Die Kinder sind verzweifelt. Schon seit Tagen ist Findus, ihr verschmuster Kater, verschwunden. Sollen sie nun unzählige "Vermisst"-Plakate mit einem Bild ihres Lieblingstiers ausdrucken und sie mit Telefonnummer und E-Mail-Adresse an alle Laternenmasten der Umgebung hängen?

Ihre Mutter kommt auf eine andere Idee. Sie stellt ein Foto in die Village App des Ortes Asbach im thüringischen Schmalkalden und fragt, ob jemand den Kater gesehen habe. Über 200 Menschen aus dem ganzen Dorf lesen den Aufruf. Und siehe da: Nach kurzer Zeit meldet sich tatsächlich ein Nachbar, der Findus entdeckt hat.

Village App als "digitale Dorfmitte"

Village App ist eine Entwicklung des in Marburg ansässigen Unternehmens Blue Village Innovations UG. Konzipiert für kleine und mittlere Kommunen soll die App als digitale Dorfmitte dienen, erklärt die Marketing-Verantwortliche Verena Roithmeier.

Unter der Kategorie "Gruppen" können zum Beispiel Posaunenchor, freiwillige Feuerwehr und Kirchengemeinden eigene Foren gründen und sich austauschen. In der Kategorie "News" werden den Nutzerinnen und Nutzern Nachrichten, etwa von der Gemeindeverwaltung, direkt auf das Smartphone oder den Computer geschickt.

Jede Gruppe des Dorfes kann ihre Veranstaltungen unter "Events" präsentieren. Der "Marktplatz" dient als digitale Tauschbörse. Hier können Dorfbewohnerinnen und –bewohner den Nachbarn anbieten, beim Wocheneinkauf etwas für sie mitzubringen oder ihnen den Rasen zu mähen. "Das bestehende Unterstützungsnetz aus Familie und Nachbarn wird um das gesamte Dorf erweitert", erklärt Pfarrer Ulf Weber der evangelischen Kirchengemeinde Schmalkalden-Asbach, der die Einführung der App im Mai 2020 in seinem Ort initiiert hat.

Village App
Innerhalb der Village App können alle Bürger Informationen austauschen, Nachbarschaftshilfe im digitalen Marktplatz anbieten oder aktuelle Veranstaltungen im Dorfkalender sehen.

Wie Pfarrer Weber die App für seine Arbeit einsetzt

Anders als in den vielen einzelnen WhatsApp-Gruppen von Kirchenvorstand bis Kirmesverein bekommen die Asbacherinnen und Asbacher nach Ansicht von Weber mit der App ein Gefühl dafür, wie lebendig die Dorfgemeinschaft ist. "Hätte jede Organisation nur ihre eigene WhatsApp-Gruppe, bekäme das ja kaum jemand mit", erläutert der Theologe. Außerdem würden die Daten auf europäischen Servern gespeichert, sodass ein hoher Datenschutz gewährleistet sei.

Mit der App habe auch die Kirche im Ort "enorm an positivem Image gewonnen", sagt Weber: "Ich schreibe in die Gruppe: ‚Mittwoch, 15 Uhr: Pfarrer mit Kaffeekanne im Kirchgarten‘ und warte, wer kommt." So werde die Kirchengemeinde auch abseits von Gemeindeblatt und Info-Schaukasten wahrgenommen.

Wer die App in Asbach nutzt

Bisher haben sich 250 Personen des 1.500-Einwohner-Dorfes im Thüringer Wald bei der App angemeldet. Einige sehen die digitale Anwendung wegen der bereits bestehenden Kommunikationswege über Facebook oder Messengerdienste als überflüssig an – oder haben einfach kein Interesse an Fotos von Frühlingsspaziergängen der Nachbarn, berichtet Weber. Andere wiederum lassen sich gerade davon inspirieren und kommentiere ihre Gedanken und Eindrücke unter solche naturverbundenen Bilder. Ein Ehepaar im Alter von 78 und 81 Jahren etwa nutzt den Kanal, um Geschichten und Legenden von Asbach zu notieren.

Überhaupt stammen Schätzungen zufolge rund ein Drittel der Beiträge in Asbach von 60- bis 70-Jährigen. Weil die App sowohl per Smartphone als auch mit jedem internetfähigen Computer nutzbar ist, können auch ältere Menschen die Funktionen mit Hilfe eines großen Bildschirms und Tastatur in Anspruch nehmen.

Kirche der Pfarrei St. Georg in Painten
Kirche der Pfarrei St. Georg in Painten

Warum die App gerade während der Corona-Pandemie hilft

Bundesweit nutzen rund 40 Kommunen die Village App. Auch in acht Gemeinden in Bayern kommt sie zum Einsatz. In Painten im ostbayerischen Landkreis Kehlheim haben sich knapp 45 Prozent der 2.296 Einwohner die App installiert. Sie bekommen dort etwa kurzfristige Terminänderungen oder Sterbefälle mitgeteilt. "In Zeiten der räumlichen Distanzierung führt das die Gemeinde wieder enger zusammen", meint der katholische Pfarrer Adrian Latacz.

Wie der Obst-und Gartenbauverein oder die Feuerwehren hat auch Latacz‘ Pfarrei eine Gruppe in der App gegründet, in der sich Menschen austauschen und an Aktionen teilnehmen können. Im Advent nutzte die Pfarrei die Möglichkeit, um einen digitalen Adventskalender zu gestalten. Jeden Tag stellte ein anderes Gemeindemitglied einen Impuls in Form eines Textes oder Bildes online. In der Fastenzeit vor Ostern wurde zusätzlich eine virtuelle Kirchenführung organisiert.

Finanziert wird die App in Painten aus dem Gemeindehaushalt. Die Kosten dafür belaufen sich pro registriertem Benutzer und Jahr auf 3 Euro, schreibt die Kommune in einer Mitteilung. In anderen Ortschaften übernehmen Gastronomiebetriebe, die besonders von dem Angebot profitieren, die Gebühren.

Village App
Jeder Verein, jede Gruppe und auch die Veranstaltungen der Kirchengemeinde werden in der Village App für alle aktuell angezeigt.

Pfarrei Oberwinkling entwickelt virtuelle Schnitzeljagd

Die katholische Pfarrei Oberwinkling im Bistum Regensburg gehört zu den ersten Gemeinden in Bayern, die sich für die neue App interessierten. Im Januar wurde die Niederwinkling-App in der 2.860-Einwohner-Kommune gestartet, erzählt Pastoralreferentin Stefanie Leber. Bisher nutzen dort rund 670 Bewohner die Software.

Auch die Pfarrei nutzt die App im Lockdown rege, um Informationen an ihre Gemeindemitglieder zu bringen – und ihr Angebot hygienegerecht an die Gläubigen zu vermitteln. Das Kindergottesdienst-Team etwa hat eine virtuelle Schnitzeljagd für die ganze Familie entwickelt. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer können nun verschiedene Aufgaben in der Natur, an Wegkreuzen, Madonnenstatuen, Kapellen oder Häusern lösen. Einmal müssen sie ein Quiz lösen, das andere Mal das Detail einer Kapelle suchen und per Beweisfoto einschicken.

Und wie geht es in Oberwinkling mit der App weiter, wenn die Corona-Pandemie eines Tages überstanden ist? "Wir werden sie auch weiterhin nutzen", ist sich Leber sicher. Denn auch nach Ende von Lockdown und Kontaktbeschränkungen sei es viel praktischer, schnell einen Beitrag in die Gruppe zu posten als einen Pfarrbrief zu planen, zu drucken und verteilen zu müssen.