Ihr Klavier steht gleich neben dem Fenster mit Fernblick über Prag. Aber davor wurde ein sperriger Tisch gerückt – dahin, wo eigentlich der Platz für den Hocker der Pianistin wäre. "Ich spiele nicht mehr", sagt Zuzana Ruzickova, "mein letztes Konzert habe ich 2006 gegeben." Als sie merkte, dass ihre Triller nicht mehr so kristallin-perlend gelingen wie zu ihrer besten Zeit, als sie selbst mit stundenlangen Etüden nicht gegen das Alter ankam, da zog sie sich zurück, wie sie sagt: "Wenn es nicht mehr so wird, wie es gewesen ist, dann höre ich lieber auf. Schlechter will ich nicht werden."

Zuzana Ruzickova sitzt in ihrem Wohnzimmer, ihren Gehstock hat sie in Griffweite an einen kleinen Tisch gelehnt. Ruzickovas Gesicht wirkt jung, die Augen strahlen noch so wie auf dem Cover der CD-Edition, die gerade jetzt wieder aufgelegt worden ist: Das Gesamtwerk Johann Sebastian Bachs (1685-1750), auf Cembalo eingespielt, mit digital aufbereiteten Aufnahmen aus den 1970er-Jahren – es war die Blütezeit ihrer Karriere.

Verschmitzt und selbstbewusst blickt sie auf dem Foto von damals, in der Hand eine Zigarette. Ihre Einspielung von einst hat sich Zuzana Ruzickova erst jüngst wieder angehört: "Im Großen und Ganzen hat mich überrascht, dass ich nicht ganz unglücklich über die Aufnahmen bin", sagt sie – ein Satz, wie er in seiner Eleganz und Bescheidenheit typisch ist für Ruzickova.

Sie spricht das Deutsch von Max Brod und Franz Kafka

Sie spricht in einem Deutsch, das fast ausgestorben ist: Es ist die gleiche Sprachfärbung, wie sie Max Brod und Franz Kafka gehabt haben müssen, dieses böhmische Deutsch aus den Zeiten, als in Prag neben Tschechisch auch Deutsch gesprochen wurde. Zuzana Ruzickova wurde 1927 in Pilsen in eine wohlhabende jüdische Familie geboren, und schon als Kind verliebte sie sich in Bach. "Meine Klavierlehrerin schenkte mir einmal zu Weihnachten zwei Notensätze von Bach, einige der Präludien und Fugen, und sagte: Susi, das wirst du eines Tages spielen. Mit Ehrfurcht hat sie es mir geschenkt, und mit Ehrfurcht habe ich es empfangen."

So begann eine Liebe, die Zuzana Ruzickova das Leben rettete, davon ist sie überzeugt. Denn dass sie noch lebt, gleicht einem Wunder: Die Nazis verschleppten sie in Konzentrationslager – anderthalb Jahre war sie in Theresienstadt interniert, ein halbes Jahr in Auschwitz, dann zur Zwangsarbeit in Neuengamme, schließlich in Bergen-Belsen. Im Kopf ging Ruzickova immer wieder Bachs Stücke durch, sie bewegte ihre Finger auf einer imaginären Klaviatur und versenkte sich in sein Werk.

"Bach war der Strohhalm, der mich über Wasser gehalten hat", sagt sie heute: "In seinen Stücken klingt an: Was immer den Menschen hier auf Erden geschieht, es existiert doch eine Ordnung, ein Gesetz über allem dem, was wir hier zu bestehen haben. Das hat Bach in seiner Musik lebendig gemacht."

Sie spielte das gesamte Bach-Werk auswendig

Später, auf ihren Konzertreisen um die Welt, spielte sie Bach so versunken, dass sie dabei vergaß, die Partitur umzublättern, sie spielte einfach weiter. Die Musik war ihr so nah, konstatiert sie im Rückblick, dass sie sie geradezu verinnerlichte: Das gesamte Bach-Werk spielte sie auswendig.

Diese Karriere, die Zuzana Ruzickova machte, ist das zweite Wunder in ihrem Leben. "Als ich aus den Konzentrationslagern wieder zurückkam nach Pilsen", erinnert sie sich, "ging ich als Erstes zu meiner Klavierlehrerin von früher. Als sie meine Hände sah, fing sie an zu weinen." Zerschunden von der Zwangsarbeit, von den Wintern ohne Handschuhe, von den Qualen der Lager.

Aber die junge Frau, sie war gerade 18 Jahre alt, konnte sich ein Leben ohne Musik nicht vorstellen. Zehn, zwölf Stunden übte sie am Tag, bis die Beweglichkeit wieder in die Finger kam und die Musik wieder zu strömen begann. An der Musikhochschule lernte sie ihren späteren Mann kennen, den zeitgenössischen Komponisten Viktor Kalabis. Sie entwickelten sich zum bewunderten Paar der tschechischen Musik: Sie als Cembalo-Star, er als weltweit gefragter Komponist. Kalabis starb 2006.

Ihre internationale Karriere begann Zuzana Ruzickova beim ARD-Musikwettbewerb in München, den sie 1956 souverän gewann. "Das war die Zeit, in der ich mich endgültig entscheiden musste, ob ich mich mit Klavier oder Cembalo weiter profilieren sollte", erinnert sie sich.

Die Entscheidung für das Cembalo fiel ihr nicht schwer; wieder stand Johann Sebastian Bach dahinter: Als er seine Werke schrieb, waren sie gedacht für Cembalo oder Orgel. "Schon als Jugendliche habe ich genau deshalb mit dem Cembalo geliebäugelt. Orgel war nichts für mich, ich war ein krankes Kind und fürchtete die kalten Kirchen", sagt sie.

In den 1960er-Jahren spielte sie schon viel draußen in der Welt jenseits des Eisernen Vorhangs. In den 1970ern nach der Niederschlagung des Prager Frühlings war das schwieriger, aber die Anfragen aus den großen Konzerthäusern kamen zu Dutzenden. Zuzana Ruzickova durfte reisen, das Regime brauchte die Devisen. Nach dem Konzert, das war die Bedingung, musste sie gleich wieder zurück.

Ihren Traum, eine tschechische Cembalo-Schule zu begründen, konnte sie erst nach dem Fall des Eisernen Vorhangs umsetzen: Da wurde sie Professorin – und viele ihrer Schüler sind heute selbst bekannte Solisten und Komponisten.

Zuzana Růžičková spielt Johann Sebastian Bachs Cembalo-Konzert d-Moll BWV 1052.