Oberkirchenrat Detlev Bierbaum ist im Landeskirchenamt für den evangelischen Religionsunterricht, den in Bayern 340.000 Schülerinnen und Schüler besuchen, die Diakonie, die Erwachsenenbildung, die Medien und die Polizei-, Krankenhaus- und Militärseelsorge der bayerischen Landeskirche zuständig. 2019 geht er in den Ruhestand. Im Sonntagsblatt-Interview erzählt er, worauf es ihm ankommt.

 

Wie bewerten Sie Online-Seelsorge im Netz?

Detlev Bierbaum: Seelsorge ist die Muttersprache der Kirche. In unserer Zeit empfinde ich Seelsorge als einen besonders wichtigen Faktor für unsere Kirche. Von daher müssen wir hier auf allen Gebieten präsent sein: Ich denke da an die Polizeiseelsorge, an die Justiz, aber auch an die Online-Seelsorge. Die Online-Seelsorge bedarf des weiteren Ausbaus. Online schreiben Menschen Dinge, die sie selbst in einem sehr engen Vertrauensverhältnis nicht unbedingt aussprechen würden – Lebensumstände, Fehler, Neigungen, die emotional sehr tief berühren oder mit Scham besetzt sind.

Online-Seelsorgerinnen und -seelsorger können wahrnehmen, was diese Menschen bewegt; mit ihnen Fragen aushalten und nach Antworten suchen. Wir als Kirche müssen Sorge dafür tragen, dass Online-Seelsorge absolut sicher ist und wir ganz sorgfältig damit umgehen. Denn das Vertrauen, das uns Menschen entgegenbringen, ist unser größtes Kapital.

 

Religionsunterricht an Schulen

Oberkirchenrat Detlev Bierbaum über den Religionsunterricht.

Ihre Argumente für den Religionsunterricht an Schulen?

Bierbaum: Kinder, die zu uns in den Religionsunterricht kommen, erleben, dass sie als Persönlichkeiten wahrgenommen werden. Das ist ein wichtiges Moment, insbesondere in der Grundschule, wo die Kinder so viel Neues erleben und sie vielfachen Anforderungen ausgesetzt sind. Außerdem vermittelt der Religionsunterricht biblische Geschichten, führt ein in Rituale und macht damit Mut.

Wenn die Kinder älter sind, lernen sie im Religionsunterricht andere Religionen kennen. Sie werden sich mit diesen Einstellungen und Überzeugungen beschäftigen und auseinandersetzen können, weil sie selber wissen, welche Konfession sie haben und was es heißt, evangelisch oder katholisch zu sein. Der Religionsunterricht wird ihnen helfen, in die Weite zu blicken und zu sehen, welche Möglichkeiten und welche Chancen es gibt, um mit anderen Menschen friedlich ins Gespräch zu kommen und andere zu akzeptieren und zu tolerieren.

 

Was würden Sie noch verbessern wollen am Religionsunterricht?

Bierbaum: Wir bieten den 340.000 Schülerinnen und Schülern jede Woche in der Regel einen sehr guten Religionsunterricht an. Aber es ist mir ein großes Anliegen, dass wir unsere Qualität überprüfen und schauen, ob wir ganz nah dran sind an dem, was Kinder und Jugendliche bewegt. Wir haben den Auftrag, ihnen dabei zu helfen, dass sie Antworten finden auf die Fragen ihres Lebens. Und dazu brauchen wir sehr gut ausgebildete Religionslehrerinnen und -lehrer, Pfarrerinnen und Pfarrer, Religionspädagoginnen und Religionspädagogen und staatliche Lehrkräfte, die von diesem Fach begeistert sind und sich auch immer wieder gezielt fortbilden.

 

Was erhoffen Sie sich vom Reformprozess "Profil & Konzentration"?

Bierbaum: Viel! Dieser Prozess denkt in Räumen. Er überlegt, wo die Menschen leben und in welchem Umfeld sie sich bewegen. Was treibt die Menschen um, was quält sie? Wo machen sie sich Sorgen, was freut sie? Es geht darum, herauszufinden, wie wir das Evangelium zu den Menschen bringen – und zwar in der Form, in der die Menschen es benötigen. Das kann unter Umständen ganz anders sein, als wir uns das gerade vorstellen.

In früheren Reformprozesse waren wir stark ausgerichtet auf die Frage der Organisation. Der jetzige Prozess denkt viel mehr vom Menschen her. Gemeindearbeit, Seelsorge oder Religionsunterricht - sie alle müssen immer vom Menschen und seinen Fragen her gedacht werden.

 

Und was ist Ihr theologisches Fundament?

Bierbaum: Während meines Theologiestudiums kam ich ganz stark von ethischen Fragestellungen her. Mich hat immer bewegt, wie es den Menschen geht, was ihnen fehlt, was sie bedrückt, was ihnen auf der Seele lastet. Daher kommt auch meine große Nähe zur Diakonie. Diese Ethik korrespondiert bei mir jetzt mit einem großen Gottvertrauen. Dafür bin ich sehr dankbar. Ich glaube, dass dieses Leben getragen ist, dass es umfangen ist und dass es sich letztendlich runden wird.

 

Was macht einen guten Gottesdienst aus?

Bierbaum: Dass ich hinterher sage, das war ein interessanter Gedanke. Oder aber einfach ein ästhetischer Genuss. Wenn ich das Gefühl habe, der Gottesdienst wurde mit Sorgfalt vorbereitet.

 

Ihr Vorschlag für einen ungewöhnlichen Gottesdienst?

Bierbaum: Wir sollten auch mal an die Gottesdienstformen denken, die für unsere manchmal sehr bürgerliche Kirche als abseitig gelten. Ich schaue neidvoll auf Helene Fischer, die im Olympiastadion vor fast 70.000 Menschen singt. Da drückt sich so viel Sehnsucht von Menschen aus. Warum nicht mal einen Gottesdienst mit Schlagern oder mit Volksmusik anbieten?

 

Diakonie und Kirche

Wie Diakonie und Kirche zusammenwirken können, erklärt Oberkirchenrat Detlev Bierbaum.

Müssen Kirche und Diakonie wieder mehr zusammenwachsen?

Bierbaum: Wichtig ist, dass sich Kirche und Diakonie in einer guten und engen Beziehung zueinander befinden. Wir müssen uns wechselseitig stärken und die Gemeinsamkeit betonen. Ein gutes Beispiel dafür war das Projekt "f.i.t.": Da ergänzten sich diakonische Einrichtungen und Kirchengemeinden und kämpften gemeinsam gegen Armut, die sich in vielfältigsten Formen äußern kann.