In Ernst Schultzs Musikzimmer in seiner Nürnberger Wohnung im Stadtteil Gostenhof fühlt man sich schnell in die "Swinging Sixties" versetzt: An der Wand hängen alte Bilder, die Schultz mit seinen Bandkollegen zeigen, ein kunstvoll-buntes Kreuz, ein indisches Saiteninstrument – alles ein bisschen hippiesk, "auch wenn ich mit dem Hippie-Begriff nie viel anfangen konnte", erklärt er. "Wir waren heiß auf das Musikspielen, fühlten uns vom Denken her eher Bob Dylan nahe, diskutierten viel und versuchten, uns auszudrücken", erinnert sich Schultz an die 1960er, als es ihn und Sonny Hennig, dem späteren "Kopf" von "Ihre Kinder" als Studenten nach Nürnberg verschlagen hatte. Kennen gelernt hatten sie sich schon Jahre zuvor zufällig auf einer Abschlussfahrt nach dem Abi in Paris. Schultz stammt aus Wreschen in Posen, aus Thüringen stammt Henning.

Ihre musikalischen Wege kreuzten sich in der bayerischen Szene immer wieder in Bands, mit denen sie vor allem in den einschlägigen Clubs der US-Amerikaner spielten. "Man musste mindestens so gut wie die Jukebox sein", beschreibt Schultz den damaligen Ansporn in wilden Zeiten. Irgendwann war ihnen das Nachspielen von Rock-Größen nicht mehr genug, und auch die eigenen Texte, die sie mit mittlerweile geschulten Englisch zu ihren Melodien schrieben, wurden ihnen langweilig. "Wir wollten was anderes machen, deutsch singen", erklärt Schultz. Das taten damals zwar die Schlagerstars der Nation auch. Die neu gegründete Band "Ihre Kinder" hatte aber statt leichter Pop-Muse Elemente aus Rock, Blues, Chanson und Folk im facettenreichen Sound zu bieten.

Ernst Schultz und "Ihre Kinder": Früher rund 180 Auftritte pro Jahr

Und eindringliche, sozialkritische, politische Texte – die natürlich nicht im Radio gespielt wurden. Dafür waren Songs wie das von Orientierungslosigkeit und Zukunftsangst getränkte "Leere Hände" oder das heute vor dem Hintergrund der Klima-Panik nach wie vor aktuelle "Plastiki und Plastika" einfach zu sperrig für das Mainstream-Radio.

Aber die Musik kam an bei der Jugend, die einen Sinn für sinnvolle Texte hatte. So gut, dass "Ihre Kinder" sogar im ZDF in Dietmar Schönherrs und Vivi Bachs "Wünsch dir was" auftreten durften. "Natürlich waren wir mit unseren bunten Klamotten und den langen Haaren ein Skandal", lacht Schultz. Rund 180 Konzerte absolvierte die Band zu dieser Zeit pro Jahr. Der große Durchbruch gelang indes nicht, 1971 war vorerst Schluss. Genau ein Jahr später brachte Udo Lindenberg sein zweites, nun auf Deutsch gesungenes Album heraus und erlebte 1973 mit "Andrea Doria" den kommerziellen Durchbruch. Der Weg für Rockmusik mit deutschen Texten war endgültig für die breite Masse geebnet.

Doch da waren die beiden Pioniere schon wieder anderweitig beschäftigt. Schultz arbeitete mittlerweile als Grafik-Designer, Hennig verdingte sich als Radio-Journalist. Und die beiden brachten weiter Platten auf den Markt – mal gemeinsam, mal solo oder mit neuen Bands. "Die Band hat uns beiden viele Türen geöffnet, auch wenn wir die Lorbeeren nie voll auskosten konnten", meint Schultz. Beide waren aber klug genug, dem ganz großen Rock ’n’ Roll-Traum nicht nachzuweinen. Für Schultz spielt auch seine Frau Heidi, mit der er seit 1967 verheiratet ist, eine große Rolle. "Sie hat mich immer meine Musik machen lassen. Und ich habe zugesehen, dass ich auch im Job erfolgreich bin", erklärt der 75-Jährige.

Mit Udo Lindenberg und Santana auf der Bühne

Eines seiner Werke, eine bunte elektrische Gitarre, die in einen Sonnenuntergang fliegt, zierte 1977 das Plakat von "Rock auf dem Zeppelinfeld" mit Stars wie Santana, Thin Lizzy und Udo Lindenberg. Der meldete sich dann übrigens auch noch einmal bei den Urvätern des Deutschrocks und überlegte, die reformierten "Ihre Kinder" als Begleitband mit auf Tour zu nehmen. Aber er hatte krude Ideen, wollte sich auf einer Sänfte herein tragen lassen. Da haben wir dann nicht mitgemacht", zeigt sich Schultz geerdet.

Seit Kollege Sonny Hennig im Juni 2018 einen Schlaganfall erlitten hat, halten Schultz und der ebenfalls nach wie vor aktive Ihre-Kinder-Schlagzeuger Roland Frenzel die Fahne "Ihre Kinder" hoch. Schultzt spielt viele Solo-Auftritte, bei der er sich mit der Akustischen begleitet und mit seiner Coverband "Wundertüte" bei größeren Events. Und ein Mal im Jahr beim Konzert „Drei mal Dylan“ in den Hubertussälen mit Texten von Bob Dylan in Englisch, Deutsch und Fränkisch Konzerten. Rund 30 Dylan-Texte hat Schultz auf Deutsch übersetzt.

Immer wieder erinnert sich dann jemand an die alten Zeiten, regelmäßig grüßen ihn auf der Straße wildfremde Menschen, die ihn als "Ihre Kinder"-Gitarristen erkennen. Schultz nimmt’s gelassen und bleibt lieber ein stiller Deutschrockstar.