Der Freitod aus Liebe, dem sich Isolde in der auf eine keltische Sage rund um den Kreis um König Artus hingibt, war und ist nach christlicher Vorstellung, wie jeder Selbstmord, Sünde. Noch mehr, weil dieser Suizid, wie im Falle Isoldes, aus Schande über ihren Ehebruch auch als absolute Selbstherrlichkeit wahrgenommen werden kann. Der Tod wird hier als Gnade gesehen, die Gott einem niemals zuteil werden lassen würde und die man sich daher selbst gönnt. "Es existiert nicht für jedes irdische Problem eine irdische Lösung", beschreibt Katharina Wagner selbst die Situation. Ob Isolde tatsächlich stirbt oder mit ihrem Mann König Marke, dem Tristan sie eigentlich zugeführt hatte und der sie am Ende des dritten Aktes schroff von dessen Leiche wegzieht und hinter der Bühne verschwindet, weiterlebt - gestorben ist sie ohnehin schon, wenn auch nicht physisch.

Vielleicht dachte Katharina Wagner bei dieser unerhörten Umdeutung ihres Tristans auch ein bisschen an ihre Urgroßmutter Cosima. Die Gattin des Dirigenten Hans von Bülow hatte jahrelang Ehebruch mit Wagner getrieben, während dieser Zeit mit dem Komponisten drei Kinder gezeugt und nach der Scheidung Wagner erst 1870 geheiratet, als mit dem kleinen Siegfried der einzige Sohn - und Katharinas Großvater - bereits einige Monate auf der Welt war. Ihre Schuldgefühle, die Oliver Hilmes in seiner aktuellen Cosima-Biographie "Herrin des Hügels" eindringlich beschreibt, hatten Cosima bis aufs Sterbebett 1939 verfolgt. Zwar hatte sie sich nach dem Tode Wagners 1883 schnell im Sinne seines Werkes dem Andenken an den "Meister" verschrieben und die noch jungen Bayreuther Festspiele zu einem internationalen Festival von Rang und Namen gemacht. Ein bisschen wie die Isolde Katharinas, die sich ihrer Schuld bewusst weiter leben muss, scheint sie sich aber zeitlebens gefühlt zu haben. Und nicht zu vergessen: 1886 gab die "hohe Frau" ausgerechnet mit dem "Tristan" ihr Regiedebüt in Bayreuth. Der Kreis schließt sich also ein wenig.

Bayreuther Festspiele: Verwirrung im Folter-Kabinett

Der Weg bis dahin ist über die rund vier Stunden Netto-Spieldauer ein Ohren- und Augenschmaus, bei dem man sich wohlig in den Klangteppich, den Christian Thielemann mit dem Orchester legt, hineinkuscheln kann, der dem Zuschauer aber auch einiges Grübeln abverlangt. Die Galerie an Treppen, Balkons und Brüstungen, die teils im Niemandsland enden, teils bei geringster Berührung einklappen, kann man im ersten Akt noch als Sinnbild für das Gefühlslabyrinth sehen, in dem Tristan und Isolde von Anfang an gefangen sind. In dem Gefängnis des zweiten Aktes, das von Folterwerkzeugen gesäumt und von stummen Wachen mit Scheinwerfern ausgeleuchtet wird, sodass die Protagonisten jegliche Privatsphäre verlieren, schaffen sich die Liebenden eine uneinsehbare Nische, die aber ebenso brüchig ist. Atemberaubend sind die Trugbilder im Finale, in denen Isolde an verschiedenen Stellen in Dreiecken auftaucht, die man auch als das Auge Gottes interpretieren könnte. Tristan versucht sie zu umarmen, doch Isolde bleibt gesichtslos, verliert sogar einmal den Kopf.

Es bleibt über die gesamte Spieldauer spannend, wohin die Reise des Liebespaars geht. Das Geschehen, das sich zum hohen Maße auf die beiden der Oper namensgebenden Hauptpersonen richtet, wird von Stephen Gould als Tristan als klassischer Heldentenor mit großem stimmlichen wie auch darstellerischen Impetus vorangetrieben. Da kann Petra Lang als Isolde kaum mithalten, deren Sopran zwar in den Höhen kraftvoll über das Orchester klingt, an anderen Stellen aber kraftlos wirkt. Immerhin hat die Sängerin eine starke Entwicklung durchgemacht seit der Erstaufführung dieser Inszenierung, war in den vergangenen Jahren immer wieder von der Kritik gescholten worden, erntete diesmal aber frenetischen Applaus. Vielleicht auch für die lange Duett-Partie im zweiten Akt, in dem Gould und Lang als Paar gesanglich verschmolzen. Dem Jubel am Ende stand Christa Mayer als Brangäne, die Vertraute Isoldes, in nichts nach, und auch Georg Zeppenfeld als Marke wurde vom Bayreuther Publikum gefeiert.

Musikwissenschaftliche Rätsel

Bleibt noch die Musik, die unter Thielemanns Dirigat als wahrer Rausch der Emotionen, wie ihn kein Liebestrank entfachen kann, aus dem Orchestergraben stieg. Wagner hat in sein 1865 uraufgeführtes Werk so manche musikalische Tücken, allen voran das Leitmotiv des "Tristan-Akkords" eingebaut, über dessen harmonische Deutung sich bis heute Musikwissenschaftler ähnlich den Kopf zerbrechen wie Mathematiker über ihre Rätsel. So hat Katharina Wagner mit ihrer Regie das Musikdrama ein weiteres Fragezeichen erweitert. Oder ein Ausrufezeichen gesetzt? Vielleicht bedeutet es ja ein Stück Hoffnung, dass Isolde weiter leben darf.