Kunstwerke als wahre Unikate, als einzigartige gestalterische Leistung einer Persönlichkeit? Das gilt vielleicht für Pablo Picasso, aber nicht für Andy Warhol, der den Spanier um dessen Status als bedeutendster Künstler des vergangenen Jahrhunderts immer beneidet hat und heute auf derselben Stufe mit ihm steht. Und wie dessen exaktes Gegenteil scheint.

Warhol hat die Kunstwelt nicht mit dem Pinsel revolutioniert. Bei ihm sind es die Bilder von Campbell´s-Suppendosen und Brillo-Seifenverpackungen, ein kunterbunter Mao Tse Tung und die strahlende Marylin Monroe, das Rolling-Stones-"Sticky Fingers"-Cover mit der Reißverschluss, Fotoadaptionen vom Sprung einer Buchhalterin aus einem Hochhaus und tödliche Autounfälle oder schwebende, silberne Luftkissen, alles zigfach in serieller Fertigung produziert und jederzeit reproduzierbar. Wer an Andy Warhol denkt, der hat viele der Bilder im Kopf, die aus der Pop-Kultur der 1950er- und 60er-Jahre kommen und heute noch gegenwärtig sind.

Warhol verstand sich als kommerzieller Künstler, der nicht dem Bild des Malers, Bildhauers oder Schnitzers entsprach, sondern nur der Idee einer Kunst. Auf dem Höhepunkt seiner Entwicklung stilisierte er sich selbst zur sozialen Plastik, wurde zur Marke. Heute wäre er ein Influencer. Als "queerer" Künstler mit Migrationshintergrund wird er auch in der Kölner Werkschau thematisiert. Sein Gegenstand war der Kommerz.

Alltagsgegenstände erhob er zur Kunst, in der Reproduktion hielt er der Gesellschaft der Nachkriegszeit den Spiegel vor. Und zog gleichsam die Parallelen zur Kunstproduktion des späten Mittelalters. "Im 17. Jahrhundert haben die Künstler Heiligenbilder vervielfältigt und unter das Volk gebracht. In den USA des 20. Jahrhunderts mache ich dasselbe mit den Dingen des täglichen Lebens", soll er dazu gesagt haben.

Bob Dylan oder Salvador Dali kamen vorbei

In seinem Studio, der "Factory", geben sich in den 60ern Stars wie Bob Dylan oder Salvador Dali die Klinke in die Hand und werden von Warhol mit der Kamera in dreiminütigen "Screen Test"-Kurzfilmen verewigt. Andere Stars werden in der "Factory" geboren oder dazu erkoren: das Missbrauchsopfer und Model Edie Sedgwick, die düstere Rockband Velvet Underground, zahlreiche Transvestiten, Homosexuelle, Künstler, Drogenfreaks. Man kann fast schon von einer Jüngerschaft sprechen, die Warhol um sich schart.

Darin mimt er aber nie den Jesus-gleichen Taktgeber oder moralischen Anführer. Eher den stillen Beobachter, der den teils einsamen bis verlorenen Seelen ein Dach über den Kopf, Aufgaben und Aufmerksamkeit schenkt und sich selbst dabei nie zu tief in die Seele blicken lässt. Unter der weißen, manchmal wilden Perücke, die er schon in jungen Jahren wegen seines chronischen Haarsaufalls trägt, und den zahlreichen Brillen, die er immer im Gepäck hat, kann er es sich gut verstecken.

Nur einmal lenkt er den Scheinwerfer voll auf sich: Als von Operationsnarben übersäter "Schmerzensmann" lässt er sich 1968 ablichten, nachdem er das Waffenattentat durch Valerie Solanas überlebt hat – auch eine dieser gescheiterten Existenzen, die nicht mehr in Warhols Filmen besetzt worden war und sich in Wahn aus Kränkung und generellem Männerhass an ihrem Entdecker rächen wollte. Wie Blake Gopnik in seinem Buch über Warhol schreibt, habe ihn dieses Erlebnis noch religiöser werden lassen. Das traumatische Ereignis habe ihm eine "neue Gottesfürchtigkeit" gelehrt, deren Wurzeln in der Kindheit liegen.

Von der Ostslowakei nach Pittsburgh

Der sonntägliche Kirchenbesuch war der von ruthenischen Minderheit in der Ostslowakei stammenden Familie Warhol ebenso heilig wie dem am 6. August 1928 in Pittsburgh geborenen jüngsten von drei Söhnen von Ondrej und Julia Warhola. Der Kirchgang war dem späteren Künstler aber nie eine lästige Pflicht. Konfessionelle Grenzen interessierten ihn dabei auch nicht. Anfang der 60er war Warhol oft in der Judson-Memorial-Church zu Gast, einer alten protestantischen Kirche auf dem Washington Square.

