Im Sommer 1518 war Albrecht Dürer als Vertreter der Stadt Nürnberg auf dem Reichstag in Augsburg. Den reichen, mächtigen Jakob Fugger und andere prominente Zeitgenossen porträtierte der 47-jährige Maler, der damals auf dem Höhepunkt seiner Schaffenskraft war und selbst ein Prominenter von europäischem Ruf. Bekanntschaft machte Dürer in Augsburg auch mit den Schriften Martin Luthers.

Seine private Luther-Bibliothek füllte sich rasch. 1520 schrieb Dürer an den Wittenberger Humanisten, Theologen und Luther-Vertrauten Georg Spalatin, der in Nürnberg zur Schule gegangen war. Dürer bedankte sich bei ihm für Lutherschriften, die ihm Kurfürst Friedrich der Weise hatte zukommen lassen: "Und hilft mir Gott, dass ich zu Martin Luther komme, so will ich ihn mit Fleiß abkonterfeien und in Kupfer stechen zu einem dauernden Andenken des christlichen Mannes, der mir aus großen Ängsten geholfen hat", wünschte er sich.

Dürer verschlang Luthers Schriften

Zu der erhofften Porträtsitzung mit dem Reformator kam es nie. Luther-Bildnisse aus jener Zeit gibt es nur von Lucas Cranach und von Hans Baldung Grien, der allerdings von 1503 bis 1506 Dürers Schüler und engster Mitarbeiter gewesen war.

Dürer ergriff auch nicht wie andere Künstler seiner Zeit mit polemischer Druckgrafik Partei für die Reformation. Doch als 1521 das Gerücht umging, Luther sei gefasst und ermordet worden, bewegte ihn das, ein veritables Klagelied auf Luther zu verfassen.

Einer von Dürers Malergesellen, Georg Pencz aus Bad Windsheim (um 1500-1550), war einige Jahre später Anhänger des "linken", "schwärmerischen" Reformators Thomas Müntzer. Zusammen mit den Malern Barthel und Sebald Beham gehörte Dürers Mitarbeiter ab Herbst 1524 einem konspirativen Kreis an, dem, von Müntzer inspiriert, die lutherische Reformation nicht weit genug ging. Die Verschwörer flogen schnell auf. Als Aufrührer und "ganntz gotlos und haidnische" Ketzer wurden sie aus Nürnberg ausgewiesen. Ob oder wie die drei am wenige Wochen darauf beginnenden Bauernkrieg beteiligt waren, ist nicht bekannt. Im Sommer 1525 jedenfalls schrieben sie aus Bad Windsheim Bittgesuche an den Nürnberger Stadtrat und durften schließlich zurückkehren. Nach Dürers Tod wurde ­Pencz, der bis zu seinem Tod ein kritischer Geist blieb, 1532 sogar offiziell zu Dürers Nachfolger als Stadtmaler von Nürnberg ernannt.

Aus nächster Nähe erlebte Dürer also mit, wie die Reformation sich in einen blutigen Konflikt verwandelte. Im Oktober 1526, ein gutes Jahr nach den mörderischen Bauernkriegen, schenkte Dürer der Stadt Nürnberg ein Doppelgemälde: die "vier Apostel". Ausdrücklicher Wunsch Dürers war es, dass die "vier Apostel" für alle Zeit in der Stadt bleiben sollten. Die Schenkung erfolgte mit der Auflage, das Werk "bey gemainer Statt zu sein gedechtnuß zu behalten und in frembdte händt nit kommen zu lassen". Der Stadtrat nahm die kostbare Gabe nicht als Geschenk an, sondern bestand darauf, dem Künstler ein Ehrenhonorar von 100 Gulden zu bezahlen (was immerhin zwei kleinbürgerlichen Jahresgehältern entsprach).

Begegnung mit Philipp Melanchthon

Im gleichen Jahr, 1526, schuf Albrecht Dürer auch Kupferstiche des Erasmus von Rotterdam und des Philipp Melanchthon. Sein Porträt des an griechischen Quellen arbeitenden Erasmus versah Dürer mit einem lateinischen Text, der Einblick in das humanistisch-philosophische Denken des Malers gibt: "(Ab-)Bild des Erasmus von Rotterdam, nach dem lebenden (Ur-)Bild von Albrecht Dürer gezeichnet / das bessere werden seine Schriften zeigen."

