Die bayerische evangelische Landeskirche und das Rothenburger Wildbad - das war keine Liebe auf den ersten Blick. Gekauft wurde der imposante Gebäudekomplex eher unfreiwillig - gemeinsam mit der Stadt wollten Kirche und Diakonie verhindern, dass im Wildbad eine dubiose Meditationssekte einzieht. Aber das malerisch gelegene Wildbad war in seiner Geschichte noch vieles mehr.

  • 1903: Der Tüftler und Erfinder der orthopädischen Prothese, Friedrich von Hessing, der bereits mehrere "Heilanstalten" in Bayern betrieb, ließ das Gebäude in neun Jahren Bauzeit errichten. im Jahr 1903 wurde das "Wildbadetablissement" als Kurhotel mit Anwendungsbetrieb eröffnet.
  • 1917: Ein Jahr vor von Hessings Tod musste der Betrieb des Wildbads aus Kostengründen eingestellt werden. Dem "Kurhotel ersten Ranges", mit seiner weitläufigen Parkanlage nach Vorbild der englischen "Pleasure Gardens", war somit nur ein ziemlich kurzer Erfolg vergönnt.
  • 1925: Der Landesverband der Bayerischen Ortskrankenkassen kauft das Wildbad in einer Zwangsversteigerung. Dort sollten Fortbildungen für Mitarbeiter und ähnliches stattfinden. Aber auch für diese Zwecke wurde das Prachtgebäude unterhalb der Altstadt nur kurz genutzt.
  • 1939: Während des Zweiten Weltkrieges wurde das Wildbad unter anderem als Lazarett, Kinderheim, als Hitlerjugend-Schule und nach Ende des Weltkrieges vom US-Militär als Lagergebäude genutzt. Im Anschluss wurde es zur Unterkunft für vertriebene aus dem Baltikum.
  • 1951: Die Bayerische Bereitschaftspolizei bezieht Quartier im Wildbad und richtet dort ihr Ausbildungszentrum ein. Die Polizei bleibt dort bis ins Jahr 1976, also 25 Jahre - so lange wie noch kein Nutzer zuvor. Nach wie vor gehört es dem Rechtsnachfolger der Ortskrankenkassen.
  • 1977: Die Meditationssekte "Gesellschaft für Transzendentale Meditation" will eine "Residenz des Zeitalters der Erleuchtung" dort einrichten. Das gefällt der Stadt Rothenburg ganz und gar nicht - sie macht 1978 von ihrem Vorkaufsrecht für 300.000 D-Mark Gebrauch.
  • 1978: Die Stadt Rothenburg überlässt das Wildbad für die gleiche Kaufsumme der Diakonie Neuendettelsau. Drei Jahre später wird ein "Trägerverein Wildbad" gegründet, dem die Diakonie, die Landeskirche und acht Dekanate aus Westmittelfranken angehören.
  • 1983: Das Wildbad nimmt nach einer ersten Teilrenovierung und einem Umbau zur Tagungsstätte den kirchlichen Tagungsbetrieb auf.
  • 1990: Die Renovierung des gesamten Gebäudeensembles wird abgeschlossen. Das Wildbad wird zu 100 Prozent eine Einrichtung der Landeskirche, der Trägerverein in einen Beirat umgewandelt
  • 1990er und 2000er Jahre: Das Wildbad sorgt mit seinen teilweise enormen Defiziten aus dem laufenden Betrieb für Unmut. Mehrmals wird erwogen, den Prachtbau wieder zu verkaufen - die Vorhaben werden wegen Widerständen und mangels Interessenten stets verworfen.
  • 2017: Erstmals ist offenbar ein Kaufinteressent auf die Landeskirche als Eigentümer des Wildbades zugekommen und hat ein Angebot für die Immobilie gemacht. Die Landeskirche will nun prüfen, ob ein Verkauf, der Nicht-Verkauf oder eine Kooperation mit dem Interessenten die beste Option ist.
  • 2017: Die bayerische Landeskirche behält das Wildbad Rothenburg. Nach dem Abschluss der Prüfung habe der Landeskirchenrat beschlossen, die Tagungsstätte weiter als Einrichtung der Landeskirche zu betreiben.
  • 2017: Im Wildbad startet das Projekt "art residency wildbad": Von einer Fachjury wird jedes Jahr eine Künstlerin, ein Künstler oder eine Künstlergruppe ausgesucht, um mehrere Monate im Wildbad zu leben und zu arbeiten - bei freier Kost und Logis. In einem künstlerisch freien und ergebnisoffenen Schaffensprozess entsteht ein Kunstwerk, das dann dauerhaft in der Parkanlage des Wildbads bleibt.
  • 2018: Der neue Leiter der Evangelischen Tagungsstätte Wildbad Rothenburg, Pfarrer Wolfgang Schuhmacher, wird in sein neues Amt eingeführt. Der 59-jährige Theologe übernimmt die Leitung des renommierten Tagungshauses von Pfarrer Herbert Dersch.
  • 2019:  Das Wildbad Rothenburg bietet erstmals einen fünftägigen Kurs zum Thema "Ganzheitlich leben mit Hildegard von Bingen" an. 
  • 2020: Das Wildbad Rothenburg startet eine "Hildegard-Woche", sieben Tage lang steht dabei "Ganzheitlich leben mit Hildegard von Bingen" auf dem Programm. Die "Hildegard-Woche" dauert in ihrer zweiten Auflage nach 2019 nun schon ganze sieben Tage.
  • 2020: Wie die Hotels und Gaststätten sind auch die evangelischen Tagungshäuser in Bayern von den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie betroffen.
  • 2023: Das Wildbad Rothenburg lädt bereits zum dritten Mal unter dem Motto "Ganzheitlich leben mit Hildegard von Bingen" zu einem langen Hildegard-Wochenende ein. 
  • 2023: Die Bildende Künstlerin Alexandra Hojenski will als diesjährige "Artist in Residence" ein textiles Kunstwerk für die Parkanlage der evangelischen Tagungsstätte Wildbad Rothenburg beisteuern. Heuer findet die siebte Runde des ambitionierten Kunstprojektes statt. Eine Fachjury schlägt die Künstler oder Gruppen vor. Selbst bewerben kann man sich für die "art residency wildbad" nicht. Bisherige Künstler waren das Duo Böhler & Orendt (2017), Ulrike Mohr (2018), Laura Belém (2019), die Gruppe "Breathe Earth Collective" (2020), Benjamin Zuber (2021) sowie die Textilkünstlerin Arianna Moroder (2022).

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