Ein knappes Jahr nach dem Sterbehilfe-Urteil des Bundesverfassungsgerichts werden kontroverse kirchliche Positionen zur anstehenden gesetzlichen Neuregelung deutlich.

Während einige hochrangige Vertreter der evangelischen Kirche für die Möglichkeit eines assistierten professionellen Suizids in kirchlich-diakonischen Einrichtungen plädieren, lehnt der Rat der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) das ab. Entschiedener Widerspruch kommt aus der katholischen Kirche.

Diskussion über assistierte professionelle Sterbehilfe

In einem unter anderem von Diakonie-Präsident Ulrich Lilie verfassten Gastbeitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" (Montag) heißt es, kirchliche Einrichtungen sollten eine bestmögliche medizinische und pflegerische Palliativversorgung sicherstellen.

Zugleich dürften sie sich aber dem freiverantwortlichen Wunsch einer Person nicht verweigern, ihrem Leben mit ärztlicher Hilfe ein Ende zu setzen.

Urteil des Bundesverfassungsgerichts

Das Bundesverfassungsgericht hatte im Februar vergangenen Jahres im Wesentlichen den Klagen von Sterbehilfeorganisationen, Ärzten und Einzelpersonen Recht gegeben, die sich gegen das Verbot organisierter - sogenannter geschäftsmäßiger - Hilfe bei der Selbsttötung richteten.

Die Karlsruher Richter erklärten das entsprechende Gesetz für nichtig und begründeten das mit dem Recht auf selbstbestimmtes Sterben, das auch Dritten die Assistenz beim Suizid erlaube.

Die Autoren des Zeitungsbeitrages plädieren für besonders qualifizierte interdisziplinäre Teams in den kirchlich-diakonischen Einrichtungen, um dem vom Verfassungsgericht herausgestellten Recht auf selbstbestimmtes Sterben Geltung zu verschaffen.

Das dürfte "sehr viel eher Ausdruck verantwortlichen Handelns sein", als wenn durch eine Verweigerung Suizidwillige dazu gezwungen seien, "sich auf die Suche nach - möglicherweise durchaus eigennützig und nicht im Interesse des Lebensschutzes handelnden - Organisationen zu machen".

Der Beitrag wurde vom Münchner Theologen Reiner Anselm, der Vorsitzender der Kammer für öffentliche Verantwortung der EKD ist, der Bochumer Theologin Isolde Karle und dem Diakonie-Präsidenten Lilie verfasst.

Er sei das "Ergebnis eines gemeinsamen Diskussionsprozesses" mit dem hannoverschen Landesbischof Ralf Meister, dem Bochumer Juristen Jacob Joussen, der dem Rat der EKD angehört, und dem Palliativmediziner Friedemann Nauck aus Göttingen.

Stellungnahme der EKD

Der EKD-Sprecher sagte zu dem Zeitungsbeitrag, die Evangelische Kirche in Deutschland lehne jede organisierte Hilfe zum Suizid ab, die dazu beitrage, dass die Selbsttötung zur Option neben anderen werde. Zugleich halte sie den gesellschaftlichen Diskurs über den Umgang mit Leid und Tod für notwendig.

"Zu diesem Diskurs können auch evangelische Stimmen beitragen, die von der klaren Position des Rates der EKD abweichen", fügte er hinzu.

Der Sprecher der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Matthias Kopp, sagte, die Ermöglichung des assistierten Suizids sei "nicht die richtige Antwort auf die Lebenssituationen von Menschen, die Suizidwünsche entwickeln oder Suizidabsichten haben".

Er fügte hinzu: "Nicht die Hilfestellung zum Suizid, sondern die Unterstützung bei der Entwicklung von Lebensperspektiven ist in diesen Situationen geboten. Den subtilen Druck, dem assistierten Suizid zuzustimmen, um am Ende des Lebens anderen nicht zur Last zu fallen, halten wir für eine große Gefahr."

In dem Beitrag in der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" heißt es: "Leider gibt es im Umgang mit Suizidenten durch die Kirche eine lange Schuldgeschichte." Heute gebiete es der "aus dem christlichen Glauben entspringende Respekt vor der Selbstbestimmung", dem Sterbewilligen Beratung, Unterstützung und Begleitung anzubieten.

Kirchliche Einrichtungen müssten Orte sein, in denen Suizid auf "sichere und nicht qualvolle Weise" vollzogen werden könne. "Parallel dazu erscheint es aber, ebenfalls zum Schutz der Selbstbestimmung, sinnvoll und auch legitim, von den Suizidwilligen zu verlangen, sich vor der Inanspruchnahme eines assistierten Suizids von einer anerkannten Stelle beraten zu lassen", argumentieren die Theologen Anselm, Karle und Lilie.

Bischof Bedford-Strohm lehnt Hilfe zum Suizid ab

Auch Landesbischof Henrich Bedford-Strohm bezog über seine Facebook-Seite Stellung zu dem Thema: "Als Kirche stehen wir selbstverständlich auch an der Seite derer, die aufgrund von Erkrankung oder einer anderen Notsituation keinen anderen Ausweg als die Selbsttötung sehen." Weiter schrieb Bedford-Strohm: "Aber wir sind dem Schutz des Lebens verpflichtet."

Jede organisierte Hilfe zum Suizid, die dazu beitrage, dass die Selbsttötung zur Option neben anderen werde, lehne er daher ab, betonte der Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD).

Ein Sterben in Würde ermöglichen

Zugleich dürfe man es sich auch nicht einfach machen. Denn hinter der Debatte stünden menschlich sehr bedrängende Situationen, schreibt Bedford-Strohm weiter. Die Kirchen setzten alles daran, Menschen so zu begleiten, dass es ein Sterben in Würde sein könne, ohne dass sie sich das Leben nehmen.

Dazu gehöre etwa eine gute palliative Begleitung. Es gehöre nicht dazu, "dass wir mit organisieren, dass menschliches Leben aktiv beendet wird", bekräftigte der Bischof in seinem Post. "Es ist aus meiner Sicht ein Missverständnis von Selbstbestimmung, wenn ihre höchste Erfüllung darin bestehen soll, dass Menschen sich das Leben nehmen. Suizid ist immer etwas Tragisches, immer eine Niederlage."

Bereits zuvor hatte Bedford-Strohm im ZDF-"heute journal" seine ablehnende Haltung zur organisierten Sterbehilfe betont.

"Ich entnehme dem fünften Gebot 'Du sollst nicht töten' schon einen klaren Auftrag, sich für den Schutz des Lebens einzusetzen. Deswegen sollten wir uns nicht an der organisierten Hilfe zum Suizid beteiligen."