Schon länger hatten August Macke und sein bayerischer Freund Franz Marc über ein gemeinsames Projekt gesprochen. Im Oktober 1912 war es so weit. Während eines Besuchs von Marc in Bonn malten die beiden Künstler das vier Meter hohe Bild "Paradies" an Mackes Atelierwand. 100 Jahre nach Mackes Tod ist dieses Bild nun Ausgangspunkt der Ausstellung "Das (verlorene) Paradies. Expressionistische Visionen zwischen Tradition und Moderne" im Bonner August Macke Haus.

Für die beiden Künstler hatte das Paradies-Bild programmatischen Charakter. Doch auch in den Werken zahlreicher Zeitgenossen spielte der Garten Eden eine Rolle als Symbol einer Suche nach dem Ursprünglichen und Reinen.

Das dokumentieren rund 60 Werke berühmter und auch weniger bekannter Zeitgenossen Mackes, die das Museum zusammengetragen hat. Die Suche nach dem verlorenen Paradies, nach Harmonie und Einklang des Menschen mit seiner Umwelt, bestimmte nicht nur das Werk Mackes und Marcs. Auch für viele andere Künstler zu Beginn des 20. Jahrhunderts bot dieses Sujet die Möglichkeit, Sehnsüchte, Visionen und Utopien von einer idealen Welt darzustellen.

Die Künstler der Klassischen Moderne bildeten das Paradies allerdings nicht mehr getreu den biblischen Schilderungen ab, wie es vor allem in mittelalterlichen Darstellungen üblich war. Vielmehr erscheint das Paradies als Sehnsuchtsort, an dem die Entfremdung des Menschen in der industrialisierten Welt wieder aufgehoben wird. August Macke beschäftigte sich schon ab 1905 mit diesem Thema. Seine Zeichnungen zeigen Adam und Eva als schlenderndes Paar. Hier spiegelt sich die Haltung seiner Generation: das Streben zurück zur Natur, das sich in der perfekten Einheit zwischen Mann und Frau ausdrückt.

Franz Marc nimmt den Schöpfungsakt in den Fokus, etwa in dem Holzschnitt "Die Geburt der Pferde". Für ihn waren es die Tiere, denen er eine besondere Reinheit zuschrieb. Auch Heinrich Campendonk nimmt in seinem Gemälde "Der sechste Tag" von 1914 die Tierwelt in den Blick. Im Vordergrund steht ein aus einzelnen kubistischen Elementen zusammengesetztes katzenartiges Wesen. Tier- und Pflanzenteile wirbeln dynamisch durcheinander - scheinbar auf der Suche nach ihrem rechten Platz.

Doch der Garten Eden dient den Künstlern nicht nur als Utopie einer heilen Welt. Schnell wird deutlich, wie sehr der paradiesische Zustand mit dem Untergang verbunden ist. Vor allem seit Beginn des Ersten Weltkriegs ist der Sündenfall Thema. So zum Beispiel im 1915 entstandenen Gemälde "Vertreibung aus dem Paradies" von Edmund Daniel Kinzinger. Hier sind die grünen Landschaften des Paradieses gegen eine feindlich wirkende, düstere Landschaft in Schwarz und Rot eingetauscht. Adam und Eva kauern mit gesenkten Köpfen vor einem schlundartigen Tor, das den Blick auf einen glutroten Himmel hinter einer Industrielandschaft freigibt.

Vertreibung aus dem Paradies

Max Beckmann zeichnet Adam und Eva 1917 in einer Kaltnadelradierung als gebückte, knochige Figuren, die ihre Scham notdürftig mit der Hand bedecken. Lovis Corinth zeigt 1915 in seiner Kreidelithografie "Kain", was aus dem Paradies geworden ist: Der Sohn Adams und Evas ermordet seinen Bruder Abel.

Auch Macke, der gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs in Frankreich fiel, hatte die latenten Spannungen der Vorkriegszeit wahrgenommen. 1913 entstand das Bild "Weltuntergang", eine Stickerei Elisabeth Mackes nach einem Entwurf ihres Mannes. Das Paradies weicht hier einem Chaos, in dem Menschen und Tiere wild in einen Abgrund gesogen werden - ebenso wie Macke, Marc und zahlreiche andere Künstler der Klassischen Moderne, die dem Krieg zum Opfer fielen. Was blieb, war das Paradies-Gemälde in Mackes Atelier als Utopie einer geheilten Welt.

Leider ist dieses Gemeinschaftswerk Mackes und Marcs nur als Reproduktion im Macke Haus zu sehen. Das Wandbild befindet sich seit 1980 im Westfälischen Landesmuseum Münster und ist zu fragil, um transportiert zu werden. Eine weitere Reproduktion des Paradies-Bildes hängt derzeit in der großen Schau "August Macke und Franz Marc. Eine Künstlerfreundschaft" im Kunstmuseum Bonn, die ab Ende Januar 2015 auch im Münchner Lenbachhaus zu sehen ist.