Nach 42 Jahren kehrt Jörg Breu an den Ort seiner Kindheit zurück. "Das ist wie bei Marcel Proust, wo er den Madeleine-Keks in den Lindenblütentee taucht und dann wieder im Wohnzimmer seiner Großtante sitzt." Solche Effekte gebe es bei ihm auch. Sieht er das große Zweirad-Center, erinnere er sich, wo sein Vater ihm das erste Fahrrad gekauft habe. Sieht er das Feinkostgeschäft, falle ihm ein, wo seine Mutter den Whiskey zum Geburtstag seines Vaters erstanden habe. "Jeder Ort ist mit Kindheitserinnerungen besetzt, und das ist schön und fühlt sich richtig an", sagt der 54-Jährige im Gespräch mit dem Sonntagsblatt. Breu tritt am 1. April 2020 als  evangelischer Dekan seinen Dienst in Regensburg an.

Auf seine neue Aufgabe freue er sich "riesig". Seine Hauptpredigtkirche wird die Neupfarrkirche sein, an der er als erster Pfarrer eingesetzt ist. Breu weiß um die historische Bedeutung des Platzes. An derselben Stelle, an der heute die Neupfarrkirche steht, waren einst eine Synagoge und ein jüdisches Viertel beheimatet, bis vor 500 Jahren die Juden aus der Stadt vertrieben wurden. "Es ist eine Ehre, an einem solchen Platz predigen zu dürfen und zugleich ist es eine hohe Verantwortung", sagt Breu.

Der 54-jährige Theologe bringt neben seiner Leitungserfahrung besondere Kompetenzen im interreligiösen Dialog mit. In die Laurentiuskirche in Altdorf, wo er derzeit noch Dekan ist, lud er am Reformationstag regelmäßig bedeutende Vertreter anderer Religionen zum Gespräch ein, darunter auch den Zentralratspräsidenten der Muslime, Aiman Mayzek. Nicht alle hielten das für eine gute Idee, sie versuchten das Religionsgespräch zu skandalisieren, berichtet er. Doch Breu hielt dagegen. "Für mich war es eine selbstverständliche Geschichte, mit Angehörigen anderer Religionen ins Gespräch zu treten. Wir dürfen uns den Dialog nicht verbieten lassen."

Die Initialzündung dafür sei bei ihm bereits in der Schule erfolgt. Im Leistungskurs Geschichte habe er über die KZ-Außenlager von Dachau, Landsberg und Kaufering, geforscht. Daraus sei ein Film entstanden, auf den damals sogar das Bayerische Fernsehen aufmerksam geworden sei. Im Rahmen der Dreharbeiten hätten die Schüler auch überlebende KZ-Insassen kennengelernt. "Das hat mich tief beeindruckt und war auch ein Grund für mich, später Theologie zu studieren."

Jörg Breu: Dekan in Altdorf und jetzt Regensburg

Seit 2008 ist Breu Dekan in Altdorf. Seine größte Leistung sei es rückblickend gewesen, "viele Menschen miteinander ins Gespräch zu bringen". 2017 gab es in Altdorf ein Fest der Christenheit, bei dem christlichen Gruppen, die sich sonst eher skeptisch gegenüberstünden, zusammen Gottesdienst gefeiert und sich ausgetauscht hätten. "Das war harte Arbeit", sagt Breu. Er ist auch Gründungsmitglied des "Bündnisses für Toleranz und Respekt" in Altdorf.

In Regensburg wird Breu Chef von etwa 60 Pfarrerinnen und Pfarrern mit mehreren hundert Mitarbeitern in den kirchlichen Diensten und Werken. Er hat berufsbegleitend einen Master in Sozialmanagement absolviert. Bei diesem Studium sei es vor allem darum gegangen, zu erkennen, dass die Motivation für das Wirtschaften nicht das Streben nach Profit sein müsse, sondern die Knappheit der Ressourcen. Das werde zunehmend relevant sowohl auf der Erde als auch für die Kirche, sagt er. Breu wird vor allem die neue Landesstellenplanung der evangelischen Landeskirche im Donaudekanat umsetzen müssen, die je nach Region Einsparungen beim kirchlichen Personal vorsieht. Seinen Führungsstil bezeichnet er als kollegial. "Aber ich bin auch mutig genug zu intervenieren, wo ich es für notwendig halte."

Breu bezeichnet sich selbst als "progressiven Theologen". Er komme aus der Friedensbewegung, war als Jugendlicher in der Eine-Welt-Arbeit aktiv. Auch von der Frömmigkeitsprägung her sei er "kosmologisch weit und offen" und nicht pietistisch geprägt. Einschätzungen wie "liberal" oder "konservativ" hält er für überholt. "Wir leben im Moment in einer gesellschaftlichen Situation, in der sich viele Paradigmen verändern." Wenn er beispielsweise dem CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak zuhöre, wie der sich gegen die AfD und Björn Höcke stellt, "da kann ich bei jedem Satz ein Häkchen machen".

Breu ist in zweiter Ehe verheiratet mit der Theologin Veronika Zieske. Sie ist Pfarrerin und Studienleiterin der Gemeindeakademie der Landeskirche in Rummelsberg. Die drei erwachsenen Kinder sind allesamt im Studium. Breu ist in seiner Freizeit leidenschaftlicher Segler. Bei diesem Sport gelinge es ihm zu entspannen, auch wenn er gerne viele Segel setze, um in Fahrt zu kommen. "Das Gefühl, mit dem Boot abzulegen, ist einfach unbeschreiblich", sagt er. Sehr viele Gelegenheiten wird er dazu in Regensburg allerdings nicht haben. Denn Breu segelt am liebsten auf dem weiten Meer.

Dekanat Regensburg

Das Donaudekanat, also der Evangelisch-Lutherischen Dekanatsbezirk Regensburg, ist flächenmäßig das größte Dekanat in Bayern mit 4225 km2. Mit seinen 24 Kirchengemeinden und gut 72.000 Gemeindegliedern ist es aber im bayerischen Vergleich aber weder das mit den meisten Gemeinden noch das mit den meisten Gemeindegliedern.

Das Donaudekanat Regensburg erstreckt sich von Hemau im Westen bis Hengersberg im Osten und von Maxhütte im Norden bis Abensberg und Osterhofen im Süden. Weil das Dekanat so groß ist und die Wege so weit, ist es in drei Regionen eingeteilt: Stadt, West und Ost. Diese Regionen spielen aber nur für die Hauptamtlichen eine Rolle. So treffen sich nicht immer alle Pfarrerinnen und Pfarrer zu den Pfarrkonferenzen, sondern öfter in den sogenannten Regionalkonferenzen.

Die Webseite des Dekanats Regensburg ist regensburg-evangelisch.de.