagsblatt-Porträt geht sie dem Leben der Theologin nach. Eine Veranstaltungsreihe des forum frauen an verschiedenen Orten in Bayern erinnert an die Frau im Schatten eines berühmten Mannes.

Charlotte von Kirschbaum und Karl Barth

Als der 39-jährige Schweizer Theologe Karl Barth im Sommer 1925 die dreizehn Jahre jüngere Charlotte von Kirschbaum kennenlernt, beginnt eine Liebes-, Arbeits- und Lebensgemeinschaft, die ihresgleichen sucht. Im Ferienhaus "Bergli" in Oberrieden am Zürichsee – Rückzugsort eines intellektuellen Zirkels, dessen geistiger Mittelpunkt Barth ist – treffen sie erstmals aufeinander. Die Anziehungskraft ist groß, sie teilen den Glauben, das Denken und auch das Begehren. "Bergli, Lollo!" fasst Barth später in seinen autobiografischen Aufzeichnungen diesen erinnerungswürdigen Moment zusammen. Eine wundersame Fügung zweier Menschen – wäre da nicht der Umstand, dass Barth zu diesem Zeitpunkt seit zwölf Jahren mit Nelly Hoffmann (1893-1976) verheiratet und Vater von fünf Kindern war.

Kirschbaum und Barth – Ein komplizierter Beziehungsstatus

Charlotte von Kirschbaum wird am 25. Juni 1899 in Ingolstadt als einzige Tochter des Generals Maximilian von Kirschbaum und seiner Frau Henriette, geborene Freiin von Brück, geboren. Ihre Kindheit ist durch Umzüge geprägt und mit verschiedenen Orten in Bayern verbunden. Sie besucht u.a. Schulen in Amberg und München, arbeitet in Nürnberg, dann wieder in München. Unter dem Eindruck des Ersten Weltkrieges tritt sie eine Ausbildung zur Rotkreuzschwester an. Ihr Interesse an theologischen Fragen lässt sie Bekanntschaft mit dem Münchner Studentenpfarrer Georg Merz (1892-1959) machen, der sie mit der Theologie Barths vertraut und schließlich auch mit ihm bekannt macht.

Charlotte liest Barths Vorlesungsmanuskripte, redigiert Texte und kommentiert sie. Sie erstellt ein Karteikartensystem, eine Zitatensammlung zur Theologiegeschichte, eignet sich die alten Sprachen und ein immenses theologisches und philosophisches Wissen an. Ab 1929 wird sie Barths ganztägige Assistentin. Ihre Zusammenarbeit mit ihm ist eine Kombination aus Forschung, Redigieren von Texten und Manuskripten, Verschriftlichung, Kommentierung, Archivierung und Quellenrecherche. "Lollo ist völlig unentbehrlich", schreibt Barth in einem Brief. So unentbehrlich, dass er sie in seinem Haus in Münster aufnimmt und sie von nun an zu Dritt mit Nelly und den Kindern leben.

Das Zusammenleben erweist sich als schwierig bis katastrophal: Charlotte schwankt zwischen Hoffnung und Schuldgefühlen, Nelly zwischen Eifersucht und Sorge. Dazwischen befindet sich Karl Barth, der zeitweise wie paralysiert wirkt. Charlotte empfindet die Lage als ausweglos, Ultimaten werden gesetzt, die Unerträglichkeit der Situation artikuliert, Wutanfälle und Resignationsphasen durchlebt und Scheidung diskutiert.

Den "Ausbrüchen weiblicher Dialektik", wie Barth die Auseinandersetzungen nennt, scheint er nicht gewachsen zu sein. Doch zieht Charlotte 1935 mit dem Ehepaar und Kindern nach Basel. Die Familie Barths versucht zu intervenieren und Bedingungen zu stellen – auch um der Schweizer Kirche willen. Barth verbietet sich jegliche Einmischung und schließlich arrangieren sich alle mit der "Notgemeinschaft".

Die Theologin Kirschbaum – barthianischer als Barth selbst

Charlotte von Kirschbaums theologisches Suchen beflügelt Barths Arbeit. Zuweilen vertritt sie ihn auch bei kirchlichen Konferenzen und bezieht Stellung zu Fragen seiner Studenten und Freunde. Dabei argumentierte sie "barthianischer als Barth selbst"1, notierte Helmut Gollwitzer (1908-1993) später. Charlotte von Kirschbaum prägt die Theologie und Kirchenpolitik des 20. Jahrhunderts, engagiert sich in der Widerstandsbewegung und verfasst eigene Schriften. Ihr Interessensschwerpunkt liegt dabei vor allem auf der Frage nach der theologischen Stellung der Frau.

