Die Szene ist ebenso gespenstisch wie trist: Zweimal im Jahr gibt es auf dem Münchner Waldfriedhof um fünf Uhr morgens eine Massenbestattung. Mindestens 250 Urnen kommen jedes Mal unter die Erde - die sterblichen Überreste von Menschen, die anonym bestattet werden wollten, ohne Pfarrer, ohne Angehörige, ohne Grab und Namenstafel. Im Süden von München werden zwischen fünf und acht Prozent der Toten so bestattet; in Berlin sind es inzwischen 42 Prozent, in Halle mehr als die Hälfte aller Verstorbenen.

Erschütternde Daten ausgerechnet in einem unglaublich sensibel und menschenfreundlich geschriebenen Buch, das sich "Bestattungskulturführer" nennt. Aber ist der Wunsch, nach dem Tod in der Einsamkeit zu verschwinden, an einem Ort, den keiner kennt, ohne Trauerritual, das die Beteiligten möglicherweise nur als lästige Pflicht empfinden, in jedem Fall kulturlos? Autor Rainer Liepold hat als Gemeindepfarrer und Altenheimseelsorger in seinem Berufsleben mehr als 500 Beisetzungen begleitet.

Warum haben Sie einen Bestattungsratgeber geschrieben?

Liepold: Wir Pfarrer unterschätzen manchmal, wie wichtig Beerdigungen sind. Über das Jahr verteilt treffe ich mehr Menschen auf dem Friedhof als in allen Weihnachts-, Oster- und Konfirmationsgottesdiensten zusammen. Die Menschen hören sehr aufmerksam zu, achten auf jedes Detail. Ich bekomme auf keinen Teil meiner Arbeit so viele Rückmeldungen wie auf die Bestattungen. Irgendwann bin ich neugierig geworden, wie man das richtig gut machen kann. Es war spannend zu entdecken, wie der Friedhof funktioniert und was Menschen dort erwarten.

Sie schreiben, man soll den Tod persönlich nehmen: Wie gelingt das?

Liepold: Die meisten Angehörigen wünschen sich zwar eine liebevolle und persönliche Beerdigung, gleichzeitig wissen sie aber nicht, welche Spielräume es für Persönliches auf dem Friedhof gibt. Deswegen laufen viele Beerdigungen am Ende nach dem Muster 08/15 ab. Dabei machen ganz kleine Dinge einen sehr großen Unterschied. Ich kann mich an eine Frau erinnern, die darauf bestanden hat, das Urnengrab ihrer Mutter bis zum letzten Schaufelwurf selber zu schließen. Sie hat die großen Steine aus der Erde geholt, sodass nichts auf die Urne draufgeschlagen hat. Das hat das Ganze persönlich gemacht. Oder die Bestattung, bei der die besten Freunde den Sarg getragen haben. Man kann ohne Weiteres einen Leichnam selber waschen und ankleiden. Man kann einen Sargdeckel bemalen. Es gibt viele Möglichkeiten, aber die Menschen kennen sie nicht. Ein gutes Bestattungsinstitut wird Angehörige aber darauf hinweisen.

Wie findet man denn einen guten Bestatter?

Liepold: Die meisten Bestattungsinstitute bieten Führungen an. Man merkt an der Schaufenstergestaltung und im Gespräch, ob ein Bestatter einfühlsam und natürlich mit Menschen umgeht, oder ob er sie depressiv und formelhaft abspeist. Ein guter Bestatter berücksichtigt individuelle Wünsche, trifft kompetente Entscheidungen und achtet auf jedes Detail.

Welche Wünsche lehnen Sie bei Beerdigungen ab?

Liepold: Zunächst will ich die Menschen ermutigen, die alten Rituale wiederzuentdecken. Wenn sie einen Sarg selber tragen, wenn sie ein Grab selber ausschachten, sind das Möglichkeiten, einen Abschied persönlicher und am Ende erträglicher zu gestalten. Bei den neuen Ritualen hatte ich kein Problem damit, am Grab Prosecco zu trinken oder Ballons aufsteigen zu lassen. Skeptisch bin ich, wenn Menschen sich - nur bei einem guten Essen und ohne den Tod zu thematisieren - um die Erfahrung des Abschieds drücken wollen.

Was wünschen Sie sich bei Beerdigungen?

Liepold: Ich wünsche mir, dass man auf Elektrokerzen verzichtet und dass vom Kruzifix die Spinnweben entfernt werden. Ich finde es schön, wenn die Musik echt ist und nicht vom Band; ich wünsche mir, dass die Sargträger am offenen Grab mit dem Herablassen des Sarges warten, bis der ganze Trauerzug angekommen ist. Ich wünsche mir, dass man Angehörigen sagt, dass sie eine Urne selber tragen können und ein Urnengrab selber schließen dürfen. Ich wünsche mir, dass Pfarrer jede Binde an einem Kranz gerade streichen und dass Menschen sich öfter trauen, selbst zu singen. Ich wünsche mir, dass man auf Neonröhren in Aussegnungshallen verzichtet und dass man über automatisch schließende Vorhänge und von selbst zurückrollende Särge nachdenkt. Ein gutes Bestattungsinstitut wird relativ viel von diesen Dingen berücksichtigen.

Eine Beerdigung kostet im Schnitt 6.000 Euro...

Liepold: Ein schicker Mercedes ist ungefähr fünfmal so teuer wie ein Dacia Logan, doch eine gute Beerdigung ist höchstens 50 Prozent teurer als eine absolute 08/15-Beerdigung. Die Preisunterschiede sind meiner Ansicht nach nicht so groß wie die Qualitätsunterschiede. Wir geben für so viele Dinge Geld aus, dass es mir persönlich seltsam vorkäme, an den Menschen, die ich in guter Erinnerung habe, zu sparen.