Woran kann man und was sollte man glauben? Und wem nachfolgen? In einer Zeit, in der die Menschen zwar eine starke spirituelle Sehnsucht haben und um sie zu stillen die bewährten Pfade verlassen, klingen diese grundsätzlichen Fragen, die der Komponist in dem rund zweistündigen Werk stellt, ganz modern. "Ich hatte mir beim Elias einen rechten durch und durch Propheten gedacht, wie wir ihn etwa heut' zu Tage wieder brauchen könnten, stark, eifrig, auch wohl bös und zornig und finster, im Gegensatz zum Hofgesindel und Volksgesindel, und fast zu der ganzen Welt im Gegensatz, und doch getragen wie von Engelsflügeln." So hatte Felix Mendelssohn Bartholdy (1809-1847) seine Hauptfigur angelegt. Eine Person also, an der man sich reiben konnte und kann.

Die Fragen nach einer guten Lebensordnung und nach Glaubensspuren betrafen schon den alttestamentarischen Propheten Elias, der im ersten Buch der Könige auftaucht, dem Volk Israel seine polytheistischen Tendenzen austreiben und dieses zum einzigen Gott zurückführen will. Heute sind es nicht nur zahlreiche Götter, denen man huldigen kann. Auch sind aktuell wieder Propheten unterwegs, die Panik schüren mit Botschaften, die an die Wurzeln gehen. Elias sagte dem Volk Israel eine mehrjährige Dürre voraus und wurde dafür arg gescholten. Die modernen Klima-Weissager dagegen stoßen mehrheitlich auf Verehrung. Verkehrte Welt, könnte man meinen. Im ersten Teil des Oratoriums gibt es zumindest ein Happy End durch ein "Regenwunder", das die Trockenheit beendet.

"Elias" in der Lorenzkirche mit zwiespältigem Happy End

Leider ist dem Elias in der zweiten Hälfte nur ein zwiespältiges gutes Ende beschert. Er fällt wiederum in Ungnade, zeigt sich erschöpft und lebensüberdrüssig. Das Volk wird zum Mord an ihm aufgehetzt. Zwar fährt er immerhin noch gen Himmel, hat aber an seinem Lebensende keine rechte Freude mehr. Man darf gespannt sein, welche Parallelen zum dramatischen Geschehen im Oratorium noch den heutigen vermeintlichen Heilsbringern blühen. Und welche Weissagungen noch kommen. Elias immerhin kündigt die Ankunft des Messias an. Am Ende eines spannenden Parforceritts des vermeintlichen Ordnungsstifters also doch noch eine frohe Botschaft.

Dirigent Frieder Bernius, die Klassische Philharmonie und der Kammerchor Stuttgart leisteten am Sonntag (7. Juli) in der voll besetzten Nürnberger Lorenzkirche Großartiges: Im Chorraum unter dem "Engelsgruß" verschmolzen die Klänge von Orchester, Chor und Solisten zu einer schwelgerischen Mischung, in die der Zuhörer eintauchen und sich wegtragen lassen konnte. Die Interpretation des durchaus mit viel Dynamik angelegten Chorwerkes geriet schwelgerisch, dabei aber atmosphärisch sehr dicht. Bei den leisen Stellen konnte man die berühmte Stecknadel fallen hören, wenn ein "Forte" aufbrauste, überflutete der Wohlklang aufbrausend die Kirchenbänke.

Das riss nicht nur das Publikum mit, das sich am Ende mit stehenden Ovationen auch von seinen Plätzen erhob. Besonders Sopranistin Johanna Winkel, die ihren Part mit ausgeprägter Einfühlsamkeit sang, brachte mimisch die Freude an der Musik herüber und verzichtete vor Begeisterung auf das ungeschriebene Gesetz der "Solisten-Etikette", meist ein ernstes Gesicht zu machen. Auch die gesanglichen Leistungen von Altistin Renée Morloc, Tenor Sebastian Kohlhepp und Bass Thomas E. Bauer überzeugten auf ganzer Linie.

Das Konzert wurde vom Bayerischen Rundfunk live im Programm "BR Klassik" übertragen. Die ION endet am 13. Juli mit einer Aufführung von Benjamin Brittens "War Requiem" in der Nürnberger Meistersingerhalle.