Pfarrer Chiu Wai Man ist seit 2018 in München als Pfarrer der evangelischen chinesischen Gemeinde tätig. Seine Verbindung zu Deutschland liegt allerdings noch deutlich weiter zurück. Aus Hongkong stammend, kam er als junger Mann nach Deutschland, um in Hannover Medizin zu studieren.

Anschließend lebte er in Taiwan, wo er, wie er selbst sagte, sich von Gott berufen fühlte und Pastor wurde. Seine ehemalige Gemeinde dort sei jedoch kaum zu vergleichen mit der, die er heute in München leitet.

"Meine Kirche in Taiwan war eine Mega-Church, wir hatten 3000 Gottesdienstbesucher und mussten jeden Sonntag drei Gottesdienste anbieten"

In seiner Münchner Gemeinde fänden sich dagegen nur etwa 60 Leute wöchentlich ein. Stolz sei er dennoch auf die Gemeinde, die vor gut 20 Jahren in München gegründet wurde und deren Pfarrer er seit September 2018 ist.

Chinesische Christen

Viele Chinesen, die nach Deutschland kommen, "finden hier erst zu Christus, da sie hier erst die Gelegenheit dazu haben", so berichtete Chiu dem Sonntagsblatt. Der Pastor sprach offen über die staatliche Kontrolle in China, die den Kontakt mit dem christlichen Glauben für viele Menschen dort erschwere.

Das sei auch der Grund, warum Kontakte und Kooperationen mit Christen in China so schwierig seien. Es sei schlichtweg zu gefährlich, für die Menschen dort, mit Gruppen und Gemeinden aus dem Ausland zusammenzuarbeiten.

Für Pfarrer Chiu liegt der Fokus also komplett auf seiner Kirche in Deutschland. Gemeinsam mit einem gewählten Vorstand leitet er die Gemeinde und hält jeden Sonntag einen Gottesdienst in chinesischer Sprache. Im Anschluss daran gibt es immer etwas zu essen. Ein Ritual, das vor allem die Gemeinschaft stärken solle.   

Eingeschränkt durch Corona

Umso tragischer sei es für ihn gewesen, dass die Gottesdienste im Zuge der Corona-Krise vorläufig eingestellt werden mussten. Man stieg jedoch schnell auf ein virtuelles Format um. "Das war am Anfang ungewohnt", sagte der Pastor, "aber es kam gut an vor allem bei denen die außerhalb von München wohnen und sich die lange Fahrt erspart haben".

Im Gegensatz zu den meisten deutschen Kirchen fing seine Gemeinde noch nicht wieder mit den Präsenz-Gottesdiensten an. Eigentlich wollten sie noch im September wieder starten, aber die steigenden Infektionszahlen in München durchkreuzten diese Pläne. Es sei noch nicht vorhersehbar, wann sie wieder mit den Gottesdiensten vor Ort anfangen werden.

Ähnliches gilt auch für die anderen regelmäßigen Treffen der Gemeinde. Denn neben den Gottesdiensten treffen sich die Gemeindemitglieder normalerweise auch wöchentlich in sechs Bibelkreisen.

Hier ist die Gemeinde in verschiedene Gruppen eingeteilt. Die Studenten etwa haben ihren eigenen Bibelkreis, genauso wie beispielsweise auch die Restaurantmitarbeiter, die sich wegen ihrer speziellen Arbeitszeiten nur separat von den Anderen treffen können.

Rolle des Pfarrers

Pfarrer Chiu versuche immer bei allen Treffen dabei zu sein. Generell wolle er immer ganz nah an den Gemeindemitgliedern sein. Neben seiner Aufgabe als Prediger sehe er sich vor allem als Ansprechpartner und Kommunikator.

"Ich fungiere als Brücke zwischen den Leuten", sagte er und erklärte, dass in der eng gesponnenen Gemeinde zwangsläufig auch mal Konflikte ausbrächen. Er wolle dabei als Schlichter fungieren und ein offenes Ohr für jeden haben. "Sozusagen ein Mädchen für alles."

Zu Gast in München

Pfarrer Chiu ist mit seiner Gemeinde ein Dauergast in der evangelischen Kapernaumkirche am Lerchenauer See im Münchner Norden. "Man fühlt sich hier sehr wohl", sagte er im, Bezug auf die Räumlichkeiten. Für die Partnerschaft mit der deutschen Gemeinde sei er dankbar.

Die größten Unterschiede zwischen seiner und der deutschen Kirche sehe er vor allem im jüngeren Alter seiner Gottesdienstbesucher und in der Anzahl an Familien, die regelmäßig in die Kirche kommen. Mit einem Schmunzeln ergänzte er außerdem: "Wenn ich das sagen darf, wir sind lebendiger".

Auf der anderen Seite sehe er bei der deutschen Gemeinde allen voran in dem Fokus auf Sauberkeit und Ordnung etwas, von dem sich seine Gemeinde noch das ein oder andere abschauen könne. Generell würde Pfarrer Chiu gerne mehr mit der deutschen Kirche gemeinsam arbeiten und sieht noch Verbesserungspotenzial in der interkulturellen Zusammenarbeit.

Wunsch nach mehr Kooperation

"Meiner Ansicht nach ist das größte Problem die Isolation", sagte er. Es brauche mehr Austausch zwischen den Gemeinden. Viele gute Ideen blieben zu abstrakt und es fehle an konkreten Kontaktpunkten.

"Kontakt ist, das man etwas zusammen macht", so Chiu, und genau da sehe er noch Nachholbedarf.

Sein Vorschlag ist, dass man sich doch mehr gegenseitig einladen und besuchen könne. Er habe schon erlebt, dass Deutsche seine Gottesdienste besuchen. Für diesen Fall habe die Gemeinde auch professionelle Dolmetscher, die den chinesischen Gottesdienst für deutsche Besucher übersetzen.

Dass die Gottesdienste in chinesischer Sprache dennoch nur für wirkliche Muttersprachler langfristig attraktiv sind, erkenne der Pfarrer auch an den Kindern der Gemeinde, die in Deutschland geboren wurden und aufgewachsen sind.

Diese interessierten sich oft nicht mehr so sehr für die chinesische Gemeinde und spreche teilweise auch die Sprache nicht mehr so fließend wie ihre Eltern.

Trotz den Verlusten in dieser zweiten Generation sieht Pfarrer Chiu die Zukunft seiner Gemeinde gesichert.

"Deutschland ist immer noch ein Land, in dem man gut studieren kann", sagte er und zeigte sich zuversichtlich, dass auch in Zukunft noch genug chinesische Einwanderer den Weg nach Deutschland und zu seiner Gemeinde finden würden.