Das Echo in der Medienwelt war gigantisch: Für die Rekordsumme von 450,3 Millionen Dollar, etwa 382 Millionen Euro, wechselte das Bild "Salvator Mundi" - Retter der Welt - am 15. November 2017 in New York den Besitzer. Rekordverdächtig war auch die Publicity: Etwa 27.000 Interessenten hatten sich das Gemälde angeschaut, das das Auktionshaus Christie’s vor der Versteigerung in Hongkong, London, San Francisco und New York präsentiert hatte.

Vor der Versteigerung war der Schätzpreis auf rund 100 Millionen Dollar taxiert worden. Nach etwa 45 Geboten, die die Kaufsumme immer höher trieben, erfolgte schließlich bei 400 Millionen US-Dollar der Zuschlag. Zur Kaufsumme kam noch die Auktionsgebühr von 50,3 Millionen Dollar. Damit ist dieses kleine, nur 65,6 mal 45,4 Zentimeter messende Gemälde das bisher teuerste jemals versteigerte Kunstwerk weltweit.

Prestigeobjekt für das Louvre Abu Dhabi

Der Käufer blieb zunächst im Dunkeln. Erst im Dezember 2017 wurde bekannt, wer diese Rekordsumme bezahlt hatte: Es war das Ministerium für Kultur und Tourismus von Abu Dhabi. Das Emirat am Persischen Golf brauchte dringend ein zugkräftiges Vorzeigestück für sein Prestigeobjekt, den Louvre Abu Dhabi. Gemälde von Rembrandt, Manet, Picasso und van Gogh hängen bereits dort. Leonardos "Meisterwerk" zu zeigen sei Abu Dhabis "Geschenk an die Welt", versprach der oberste Kulturfunktionär in Abu Dhabi, Mohamed Khalifa al-Mubarak.

Doch bis heute ist nicht einmal geklärt, ob dieses Gemälde wirklich von Leonardo da Vinci stammt und damit zu den 15 heute noch erhaltenen Gemälden des Renaissance-Genies hinzugezählt werden darf oder nicht.

Das Bild zeigt in frontaler Ansicht Christus als Heiland der Welt, der die rechte Hand mit segnender Geste erhoben hat und in seiner Linken eine Kristallkugel hält. Entstanden ist es, gemalt mit Ölfarben auf Walnussholz, wohl um das Jahr 1500. Soviel ist derzeit unstrittig. Die Frage ist, ob es aus der Hand Leonardo da Vincis stammt, aus seiner Werkstatt, oder ob es von einem seiner Schüler angefertigt wurde.

1958 wechselte das Bild für 45 Pfund den Besitzer

Die Herkunft ist für den Verkaufspreis entscheidend. Auf dem Kunstmarkt können finanzkräftige Anleger inzwischen Traumrenditen erzielen, zumal auch die Auktionshäuser umso kräftiger mitverdienen, je höher die Verkaufssumme ausfällt. So betrug der Wertezuwachs dieses Werks durch die Auktion 2017 innerhalb von vier Jahren immerhin 323 Millionen Dollar. Für "nur" 127,5 Millionen Dollar hatte der Vorbesitzer, der russische Multimilliardär Dmitri Rybolowlew, den "Salvator Mundi" im Jahr 2013 von dem Kunsthändler Yves Bouvier gekauft. Auch dieser Preis schon war exorbitant, zumal das Bild 1958 für nur 45 Pfund, etwa 60 Dollar, den Besitzer wechselte – in Verkennung seiner Herkunft. Der russische Oligarch jedenfalls hatte sich nach dem Kauf 2013 übervorteilt gefühlt, nachdem er erfahren hatte, dass der Kunsthändler kurz vorher "nur" 80 Millionen Dollar dafür bezahlt hatte.

