Türkische Familien leben mittlerweile seit mehreren Generationen in Bayern. Da sei es doch nur normal, dass Muslime auch Einzug in die Oberammergauer Passionsspiele finden, sagt Spielleiter und Intendant des Münchner Volkstheaters, Christian Stückl. Im Gespräch verrät er, warum er dem 18-jährigen Muslim Cengiz Görür bei der Bekanntgabe der Rollenverteilung für die Spiele 2020 am vergangenen Samstag ausgerechnet die Rolle des Judas, also des Verräters Jesu, gab.

Herr Stückl, Sie haben die Figur des Judas, des Verräters Jesu, mit Cengiz Görür, einem 18-jährigen Muslim, besetzt. Eine bewusste Provokation?

Christian Stückl: Nein! Ich habe die Rolle mit jemandem besetzt, der zu meinen besten Schauspielern gehört. Cengiz ist gerade mal 18 Jahre alt, er hätte auch als Johannes funktioniert oder als ein anderer Jünger. Die mutigere Entscheidung war es, ihn zum Judas zu machen, weil das die größere Rolle ist. Als Hohenpriester oder als Pontius Pilatus zum Beispiel wäre er zu jung gewesen. Da war es für mich einfach die logischste Entscheidung, ihm diese Figur zu geben.

Mit ihrem Zweiten Spielleiter und Nikodemus-Darsteller, Abdullah Karaca, ist ein weiterer türkischstämmiger Muslim im Kader der Passionsspiele. Als Carsten Lück 1990 als Judas der erste Evangelische in einer Hauptrolle war, sorgte das ebenfalls für Gesprächsstoff. Welche Rolle spielt die persönliche Religion der Darsteller für das katholische Stück?

Stückl: Ich frage bewusst nicht ab, wer welche Religion oder Konfession hat. Natürlich weiß ich von dem einen oder anderen, dass er aus der Kirche ausgetreten oder evangelisch ist, aber das soll keine Rolle spielen. Jeder, der sich auf das Spiel einlässt, wird etwas lernen - auch über Jesus. Und vielleicht steht er hinterher auch in seinem Glauben anders da. Jeder der mitmacht, wird sich mehr als viele andere mit Religion beschäftigen und das ist gut so. Ich bin aber der letzte, der Religion abfragt. Ich hab meine, und ich weiß, was ich bin. Und die anderen sollen ihre haben.

Bei uns leben schon in dritter Generation türkische Familien. Und irgendwann kommen die halt auch im Passionsspiel an. Wenn sie bei mir auftauchen und Lust haben, beim Theater mitzumachen, habe ich nicht ihre Religion zu hinterfragen. Das müssen sie mit sich selbst ausmachen.

Cengiz zum Beispiel ist in Oberammergau in einer Familie aufgewachsen, in der man nicht jeden Freitag in die Moschee geht. Der ist genauso säkular aufgewachsen wie vieler meiner anderen Schauspieler. Er wird sich mit seiner Rolle auseinandersetzen, mit ihr streiten. Vielleicht wird er sich mit dem ein oder anderen Verwandten auseinandersetzen müssen darüber, warum er bei den Passionsspielen mitmacht.

Auch Abdullah ist ein offener Mensch, der sich auf die Passionsspiele einlässt. Natürlich hat er einen anderen Blick, weil er nicht unbedingt christlich sozialisiert ist, und wir unterhalten uns viel. Ich mache das zum vierten Mal, bin tief drin, er stellt andere Fragen, die ich spannend finde. Ich finde es toll, was die beiden fragen und wenn jemand mit einer anderen Perspektive draufschaut. Aber in erster Linie sind sie Schauspieler. Nur weil die beiden mitspielen, bekommt das Passionsspiel keinen muslimischen Touch. Dafür bin ich viel zu katholisch.

Welchen inhaltlichen Schwerpunkt wollen Sie bei den Passionsspielen 2020 setzen?

Stückl: Die letzten Male war immer die Leidensgeschichte stark im Zentrum. Aber ich glaube, wir leben in einer Zeit, in der wir wieder mehr die Botschaft Jesu, wofür er gestorben ist, beleuchten sollte. Ich will also das Passionsspiel erweitern um die Botschaft Jesu, weil ich glaube, dass ganz viele Leute gar nicht mehr wissen, was das eigentlich war, was Jesus wollte.