Der vor 175 Jahren geborene und vor 100 Jahren gestorbene steirische Dichter Peter Rosegger (1843-1918) war ein notorischer Vielschreiber. Im Lauf seines Lebens hat er neben seiner schriftstellerischen Arbeit mit mehr als 1000 Menschen korrespondiert. Nur wenige Briefwechsel sind "beidseitig" erhalten. Einer ist der mit dem Münchner Maler Franz Defregger (1835-1921). Die Journalistin Angelika Irgens-Defregger hat Roseggers Briefe im Nachlass des Künstlers gefunden. Zusammen mit der Steiermärkischen Landesbibliothek hat sie die Korrespondenz herausgegeben. Das Buch "Wir haben uns selten gesehen ..." (2018, 352 Seiten, zahlreiche Illustrationen) eröffnet spannende Einblicke in eine deutsch-österreichische Künstlerfreundschaft des späten 19. Jahrhunderts und zeigt unbekannte Seiten des "Waldbauernbubs":

 

"Ich diene weder der protestantischen noch der katholischen Kirche. Ich suche herzfroh nur dem zu dienen, dem diese Kirchen gestiftet wurden, und das ist EINER." So antwortete der Katholik Rosegger, als er gefragt wurde, warum er ausgerechnet den Protestanten eine Kirche bauen ließ.

Als "Waldbauernbub" hat sich Peter Rosegger ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Doch der steirische Volksdichter und Einödflüchtling hatte noch viele andere Facetten.

Als Gründer, Herausgeber und Mitautor des Heimgarten war er beteiligt an der Entstehung des modernen Zeitungswesens. Die von ihm gegründete Familienzeitschrift – mit Autoren wie Adalbert Stifter, Ludwig Anzengruber, Franz von Kobell, Karl May, Marie von Ebner-Eschenbach und vielen anderen – wurde auch zur Plattform ihm wichtig erscheinender Anliegen. Immer wieder bezog er selbst Stellung zum aktuellen Zeitgeschehen. Er schrieb engagiert und positionierte sich in der Debatte zu Themen wie Antisemitismus, Alkoholismus, Kindererziehung, Kirche, Krieg, Landflucht, Niedergang der Kleinbauernschaft, Strukturwandel und Umwelt.

Frühe Form des Crowdfunding

Im Nebenberuf war der Erfolgsautor sowohl "Industrialisierungsgegner" und Anwalt der Kleinbauern als auch "der Mann mit dem großen Klingelbeutel". Mit Spendenaufrufen für Bildungs- oder Kirchenbauten betrieb er eine Art Crowdfunding, lange bevor es diesen Begriff überhaupt gab.

Erfolgreich finanzierte er so nicht nur 1902 den Bau der Waldschule am Alpl (seiner Heimat) und 1909 den Wiederaufbau der katholischen Kirche in St. Kathrein; er sammelte auch Millionen für den deutschen Schulverein 1909. Am Anfang all dieser Projekte stand jedoch die evangelische Kirche in Mürzzuschlag – der Bau der Heilandskirche des Wiener Architekten Karl Steinhofer.

Um die Jahrhundertwende waren im Zuge der Industrialisierung ins ursprünglich rein katholische Mürztal in der Nordoststeiermark rund 500 Protestanten eingewandert. Ihr evangelischer Pfarrer Adolf Kappus trat an Rosegger mit der Bitte heran, ihn und seine Pfarrgemeinde beim Neubau eines Gotteshauses zu unterstützen. Am 2. Januar 1900 versandte Rosegger an ungefähr 80 deutschsprachige Zeitungen in Deutschland, der Schweiz und Amerika einen Aufruf zur finanziellen Unterstützung des Neubaus. Die Werbeaktion war so erfolgreich, dass Rosegger am 17. Juni mit seiner Familie die Grundsteinlegung und am 18. November desselben Jahres die Einweihung der Heilandskirche mitfeiern konnte.

Der evangelische Neubau war nicht nur ein wichtiger Schritt in Richtung Ökumene. Er nützte zugleich der "Los-von-Rom-Bewegung", einer von der Idee eines großdeutschen Reichs getragenen politischen Bewegung in Österreich mit dem Ziel der Stärkung des Protestantismus und Altkatholizismus, für welche auch Rosegger Sympathie entwickelte. Zu Roseggers 60. Geburtstag 1902 veröffentlichte die nationalliberal und antiklerikal ausgerichtete Satirezeitschrift Der Scherer eine "Prachtfestnummer", in der Rosegger zum Vorbild und Mitstreiter stilisiert wurde.

