In der Nürnberger Weißgerbergasse pulsiert normalerweise das Nachtleben in Kneipen und Bars. An einem Mittwochabend im Juli strömen Menschen in eine Hip-Hop-Bar, die dort sonst nicht regelmäßig anzutreffen sind: Es sind Ehrenamtliche und Hauptberufliche aus verschiedenen Kirchen und Gemeinden in Nürnberg und Umgebung, die zu einem Infoabend zu "fresh expressions of church" (Fresh X) zusammenkommen.

Warum in einer Hip-Hop-Bar statt in den Räumen eines Gemeindehauses?

Weil "Inkulturation" ein zentrales Thema von Fresh X ist: Grenzen überschreiten, neue Wege gehen, die Milieus und die Kultur der Menschen ernst nehmen, die man erreichen möchte - da können auch andere Räumlichkeiten inspirierend wirken.

Und so entwickelt sich an diesem Abend in der "old'n' dirty soundbar" eine ganz eigene Atmosphäre: Bei schummrigem Licht und gesprayten Wänden sitzen die Besucher an der Bar oder auf Sofas, haben ein Bier in der Hand und kommen so in verschiedenen Nischen der Bar miteinander ins Gespräch.

Vielen fehlt der Zugang zum Glaube

Beim Infoabend wurde über Fresh X informiert und eingeladen zu einem Kurs, der ab September für Nürnberg und Umgebung angeboten wird. An sieben Abenden, zwei Kurssamstagen und einem Wochenende sind Ehrenamtliche und Hauptberufliche eingeladen, den Grundlagen von Fresh X auf den Grund zu gehen und gemeinsam zu überlegen, was das für die Praxis heißt.

Die 24-jährige Hannah sagt nach dem Infoabend: "Mir ist Kirche wichtig, aber ich merke, wie viele meiner Freunde überhaupt keinen Zugang zu Kirche oder Glaube haben." Das liegt ihrer Erfahrung auch daran, "dass Christen immer meinen, sie wüssten alle Antworten, dabei kennen sie die Fragen der Menschen gar nicht". Für viele ihrer Freunde wäre es "ein absoluter Kulturschock", wenn sie in einen ganz normalen Sonntagsgottesdienst geraten würden. An Fresh X findet Hannah faszinierend, "dass man die Menschen ernst nimmt, ihnen zuhört und dass sich dann etwas entwickeln kann, was zu ihnen passt".

Eine Fresh X entsteht dort, wo Menschen

  • auf Gott hören
  • sich der Lebenswelt anderer zuwenden
  • ihnen liebevoll dienen
  • das Evangelium verkörpern
  • andere in die Nachfolge Jesu führen

Den Kurs in Nürnberg unterstützen neben dem Amt für Gemeindedienst Nürnberg auch die Evangelische Jugend Nürnberg, der Lorenzer Laden, die Evangelische Studierendengemeinde, der CVJM Kornmarkt, das Amt für Jugendarbeit und die Jesus Freaks Nürnberg.

"Kirche in doppelter Gestalt"

Die neuen Ausdrucksformen von Gemeinde machen den christlichen Glauben bedeutsam für den Alltag von Menschen, die bisher der Kirche eher kritisch gegenüberstanden. Damit ergänzen Fresh Xdie bestehenden Ortsgemeinden, können und wollen sie aber nicht ersetzen.

Dieses Miteinander von traditionellen und alternativen Gemeindeformen wird in England als "mixed economy" bezeichnet. Am besten kann man diesen Ausdruck mit dem Bild einer Seen-Fluss-Landschaft beschreiben: Ortsgemeinden gleichen Seen. Sie sind tief, beständig, in sich ruhend, mit vielen Ressourcen - auch unter der Oberfläche. Sie "bewässern" alles, was nahe ist, und um diese Seen herum grünt es.

Entfernt man sich jedoch weiter von den Seen, so fehlt das "Wasser des Lebens", man begibt sich in dürre Gebiete. Damit diese geistlich ausgetrockneten Gebiete aber blühen können, muss auch hier neu das "Wasser des Lebens" fließen. Bäche und kleine Flüsse (Fresh X)können es dorthin tragen, indem sie sich ihren Weg durch das Gelände suchen. Fresh X "grünen" entlang von Beziehungsnetzwerken, docken an Alltags- und Freizeitorten an.

Vison einer Kirche

Um nachhaltig bestehen zu können, brauchen diese kleinen Flüsse das große Reservoir der Seen. Die Seen wiederum brauchen Abflüsse und Zuflüsse, sonst versumpfen und verlanden sie. Ortsgemeinden und Fresh X sind zwar sehr verschieden (wie Bodensee und Rhein), gehören aber trotzdem zum gleichen Ökosystem und helfen einander in ihren je spezifischen Aufgaben und Herausforderungen.

Die Vision einer Kirche in doppelter Gestalt macht deutlich: Ortsgemeinden und Fresh X sind keine Konkurrenten, sondern verschiedene Ausdrucksformen, durch die das eine Reich Gottes im heutigen Leben Gestalt gewinnen will.

Daniela Mailänder, Referentin der Evangelischen Jugend Nürnberg, ist mit einem Stellenanteil für das Fresh-X-Netzwerk Deutschland aktiv. Sie sieht in Fresh X keine neue Form von Jugendarbeit, auch kein neues Veranstaltungsmodell einer Kirchengemeinde. "Es ist ein ganz neuer Ansatz in einer sich verändernden Gesellschaft." Sie sieht darin die Chance, mit den unterschiedlichsten Menschen an der missio Dei - der Mission Gottes - beteiligt zu sein. "Fresh X hilft dabei."

Bereits im November 2014 gab es auf Einladung des Amts für Gemeindedienst in Nürnberg ein Netzwerktreffen "Fresh X in Bayern". Über 30 Personen kamen dabei zusammen. Es ging um eine erste Annäherung an das Thema, Erfahrungsaustausch und Überlegungen, wie man den Gedanken weitertragen kann. Das Spannende an Fresh X ist, dass es kein fertiges Konzept gibt, sondern dass man gut in den Alltag der Menschen hineinhören muss, um dann offen dafür zu sein, was durch Beziehungen und Gespräche über den Glauben entsteht.