Doch die Geschichte dieses Gemäldes ist auch schon vorher spannend: Für die Zeit zwischen 1649 und 1763 gibt es einige Hinweise über seinen Verbleib. So war es 1649 als Teil der Sammlung des englischen Königs Karl I. verzeichnet. Nach der Hinrichtung des Königs wurde es verkauft, dann aber zurück in die königliche Sammlung überführt. Später war es im Besitz des Herzogs von Buckingham, dessen Sohn den "Salvator Mundi" versteigern ließ. Im 18. Jahrhundert verloren sich seine Spuren zunächst, dann tauchte das Werk in der Sammlung des englischen Textilhändlers Sir Frederick Cook auf. Im Jahr 1900 war es von Sir Charles Robinson als Werk des Leonardo-Schülers Bernardino Luini für Cook erworben worden. 1958 verkauften dessen Erben das Bild für die oben genannten 45 Pfund an den amerikanischen Möbelhändler Warren E. Kuntz. Die Fachwelt ging zu diesem Zeitpunkt davon aus, dass das Bild eventuell von Giovanni Antonio Boltraffio stammen könnte, dem begabtesten Schüler Leonardos.

2005 wurde das Bild aufwändig restauriert

Nachfolgende Untersuchungen und Restaurierungsarbeiten jedoch ließen einige Kunsthistoriker zu dem Schluss kommen, dass der "Salvator Mundi" vom Meister selbst stammt – andere waren vorsichtiger und gingen, wie auch heute etliche Fachleute, davon aus, dass Leonardo da Vinci zwar das Konzept wohl in Form einer Zeichnung auf Karton lieferte, aber es von seiner Werkstatt ausgeführt wurde.

2005 wurde dann das inzwischen stellenweise übermalte und schlecht restaurierte Bild vom New Yorker Kunsthändler Robert Simon erworben, für angeblich 10.000 Dollar, die Tafel uneben und mit einem deutlichen Riss. Ihm fiel eine außerordentlich realistisch gemalte Hand auf – und ein nicht übermalter Teil des Haars. Trotz des grotesk übermalten Munds berührte ihn das Bild. Er gab das Bild der Restauratorin Dianne Modestini, die in Kleinarbeit die Geheimnisse des Bildes freilegte. Bei der segnenden Hand stieß sie auf eine für Leonardo typische Übermalung. Als sie den dick übermalten Mund freilegte, entdeckte sie Analogien zum Mund der Mona Lisa.

Feststellung der Urheberschaft

Sah sie als Erste einen echten Leonardo? Um die Urheberschaft festzustellen, war das Gemälde 2007 einer Gruppe von Experten vorgelegt und 2008 sogar nach London gebracht worden, um es dort mit dem eindeutig da Vinci zugeschriebenen Gemälde "Felsgrottenmadonna" zu vergleichen, das auch um 1500 entstanden war. 2011 wurde die Begutachtung wiederholt. In allen drei Fällen jedenfalls urteilten die beteiligten da-Vinci-Fachleute, dass von Leonardo zumindest das Motiv des "Salvator Mundi" stammt. Zudem handele es sich hierbei um das Original, von dem sich die mehr als 20 bekannten Kopien ableiten lassen.

Simon verkaufte das restaurierte Bild 2013 dem Kunsthändler Bouvier, vermittelt durch das Auktionshaus Sotheby’s, und der verkaufte es mit sattem Aufschlag von 47,5 Millionen Dollar umgehend Rybolowlew.

Das Werk elektrisierte die Fachwelt. Martin Kemp, ein Kunsthistoriker und Da-Vinci-Experte an der Universität Oxford, bezeichnete den "Salvator Mundi" in der New York Times als "eine Art religiöse Version der 'Mona Lisa'" – es handele sich um da Vincis "stärkstes Statement göttlicher Undefinierbarkeit". Er sieht den Salvator und die Mona Lisa als Gegenstücke: "Das eine beschwört den natürlichen Zauber der menschlichen und irdischen Welten, das andere verweist auf spirituelle Gefilde jenseits des Weltlichen." Doch nicht alle sehen das so. Thomas P. Campbell, ehemaliger Direktor des Metropolitan Museums in New York, verbreitete eine Aufnahme des Gemäldes, die nach der Abnahme der Übermalungen während des Restaurierungsprozesses entstanden war, und mokierte sich darüber, ob sich der Käufer dieser traurigen "Condition" wohl bewusst wäre.