Alle Kinder Roseggers wurden evangelisch

Dass später vier von Roseggers erwachsenen Kindern in der Heilandskirche zum Protestantismus übertraten, erscheint vor diesem Hintergrund nicht mehr verwunderlich.

Eines allerdings überraschte Roseggers Künstlerfreund, den seinerzeit gefeierten Historien- und Genremaler Franz von Defregger: "Übrigens bin ich sehr verwundert, daß die Protestanten damit einverstanden sind, daß ein Bild mit der Maria und St. Josef in ihre Kirche kommt, – aber das thut man wohl nur Ihnen zuliebe?", schrieb Defregger am 29. April 1900.

Den Maler und den Dichter verband nicht nur ein über vier Jahrzehnte geführter Briefwechsel, sondern auch gemeinsames Buch mit kurzweiligen Geschichten von Rosegger zu Bildern von Defregger. Rosegger hatte den Maler um Hilfe bei der Ausstattung der Mürzzuschlager evangelischen Kirche gebeten. Ein Defregger-Schüler lieferte schließlich eine Kopie von Defreggers "Heiliger Familie" von 1872. Das Original befindet sich in Defreggers Heimat – in der katholischen Pfarrkirche in Dölsach in Osttirol.

Tatsächlich war das Marienbild eine Bedingung des Spenders, wie Rosegger in seiner Autobiografie "Mein Weltleben" zugab: "Weil es aber nicht alle Tage vorkommt, dass ein Katholik für ein evangelisches Gotteshaus Steine trägt, so habe ich mir auch ein kleines Denkmal dessen ausgebeten. Ich bin ein Freund der Marien-Minne, und weil Maria, die Heilandsmutter, ja doch auch eine evangelische Person ist, so habe ich gesagt zu den Evangelischen im Mürztal: Wenn ich mittue, so müsset ihr mir ein schönes Marienbild in die neue Kirche stellen." Und so geschah es.

 

Drei Altarbilder mit Heiliger Familie: links Defreggers Ölskizze  (Museum Georg Schäfer) für sein Bild in der Pfarrkirche Dölsach (in der Mitte auf einer Postkarte), rechts die Kopie, die Emil Böhm nach Defreggers Bild und Roseggers Wunsch für die evangelische Heilandskirche in Mürzzuschlag anfertigte.
Drei Altarbilder mit Heiliger Familie: links Franz Defreggers Ölskizze (Museum Georg Schäfer) für sein Bild in der Pfarrkirche Dölsach (in der Mitte auf einer Postkarte), rechts die Kopie, die Emil Böhm nach Defreggers Vorlage und auf Peter Roseggers Wunsch für die evangelische Heilandskirche in Mürzzuschlag anfertigte.
Evangelische Heilandskirche in Mürzzuschlag in der Steiermark.
Finanziert durch eine Spendenaktion des Katholiken Peter Rosegger: die evangelische Heilandskirche in Mürzzuschlag in der Steiermark.
Die Südtiroler Sommeralm Hochkasern bei Spinges des Malers Franz Defregger auf einem historischen Foto (um 1900).
Die Südtiroler Sommeralm Hochkasern bei Spinges des Malers Franz Defregger oberhalb von Meransen ist heute Privatbesitz. Im Sommer 1900 besuchte der Dichter Peter Rosegger hier seinen Malerfreund.
Sommervilla des Schriftstellers Peter Rosegger in Krieglach in der Steiermark.
Sommervilla des international erfolgreichen Schriftsteller-»Waldbauernbubs«: In Krieglach in der Steiermark baute sich Peter Rosegger unweit der Heimat seiner Kindheit ein Sommerhaus, das der Stadtvilla des Malers Franz Defregger in Bozen ähnelt. Nicht die einzige Parallele der beiden Kunst-Stars des 19. Jahrhunderts.
Der Dichter Peter Rosegger und der Maler Franz Defregger auf einer Postkarte aus dem Jahr 1900.
Im Sommer 1900 besuchte der Dichter Peter Rosegger den Maler Franz Defregger auf dessen Südtiroler Sommeralm Hochkasern bei Spinges. Mit einem Gedicht auf einer Postkarte bedankte er sich bei seinem Freund:

Af d' Olm bin ih gonga
Af d' Olm hats mih gfreid
Af d' Olm möcht ih öfter
Aber - der Weg, der is weit!

