Vielen Menschen fehlt es zur Zeit an Vielem. An Nähe, an Kinderbetreuung, an Geld, an Struktur, an Zuversicht, an Kunden, an Ablenkung, an Verständnis. Mir fehlt

Eine Scheibe Gelbwurst über die Theke bei Metzgerei Schmid.

Meine Hand auf der von Frau Friedel letztens nach der Beerdigung.

Sich so freuen, weil so lang nicht gesehen und fest umarmen.

Kaffee auf dem Spielplatz.

Den Kelch festhalten, für Dich gegeben.

Vor dem Spiegel stehen, Wimpern tuschen, auch wenn es im Kino gleich dunkel ist.

Den großen Eisbecher teilen. Laut mitsingen vor der Bühne.

Das fehlt. Ich lese im Internet, was für wen am schlimmsten ist. Ich lese, wer für was Verständnis hat und wer keins hat. Dass es doch nicht so schlimm sei, wenn die Kinder fünf Wochen zu Hause sind, war ja früher immer so. Oder dass es doch ein bisschen übertrieben sei, jetzt nicht mehr Essen zu gehen.

Corona und #socialdistancing

Ich lese von #socialdistancing, #bleibtzuhause und gleichzeitig von der großen Sorge, wie das eigentlich gehen soll für jetzt noch mindestens fünf Wochen mit Homeschooling, Homeoffice und irgendwann sicher auch Home Kollaps. Mit Frau Friedel hab ich heute telefoniert, sie kommt aus Siebenbürgen und sagt, ach, man muss sich anpassen, es wird vorbeigehen. Deine Ruhe hätt' ich gern, denk ich und meine es ganz ernst. Ich bin unruhig. Als Eltern sind wir nervös, wie gut wir es hinkriegen mit zwei kleinen Kindern zu Hause, ohne Freunde treffen, ohne Spielplatz, Schule und Kindergarten. Und das trotz festem Einkommen, Garten und Landleben.

Als Pfarrerin falle ich von einer Haltung in die andere. Von Aktionismus - Einkaufsservice für die Risikogruppe, Online-Andachten, Plakate kleben - zu Erleichterung - alle Termine abgesagt, keine Konfi-Freizeit, keine Gottesdienste, keine Sitzungen. Auch den KollegInnen, mit denen ich telefoniere, geht es ähnlich: Einerseits haben wir Angst, die Menschen in unserer Gemeinde allein zu lassen und versuchen alles um sie wissen zu lassen, dass ihre Kirche für sie da ist - andererseits merken wir, dass es nichts bringt, zu rennen und zu machen, ohne zu wissen, was gebraucht wird. Wir merken nur: Irgendwas fehlt.

Corona zeigt, was uns fehlt

Und so geht es nicht nur den Pfarrerinnen. So geht es den meisten Menschen um mich herum, so unterschiedlich ihre Situation auch sein mag: Sie spüren, was fehlt. Sie spüren, was sie bräuchten. Wir bräuchten Nähe und sollen Abstand halten. Wir bräuchten Schlaf und haben zu viel im Kopf. Wir bräuchten Me-Time und Self-Care und vor allem weniger Bindestriche zwischen uns und unserem Leben. Wir bräuchten eine Perspektive und die Zuversicht, dass es Sommer wird mit Weißweinschorle und Biergarten und Füße ins Wasser. Und jedes dieser "Wir" ist anders. Alle Sorgen sind anders und jede ist eine andere Belastung. Die Sorge um Oma, um die Fernbeziehung, um die Schule, um den Laden, um meine Gewissheit.

Jede Sorge sucht nach Lösungen und manchmal findet sich auch eine: Weil man im Internet "mit Bild" die Oma anrufen kann, wie meine Töchter sagen, weil der Klassenlehrer sich so viel Mühe mit den Unterlagen gegeben hat und weil Leute Gutscheine kaufen, um die kleinen Läden zu unterstützen. Ja, für vieles gibt es Lösungen und manchmal funktioniert das besser als gedacht. Aber dann gibt es gleich die, die rufen: "Jede Krise ist eine Chance! Besinnen wir uns wieder auf das Wesentliche, das in unserem schnelllebigen Alltag verloren gegangen ist!" Oder sogar: "Wer weiß, welchen Sinn das hat! Wozu das alles gut ist!" Nein, da will ich nicht zustimmen.

Nein, nicht jede Krise muss eine Chance sein

Nicht jede Krise muss eine Chance sein und nicht alles muss einen Sinn haben. Ich will keiner Pandemie einen tieferen Sinn geben - und schon gar keinen gottgewollten - die Tausende Menschen sterben lässt, Pflegekräfte und Ärzte im Dauereinsatz hält und Menschen, die psychisch belastet oder chronisch krank sind, an ihre Grenzen bringt. Corona muss keinen Sinn haben. Das Corona-Virus ist keine Strafe Gottes, keine Chance für die Menschheit und keine Lösung für die Klimakrise. Corona zeigt lediglich in einem Brennglas, was wir schon wissen und fühlen: Was wir brauchen. Was uns fehlt. Meine Hand auf Deiner. Kaffee auf dem Spielplatz. Kino und Theater und schön sein und draußen sein. Sich auf morgen freuen und auf die Ferien und auf den ersten Abend im Biergarten. Wenn uns das alles jetzt fehlt, heißt das nicht, dass wir nach der Corona-Krise unser Leben ändern müssen. Es heißt einfach nur, dass wir das Schöne und das Gute und das Morgen brauchen. Das Leben eben. Und genau das fehlt vielen grade. Wir leben nun mal aus der Hoffnung und nicht aus der Angst. Das ist nicht schlimm. Das ist die Hoffnung des christlichen Glaubens an Gott, der uns und das Leben liebt und der an Weihnachten sagt "Fürchte Dich nicht!" und an Ostern "Er ist auferstanden!"

Hoffnung des christlichen Glaubens auf Gott

Wahrscheinlich feiere ich die Hoffnung und das Leben am Ostersonntag diesmal nicht in der Kirche, sondern nur mit Butterzopf in der Küche. Aber ich werde feiern. Wegen Oma, wegen Kaffee am Spielplatz, wegen der Musik in der vollen Kneipe, wegen der Menschen in meinem Leben, die mir nahe sind. Weil all das zu meinem Leben gehört. Beten werde ich auch: Für die, die nicht zu Hause bleiben dürfen, sondern über die Grenze nach Europa müssen, um leben zu können. Für Frau Friedel. Für meine Freunde. Für mich und meinen Mut, den ich jetzt brauchen könnte. Für all das würde ich vielleicht auch ohne die Corona-Krise beten. Aber jetzt brauche ich es umso mehr. Weil mir das Leben fehlt.

Fastenkalender per Whatsapp

Pfarrerin Sabrina Hoppe bietet einen Fastenkalender auf Whatsapp an. Einfach ihre Telefonnummer speichern, eine Whatsapp mit dem Wort "Fasten" schreiben und dann sind die Empfänger*innen auf der Liste.

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