1949 veröffentlicht sie "Die wirkliche Frau, eine Auseinandersetzung mit Simone de Beauvoir und der katholischen Mariologie". Klischees über Frauen missfallen Kirschbaum. Sie adaptiert Barths Theologie, interpretiert diese aber auf ihre Weise. Barths exegetischer Kommentar ist eher theologisch als historisch-kritisch. Charlotte von Kirschbaum dagegen beschäftigt sich gleichermaßen mit dem historischen Kontext wie auch mit der zeitgenössischen Anwendung. Sie beleuchtet wichtige Frauengestalten der Bibel und ist überzeugt, dass Geschlechterrollen historisch konstruiert sind. Auch nimmt sie die unverheiratete, berufstätige Frau in den Blick, während Barth die Frau theologisch im Kontext des Eheverständnisses reflektiert. In der Bibel erkennt sie weibliche Strukturmuster. Eva und Genesis 3,16 liest sie mit dem Blick auf Mutterschaft und die Schmerzen des Gebärens, die sie als Werkzeug der Gnade Gottes im Kontext der gesamten Bibel deutet. Barths Exegese von Genesis 3,16 konzentriert sich dagegen lediglich auf die Vorherrschaft des Mannes über das Weib. Das Werk "Die wirkliche Frau" wird in zahlreichen Rezensionen besprochen und als bahnbrechend bezeichnet. Es folgen Vorträge und weitere Veröffentlichungen.

Lebensende von Charlotte von Kirschbaum – über den Tod hinaus vereint

1962 erkrankt Charlotte an einer Gehirnsklerose. 1966 wird sie in ein Pflegeheim in Riehen bei Basel eingeliefert. Karl Barth und Nelly besuchen sie regelmäßig. Als Karl Barth 1968 stirbt und Nelly die Nachricht überbringt, nimmt sie dies nur noch nickend zur Kenntnis. Ihr geistiger Zustand verschlechtert sich stetig. Charlotte von Kirschbaum stirbt am 24. Juli 1975, mehr als sechs Jahre nach Barth und ein Jahr vor Nelly. Auf Wunsch von Barth und mit Zustimmung von Nelly wird sie im Familiengrab in Basel beigesetzt. Auf dem Stadtfriedhof liegen die Drei über den Tod hinaus vereint im selben Grab.

Charlotte von Kirschbaums Leben mit Karl Barth besaß eine besondere Tragik. Während das Werk des Theologen Barth nach seinem Tod stark rezipiert wurde, wurde Kirschbaum von der Nachwelt kaum beachtet.

Veranstaltungsreihe zu Charlotte von Kirschbaum

Das Leben und Werk von Charlotte von Kirschbaum steht im Mittelpunkt einer Veranstaltungsreihe des "forum frauen" im Amt für Gemeindedienst. Zur Reihe gehören eine Podiumsdiskussion, eine Lesung sowie eine Soirée. Die Veranstaltungsreihe wird gemeinsam mit den Dekanatsfrauenbeauftragten und Bildungswerken durchgeführt.

Charlotte von Kirschbaum – Veranstaltungsreihe:

  • Donnerstag, 17. Oktober 2019, Ingolstadt, 19.00 Uhr
    Tacheles: Charlotte von Kirschbaum – Außen vor und mitten drin. Eine Theologin im Schatten eines berühmten Mannes. Vortrag, Diskussion und Gedankenaustausch zum 120. Geburtstag einer bemerkenswerten Frau aus Ingolstadt. Mit Gästen.
  • Mittwoch, 13. November 2019, Amberg, 19.00 Uhr
    Lesung: Zu Dritt. Karl Barth, Nelly Barth, Charlotte von Kirschbaum. Mit Prof. Dr. Klaas Huizing.
  • Samstag, 30. November 2019, Nürnberg, 17.00 Uhr
    Soiree-Abend mit Buchautor Prof. Dr. Klaas Huizing im Gespräch zu Charlotte von Kirschbaum

Weitere Termine beim forum frauen auf der Webseite: www.afg-elkb.de

Buch-Tipp

Klaas Huizing: Zu dritt

Klaas Huizing: "Zu dritt. Karl Barth, Nelly Barth, Charlotte von Kirschbaum".
400 Seiten, Klöpfer & Meyer, Tübingen 2018.
ISBN 978-3-86351-475-4.
25,00 €

Klaas Huizing über die "Ménage-à-trois" um Karl Barth und seinen Roman "Zu dritt": "Das Buch ist kein Plädoyer für die Polyamorie. Es geht darin um die temperierte Verzweiflung der drei Personen in einem protestantischen Pfarrhaus. Das war kein unendlicher Spaß, sondern es war oft eher eine Knautschzone zu dritt."