Um sa höher da Berg,
Um sa heller das Gläut,
Um sa frischer die Luft,
Um sa liaber de Leut.

Kreuz lustigi Leut,
Kina juchazn oll,
Und s Traurigi is,
daß ma furt muaß ins Thol.

Peter Rosegger
Krieglach, 18.8.1900

Für das Gedicht zitierte und recycelte der Dichter Verse, die er in seinem Bestseller »Am Wanderstabe« in »Eine Wanderung durch die Steiermark« bereits 1882 erstmals veröffentlicht hatte. Sie gehen jedoch nach den ersten beiden Zeilen so weiter:

Af d' Olm geh ih neama,
Da Wäig is ma z' weid.

Da Wäig is ma z' weid.
Und die Schwoagerin z' schdulz,
Und a Bua, dea sa hoch schdeigg,
Is ah nit van Hulz.

PETER ROSEGGER

31. Juli 1843: Geburt als Peter Roßegger auf dem "Unteren Kluppeneggerhof" am Alpl über Krieglach als ältestes von sieben Geschwistern. Der Dichter ändert später die Schreibweise seines Nachnamens.

1849-1854: Unregelmäßiger Unterrichtsbesuch bei einem Wanderlehrer, Schulzeit insgesamt etwa zwei Jahre

1860: Zur Bauernarbeit ist Peter nicht geeignet, Versuche der Mutter scheitern, ihm eine Karriere als Priester zu ermöglichen. Rosegger beginnt eine Schneiderlehre.

1864: Gesellenprüfung. Rosegger sendet erste schriftstellerische Versuche und Gedichte mit eignen Illustrationen an die Grazer Tagespost, wo man sein Talent erkennt.

1868: Rosegger beginnt als freier Schriftsteller zu arbeiten.

1870: Erste Werke in steirischer Mundart

1873: Hochzeit mit Anna Pichler in Graz

1874: Geburt von Sohn Josef ("Sepp"), später Arzt und Komponist

1875: Die "Schriften des Waldschulmeisters" erscheinen und werden ein internationaler Erfolg; nach der Geburt von Tochter Anna stirbt Roseggers Frau im Alter von nur 23 Jahren.

April 1876: Beginn der Korrespondenz mit dem Maler Franz Defregger

1877: Zwei Bände "Waldheimat" erscheinen

1879: Hochzeit mit Anna Knaur in Krieglach

1880: "Bilder von Defregger, Geschichten von Rosegger" erscheint

1900: Bau der evangelischen Heilandskirche in Mürzzuschlag nach einer von Rosegger initiierten großen Spendenaktion

26. Juni 1918: Tod in Krieglach

 

 

FRANZ DEFREGGER

31. April 1835: Franz Jacob Defregger wird in Stronach (Gemeinde Dölsach) als zweiter Sohn eines Bauern und einer Wirtstochter geboren.

1841: Tod der Mutter, des älteres Bruders und drei seiner Schwestern an Typhus

1858: Tod des Vaters. Franz übernimmt den elterlichen Ederhof und verkauft ihn nach zwei Jahren an einen Cousin. Ursprüngliche Pläne, nach Amerika auszuwandern, zerschlagen sich.

1860: Bildschnitzerlehre in Innsbruck, der ihn dem weltbekannten Historienmaler Carl von Piloty empfiehlt

1861: Aufnahme an der Münchner "Königlichen Akademie der Bildenden Künste"

1863-1865: Aufenthalt in Paris

1872: Heirat mit der 20 Jahre jüngeren Anna Maria Müller, Tochter seiner Vermieter; Übersiedlung nach Bozen

1875: Kauf einer Villa in der Münchner Königinstraße 31

1878: Ernennung zum Professor für Historienmalerei an der Münchner Akademie (Nachfolge Piloty; bis 1910)

1883: Besuch von König Ludwig II. im Atelier; Kronenorden und bayerischer Adelstitel

1886: Münchner Bürgerrecht

1900: Erkrankung am Grauen Star

2. Januar 1921: Tod in München. Beisetzung auf dem Nordfriedhof