"Ein typischer Leonardo-Schachzug"

Hat Dianne Modestini also etwa ein Werkstattbild "angefertigt"? Der britische Kunsthistoriker Matthew Landrus glaubt, das Werk sei zu 80 Prozent von Leonardo da Vincis Schüler Bernardino Luini gemalt worden. Den Anteil des Meisters schätzt er auf fünf, höchstens 20 Prozent.

Gestützt wird die Echtheit durch maltechnische Vergleiche und zwei Skizzen zum Faltenwurf des Christusgewands auf dem Gemälde, die eindeutig Leonardo zugeordnet werden. Allerdings spricht ein Detail gegen die vollständige Urheberschaft des Meisters. Der hatte sich schon in jungen Jahren intensiv mit der Optik befasst und hätte sicherlich nicht den Fehler begangen, der eindeutig auf dem Gemälde zu finden ist: Es ist die Darstellung der Kristallkugel – genauer die Abbildung der Gewandfalten des Christus hinter der Kugel. Da diese wie eine Linse wirkt, hätten diese Falten "auf dem Kopf" stehen müssen.

Doch der Leonardo-Experte Martin Kemp weist auf eine Besonderheit der Kristallkugel hin. Leonardo habe die Fixsterne als Einschlüsse in den Kristall eingebettet, verriet er dem Magazin Stern. Christus hält nicht wie in den konventionellen Darstellungen ein Symbol der Welt in der Hand. Sondern gleich den gesamten Kosmos, der nach dem griechischen Astronomen Ptolemäus aus ineinanderliegenden Kristallkugeln besteht. Kemp: "Das ändert die ikonografische Bedeutung: Christus wird zum Salvator Cosmi, dem Herrscher des Kosmos. Ein typischer Leonardo-Schachzug!"

Die Frage bleibt: Hat Leonardo das Bild vielleicht nur grob konzipiert und die Ausführung seinen Schülern überlassen? Um dies zu klären, sind weitere Untersuchungen am Bild nötig. Doch seit der Versteigerung im November 2017 ist das Gemälde verschwunden.

Der Louvre Abu Dhabi.
Der Louvre Abu Dhabi.

Zwischenzeitlich kam heraus, dass nicht der Louvre Abu Dhabi das Bild ersteigerte, sondern Prinz Bader bin Abdullah bin Mohammed bin Farhan al-Saud aus Saudi-Arabien, ein Vertrauter von Kronprinz Mohammed bin Salman, ausgestattet mit einer Lizenz von 500 Millionen Dollar. Offenbar bot er mit Abu Dhabis Kronprinz Muhammad bin Zayid Al Nahyan um die Wette. Sie trieben gegenseitig die Summe hoch, weil sie den Erzrivalen Katar als Konkurrenten vermuteten.

Als bin Salman mit dem Bild in Verbindung gebracht wurde, geriet er intern in die Kritik. Das Bild des Erlösers Jesus Christus passt nicht zum streng wahabitischen Islam in Saudi Arabien. Nach einem Bericht des Handelsblatts tauschte der Saudi das Bild gegen die 400 Millionen teure Luxusjacht bin Zavids. Damit wäre der Weltenretter in Abu Dhabi. Das Emirat ließ Frankreich eine knappe Milliarde Dollar zukommen, um für 30 Jahre die Marke Louvre nutzen zu können, inklusive Leihgaben französischer Museen.

Diese Kulturkooperation und ähnliche Deals zwischen Paris und arabisch-islamischen Autokratien erklären die Zurückhaltung der französischen Regierung bei Sanktionen gegen Saudi-Arabien, das wegen der Ermordung des Journalisten Jamal Khashoggi in der Kritik steht. Man darf gespannt sein, wann und wo Leonardos Weltenretter wieder auftaucht. Vielleicht im Louvre von Paris ab 24. Oktober 2019 – bei der größten Leonardo-Schau aller Zeiten. Die "Mona Lisa" soll zum ersten Mal und nur für kurze Zeit ein ebenbürtiges Gegenüber erhalten: den "Salvator Mundi" aus Abu Dhabi.