Den Wittenberger Reformator Philipp Melanchthon lernte Dürer kennen, als dieser 1526 bei seinem Freund Willibald Pirckheimer in Nürnberg wohnte. Zu Melanchthons Porträt lautet die (lateinische) Inschrift: "Dürer konnte zwar das Antlitz des Philippus zeichnen, aber die gelehrte Hand konnte nicht seinen Geist malen."

In die Gestalten seiner vier Apostel hat der Humanist Albrecht Dürer die vom antiken Arzt Hippokrates entwickelte Temperamentenlehre eingearbeitet. Jedem der Apostel ordnete er ein bestimmtes Temperament zu (das wiederum auf eines der vier Lebensalter und eine der vier Jahreszeiten verweist). Von links nach rechts sind Johannes, Petrus sowie Markus und Paulus abgebildet. Die linke Tafel strahlt Ruhe aus: Johannes ist der Sanguiniker, er wirkt aktiv, hoffnungsvoll, tatkräftig. Petrus nimmt die Rolle ruhigen Phlegmatikers ein. Beide lesen in der aufgeschlagenen Bibel - im Zeichen des Schlüssels Petri.

Das rechte Bild hat eine völlig andere Ausstrahlung. Es ist von Eifer und Zorn bestimmt. Die Rolle des Cholerikers lässt Dürer Markus zufallen. Sein Paulus ist in schwermütiger, skeptischer Melancholie verhaftet. Im Zeichen des Schwerts ist die Bibel geschlossen.

Ist das Dürers Bekenntnis zur Reformation? Oder humanistische Zeitkritik? Ein Abbild des Gegensatzes von altem Glauben und neuer Lehre? Oder sind im Evangelisten Johannes gar die Gesichtszüge Philipp Melanchthons zu erkennen? Martin Luther schrieb vom Johannesevangelium, es sei "Kern und Mark unter den Büchern". Nur ein Zufall, dass Johannes vor Petrus steht, auf dem die römische Kirche gründet? Rechts dagegen steht Paulus, der als geistiger Vater des Protestantismus gilt, vor dem Apostel Markus.

Müssen die Tafeln also als Bekenntnis zu reformatorischen Prinzipien wie "sola criptura" gelesen werden? Oder als Mahnung vor religiösem Eifer, der in blutiges Verderben führt?

Den Luthertext ließ der katholische Kurfürst absägen

Die "vier Apostel" sind jedenfalls Dürers künstlerisches wie politisches Vermächtnis. Eineinhalb Jahre nach der Schenkung starb Albrecht Dürer am 6. April 1528 - kurz vor seinem 57. Geburtstag - an den Folgen der Malaria, die er sich einst auf seiner Reise in die Niederlande einfing. Auf dem Nürnberger Johannisfriedhof wurde er begraben. Dürers engsten Freund Willibald Pirckheimer beerdigte man zwei Jahre später ganz in der Nähe.

Mit Bibelzitaten zu Füßen der "vier Apostel" fordert Albrecht Dürer die "weltlichen regenten" auf, die Bibel zu achten und sich vor "falschen prophetten" ebenso zu hüten wie vor ethisch-moralischem Verfall und kirchlich-institutioneller Verkommenheit.

Wie sehr Dürers Mahnung vor den Folgen religiösen Eifers auch die weitere Geschichte seines letzten Hauptwerks bestimmen würde, konnte der Maler nicht ahnen. Mitten im Dreißigjährigen Krieg erpresste der katholische bayerische Kurfürst und Dürer-Fan Maximilian I. im Jahr 1627 die Herausgabe der "vier Apostel" von den Nürnberger Stadtvätern: Er hätte das Werk gerne in München, ließ er wissen, und ein Nein würde er als "einen sondern hohen Despect" betrachten.

Die evangelischen Nürnberger, die auf Frieden mit dem mächtigen katholischen Nachbarn angewiesen waren, versuchten trotz der Drohung die Herausgabe noch zu verhindern: Sie wiesen den Kurfürsten darauf hin, dass die Zitate aus der Lutherbibel unter den Figuren im katholischen München Anstoß erregen könnten. Der Kurfürst löste das Problem, indem er die Schrift kurzerhand absägen ließ. Dann schickte er diese Bildreste nach Nürnberg zurück.

Seit dem 27. August des Jahres 1627 befinden sich die "vier Apostel" in München. Von der Isar sind sie entgegen Dürers ausdrücklicher Bestimmung nie an die Pegnitz zurückgekehrt. Die lutherische Inschrift immerhin wurde 1922 wieder angefügt.