Der Sänger, Musiker und Komponist, auf den die Melodie zurückgeht, war ein Megastar seiner Zeit, einer, der in ganz Europa bewundert und geschätzt wurde: Heinrich Isaac (etwa 1450-1517) hieß er, und ursprünglich stammte er aus den Niederlanden. Er wirkte in Frankreich, Tirol, Sachsen, in Paris, in Florenz, in Wien. Er schrieb Messen und Motetten für Reichstage und Papstkrönungen, er schrieb Lieder auf Deutsch, Französisch und Italienisch.

Seine Gesangbuchmelodie hat eine ziemlich komplexe Weitergabegeschichte hinter sich. Doch am Anfang stand ein recht weltliches Abschieds- und Liebeslied: Isaacs Hit "Insprugk, ich muss dich lassen". Darin nimmt der Sänger traurig Abschied von seiner "Buhle" (Geliebten), weil er Innsbruck verlassen und ins "Elend" (also ins Ausland, in die Fremde) muss.

Isaac war Sänger am Hof von Herzog Siegmund von Tirol in Innsbruck. 1485 zog Isaac, angeworben von Lorenzo de’ Medici, weiter ins boomende Florenz. Dort war er Sänger an der Domgemeinde Santa Maria del Fiore, später an der Basilika Santissima Annunziata.

Ein einflussreicher Schüler

Ob er das Lied wirklich aus diesem Anlass schrieb, ist ungewiss. Vielleicht hieß das Lied ursprünglich auch einfach nur "Zurück muss ich dich lassen". Isaac war zeitweise Mitglied der kaiserlichen Hofkapelle. In Pisa nahm ihn der römisch-deutsche König und spätere Kaiser Maximilian I. unter Vertrag, dem er auf seinen Reisen durch das Reich folgte. Der musikbegeisterte Habsburger-Kaiser Maximilian, der von 1493 bis 1519 regierte, machte Wien zur neuen europäischen Hauptstadt der Musik. Dass der Kaiser selbst der Verfasser des Liedtextes gewesen sei, gehört zu den Legenden, die sich um das Lied ranken; die Behauptung, Isaac habe eine ursprüngliche alpenländische Volksweise aufgegriffen, vermutlich ebenfalls.

In Florenz wurde aus Heinrich Isaac "Arrigo il Tedesco": Auch Niederländer galten in Italien als "Tedeschi", Deutsche. Als der Bußprediger Savonarola 1494 sein christliches Taliban-Regime in der Stadt der Reichen und Schönen errichtete, war es mit der Singerei dort vorübergehend vorbei. Wenige Monate vor Luthers Thesenanschlag starb Iasac am 26. März 1517 wohlhabend und geachtet in Florenz.

München – eine Hauptstadt der Musik

Über München führt eine Spur von den Kompositionen Heinrich Isaacs zu Luther und in die Evangelischen Gesangbücher: Isaacs Schüler Ludwig Senfl (um 1490-1543) sammelte und ordnete die Tonsätze seines Lehrers Heinrich Isaac. Die beiden hatten sich in Wien als Mitglieder der kaiserlichen Hofkapelle kennengelernt. Senfls Sammlung wurde allerdings erst 1555, lange nach seinem Tod, veröffentlicht. 

Von 1523 bis zum Ende seines Lebens war Senfl Leiter der herzoglichen Hofkapelle und Hofkomponist in München. Martin Luther und er hatten sich 1518 in Augsburg persönlich kennen- und schätzen gelernt.

Gefährliche Freundschaft

Senfl, vielleicht hieß er auch Senfli, er war wohl ein gebürtiger Basler, blieb dem katholischen Glauben sein Leben lang offiziell treu. Das hinderte ihn aber nicht daran, einen intensiven Austausch mit Luther und anderen Reformatoren zu pflegen oder Aufträge von protestantischen Fürsten anzunehmen. Seine Musik wurde in katholischen und evangelischen Gottesdiensten gespielt.

Dass seine Freundschaft mit Luther für Senfl ein Risiko gewesen sein könnte, deutete der Reformator in einem Brief an, den er 1530 von der Veste Coburg an den Münchner Komponisten richtete. Luther wartete auf der damals sächsischen Burg möglichst nah am Geschehen ab, was sich in Augsburg auf dem Reichstag tat. Dort wurde dem Kaiser das Bekenntnis der Protestanten vorgestellt. Die Liebe zur Musik "hat mir auch Hoffnung gemacht, dass mein Brief dir keine Gefahr bringen wird", schrieb Luther an Senfl, "lobe ich doch deine Herzöge von Bayern gar sehr, auch wenn sie mir nicht im mindesten geneigt sind, und achte sie vor andern hoch, weil sie die Musik so fördern und pflegen". In München war man schon damals sehr entschieden protestantenfeindlich.

Musik gegen die Spaltung

Für den Humanisten Ludwig Senfl stand die Musik über allen konfessionellen und weltlichen Zwistigkeiten. Von beiden Lagern geschätzt, versuchte er, musikalisch etwas zur friedlichen Lösung des Religionskonflikts beizutragen. Für den Augsburger Reichstag schrieb er 1530 eine Motette als Friedensmahnung an die Reichsstände. Ihr Thema ist ein Psalmvers: "Ecce quam bonum – Siehe, wie fein und lieblich ist’s, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen!" (133, 1)

Luthers Depressionen

An Ludwig Senfl schrieb Luther in einer seiner depressiven Phasen: "Die Welt hasst mich und kann mich nicht leiden, und umgekehrt bin ich der Welt müde und habe sie satt", ließ er den Münchner wissen. Er bat ihn um eine mehrstimmige Vertonung, die auf seiner Be-
erdigung erklingen sollte: "In pace in idipsum – Ich liege und schlafe ganz in Frieden". Auch Luther suchte Trost in der Musik, und Senfl erfüllte seinen Wunsch. Aber er schickte noch eine weitere Komposition mit dem Titel "Non moriar, sed vivam – Ich werde nicht sterben, sondern leben" mit. Der ermutigende Text aus Psalm 118 war bewusst gewählt. "Es ist mein Psalm, den ich lieb habe", notierte Luther über ihn, "denn er (…) hat mir aus manchen großen Nöten geholfen."

Liedhandschrift "Palle, palle", um 1485, Florenz - Heinrich Issac (um 1450-1517).
Ein kostbarer illustrierter Chansonnier von Heinrich Isaac: Die Liedhandschrift zeigt den Anfang seiner vierstimmingen Motette "Palle, palle". Sie entstand um 1485 in Florenz. "Palle" (italienisch für "Bälle") spielt auf das Wappen der Herrscherfamilie der Medici an, die Isaac nach Florenz geholt hatten. Das Medici-Wappen zeigt sechs Kugeln oder Bälle. Ein Chansonnier ist nicht nur die französische Bezeichnung für einen Sänger, sondern auch für die Liederbücher der spätmittelalerlichen Troubadourlyrik.