In deren Keller hatte einer der jüngeren Pastoren junge Künstler eingeladen, die sich dort austoben durften und Installationen schufen. Selbst, als er in den späten 1970ern jeden Sonntag seine Kauflust bei Besuchen privater Kunstsammler befriedigen wollte, musste vorher eine der New Yorker Kirchen besucht werden, schreibt Gopnik. Was Warhol darin suchte, ob er betete oder einfach nur zur Ruhe kam, darüber hat er zeitlebens nie viel gesprochen.

1976 entsteht Warhols Werk "Skulls", eine Bilderserie über ein Foto eines Totenschädels, den Warhol auf einem Flohmarkt in Paris gekauft hatte. Die Fotografie seines Assistenten Ronnie Cutrone wird in verschiedenen Kolorierungen immer wieder variiert. Nicht von ungefähr erinnern diese Schädel an die barocken "Vanitas"-Darstellungen, die als Sinnbilder für die Vergänglichkeit allen Lebens gelten, womit Warhol direkt an eine klassische Kunst-Tradition anknüpft.

Da Vincis "Letztes Abendmahl" in Camouflage

Dass er wenige Jahre vor seinem Tod am 22. Februar 1987 noch eine Bilderserie mit Leonardo Da Vincis "Letztem Abendmahl" in Camouflage-Varianten anfertigt, führt er jedoch auf seine Kindheit im Pittsburgher Viertel der slowakischen Katholiken zurück, wo die Warholas lebten. Vor einem Abzug des berühmten Bildes, der dort an der Wand hing, hätten seine Brüder und er sich immer bekreuzigen müssen. "Man denkt irgendwann gar nicht mehr darüber nach", kommentiert er dies in einem Interview. Wohl aber darüber, dass Da Vincis Abendmahl im Lauf der Jahrhunderte auch zu einem Stück Pop-Kultur geworden ist, das in Serie gefertigt in zahlreichen Haushalten zum Inventar gehört.

Die Christusfigur des Bildes verewigt Warhol mit seinem jungen Kollegen Jean-Michel Basquiat auf zehn Boxsäcken. Von der Pop-Art-Künstlerin und Nonne Corita Kent übernimmt er die Idee, durch das Einbauen von bekannten Logos religiöse Zweideutigkeiten zu schaffen und kopiert in einer weiteren "Abendmahl"-Variante die Marke "Big C" von einem Artikel über "Cancer" (Krebs) mit auf das Bild. In seiner Serie "Crosses" entstanden bereits zwischen 1980 und 1982 Polaroids, Zeichnungen und Siebdrucke, die selbst schon Gegenstand eigener Ausstellungen waren – nicht zuletzt bereits 2012 ebenso in Köln.

Kommerz wird zur Kunst

Der seine moralischen und letztlich auch religiösen Überzeugungen im Verborgenen auslebende Mensch sein Innerstes im Amerika nach dem Zweiten Weltkrieg wie kaum ein Zweiter gespiegelt: Andy Warhol erhob den Kommerz zur Kunst, vor dessen Gegenständen der ganz normale Bürger niederkniet, wie das Heerscharen Kunstbeflissener vor den daraus entstandenen Werken tun, in die Museen strömen oder sich T-Shirts mit Campbell´s-Suppendosen überziehen.

Gerade in den 80ern erleben wir nicht nur im künstlerischen Ausdruck, sondern auch persönlich noch ein bisschen mehr von der Religiosität Warhols. Vielleicht spielt die Beschäftigung mit dem Tod auch hierbei wieder eine Rolle. Enge Freunde sterben an AIDS, in der Mitte des Jahrzehnts noch als "Schwulenkrankheit" verschrien. Warhol beginnt 1985 regelmäßig Freiwilligendienst in New Yorker Suppenküchen zu leisten. Ausgerechnet in einer evangelischen Kirche in der Upper East Side versorgt er an Weihnachten Bedürftige, tritt für die Heilsarmee sogar als Nikolaus auf. Biograf Gopnik kommt aber zu dem Schluss, dass diese "Anständigkeit der letzten Jahre" keine späte Bekehrung zur Tugend sei. Andy Warhol sei eben grundsätzlich ein anständiger Mensch gewesen. Und ein zutiefst religiöser Künstler.

Andy Warhol knüpft mit seinen "Skulls" an die "Vanitas"-Tradition in der Kunst an.