Zur Aufarbeitung der Missbrauchsfälle und Prävention hat die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) einen "Beauftragtenrat zum Schutz vor sexualisierter Gewalt" gebildet, dessen Mitglied Sie sind. Wie sehen die konkreten Maßnahmen aus?

Nikolaus Blum: Die EKD hat einen Elf-Punkte-Handlungsplan zur Aufarbeitung sexualisierter Gewalt beschlossen. Dieser Plan wird abgearbeitet. Er beinhaltet die Durchführung von Aufarbeitungsstudien, die Einrichtung eines Betroffenennetzwerks und verbindliche Regelungen für Prävention, Intervention und Aufarbeitung von Fällen sexualisierter Gewalt. Ein weiteres Kernstück dieses Maßnahmenkatalogs ist die neueingerichtete zentrale und unabhängige Anlaufstelle für Betroffene, die zum 1. Juli ihre Arbeit aufgenommen hat.

Welche Aufgaben hat die Anlaufstelle, wie kann sie den Opfern helfen?

Blum: Die Anlaufstelle soll all den Menschen helfen, die sich aus welchen Gründen auch immer nicht direkt an die offiziellen kirchlichen Stellen und Ämter wenden wollen. Jeder Fall ist unterschiedlich gelagert. Die neue Anlaufstelle hat die Aufgabe, diese Menschen an die richtigen Ansprechpartner in den jeweiligen Landeskirchen zu vermitteln. Sie behandelt natürlich alle Anfragen streng vertraulich und gibt Informationen nur mit Einverständnis der Betroffenen weiter.

Konkrete Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen können nur die Landeskirchen leisten. Dort gibt es zuständige Ansprechstellen und in vielen Landeskirchen auch sogenannte Unabhängige Kommissionen, die nach Klärung des Sachverhalts Hilfs- und Unterstützungsmaßnahmen bewilligen können.

Bei Missbrauchsfällen, die schon weit in der Vergangenheit liegen, ist es den Betroffenen meist ein ganz großes Anliegen, dass sie überhaupt Gehör finden und mit Ihren individuellen Erlebnissen ernstgenommen werden. Angesichts ihres Leids und ihrer traumatischen Erfahrungen gilt eben gerade nicht der Spruch, dass die Zeit alle Wunden heilt.

Über den jeweiligen Einzelfall hinaus hat sich die EKD zum Ziel gesetzt, Standards für die Aufarbeitung von Missbrauchsfällen und den Umgang mit den Betroffenen zu erarbeiten, die dann von den Landeskirchen übernommen werden können. Ein wichtiges Feld ist auch die Prävention, damit es gar nicht erst zu diesen schlimmen Fällen des Missbrauchs kommt, die Menschen zutiefst verletzen und zerstören können.

Was tut die bayerische Landeskirche?

Blum: Die bayerische Landeskirche stellt sich seit rund zehn Jahren dem Missbrauchsthema und hat in dieser Zeit eine Vielzahl von Beschlüssen gefasst und Maßnahmen ergriffen. Wir haben mit Regionalbischöfin Gisela Bornowski auf der Ebene der Kirchenleitung eine Ansprechpartnerin für sexualisierte Gewalt. Es gibt seit Jahren eine Anlaufstelle, und eine Unabhängige Kommission, die in vielen Fällen Unterstützungs- und Hilfsleistungen bewilligt hat. Änderungen im Personalrecht und Disziplinarrecht wurden beschlossen. Ohne Frage müssen wir uns aber auf vielen Gebieten noch weiter verbessern. Das betrifft insbesondere den richtigen Umgang mit den Betroffenen. Da lernen wir immer noch dazu.

Eine wichtige Rolle spielt die Prävention. In unserer Landeskirche wurden Leitfäden entwickelt und spezielle Schulungsangebote geschaffen. Alle diese Maßnahmen stehen unter dem Leitsatz, dass auch sexualisierte Gewalt eine nicht hinnehmbare Form von Gewalt ist.

Deshalb möchte ich nochmal betonen, dass gerade in einer Kirche wirklich jeder Missbrauchsfall einer zu viel ist, weil hier das Vertrauen in die Integrität der Persönlichkeit, für das Kirche steht, massiv verletzt und untergraben wird. Deshalb müssen wir künftige Fälle mit aller Macht unterbinden und versuchen, durch Erhebungen und Studien strukturelle Schwachstellen zu erkennen und zu beheben. Als Institution sind wir verpflichtet, jedem einzelnen Opfer mit den jeweils geeigneten Maßnahmen und Hilfen zur Seite zu stehen.