Es war am letzten Julisamstag, abends gegen halb sieben. Resi und Anton Beilhack, die im Sommer auf der Ludernalm oberhalb vom Sylvensteinsee das Vieh hüten, hören seltsame, hackende Geräusche. Sie holen den Fernstecher. Und trauen ihren Augen nicht: 300 Meter über ihnen schlägt ein Mann mit einer Axt das Gipfelkreuz auf dem Prinzkopf (1818 m) um. Als er sein Werk verrichtet hat, schreit er "komische Laute" zu den beiden auf der Alm hinunter. "Richtig gebrüstet hat er sich", berichtet Resi Beilhack später dem Münchner Merkur, "der hat sich aufgeführt wie ein wildes Tier".

Das Kreuz liegt seither im Gras auf dem Gipfel, nur der Stumpf in der Stahlhalterung steht noch. Die Polizei Bad Tölz rätselt, wer der durchtrainierte, rund 1,90 Meter große dunkelhaarige Täter mit dem großen Rucksack war. Und was ihn zu seiner Axt­attacke auf das Kreuz bewogen haben mag. "Ganz normal ist das wirklich nicht. Auch dass sich der Täter so gar keine Mühe gegeben hat, seine Tat zu verbergen", wunderte sich der stellvertretende Dienststellenleiter der Tölzer Polizei, Polizeihauptkommissar Josef Mayr, gegenüber dem Bayerischen Rundfunk.

Georg Heiß hat das Gipfelkreuz mit aufgestellt und auch das umgehauene Kreuz fotografiert: Sein Foto vom 2012 erneuerten Kreuz zeigt Josef Demmel, Kasper Schmidtner jun., Blasius Heiß und Gebhard Blank (v.li.) auf dem Gipfel des Prinzkopfs.
Georg Heiß hat das Gipfelkreuz mit aufgestellt und auch das umgehauene Kreuz fotografiert: Sein Foto vom 2012 erneuerten Kreuz zeigt Josef Demmel, Kasper Schmidtner jun., Blasius Heiß und Gebhard Blank (v.li.) auf dem Gipfel des Prinzkopfs.

Resi und Toni Beilhack (die wirklich so heißen) beobachten, wie der Mann nach Osten zur Lerchkogelalm absteigt. Dort trifft er auf Kaspar Schmidtner aus Gaißach, der diese Alm bewirtschaftet. "Er zog sich dort um, weil es anfing zu regnen", berichtete der Landwirt und Jäger dem Merkur. Normalerweise hätte er einen Wanderer dafür in die Alm gelassen, wie es Brauch ist in den Bergen. Aber Schmidtners Hund bellte zu sehr. "Das war wohl lebensrettend, wenn der mit der Axt unterwegs war", vermutet Schmidtner. Der Unbekannte habe gesagt, dass er nach Fall wolle - mit ausländischem Akzent. Ist sich Schmidtner deswegen sicher, "dass der was gegen das Christentum hat"?

Begründet oder nicht - ein ungutes Gefühl haben jetzt viele in Lenggries und Gaißach: Die Bauern von dort bewirtschaften das Almgebiet an der Grenze zu Tirol mit Fleckvieh und Rössern.

Der Sachschaden beträgt nur rund 1000 Euro, aber zu Pfingsten wurde unterhalb des Braunecks bei der Dudl-Alm schon einmal ein Kreuz umgehackt. Die beiden Fälle bringt die Polizei jedoch bisher nicht in Verbindung.

Hinweise sind noch keine eingegangen. "Wir hoffen auf die Aufmerksamkeit der Wanderer", sagte Hauptkommissar Mayr dem Bayernkurier: "Hier gibt es so viele Gipfelkreuze, die können wir unmöglich alle bewachen." Über die Motive des Täters könne er im Moment nur raten: "ein ›Kreuzhasser‹ oder ein ›Christenhasser‹ vielleicht oder ein Verrückter?".

Künftig einen Meter kürzer

Nach Würzburg, München, Ansbach bewegen sich auch bei einer symbolträchtigen Sachbeschädigung auf oberbayerischen Berggipfeln die Einschätzungen zwischen "Tat eines psychisch Gestörten" und religiös motiviertem "Terror". Auf den Almen fürchten sie jetzt, dass der Mann mit der Axt wiederkommt.

Das Kreuz auf dem Prinzkopf (der amtlich "Östliches Torjoch" heißt) soll so schnell wie möglich wieder aufgestellt werden. Jedenfalls, wenn es nach dem Willen von Georg Heiß aus Lenggries geht. Erst 2012 hat er das Kreuz zusammen mit Schmidtner und anderen hochgetragen und erneuert. "Der Zimmerer meint, wir können das abgehackte Kreuz wieder aufstellen", sagt Heiß.

Es wird dann eben einen Meter kürzer sein.

GIPFELKREUZE

Berge galten in vielen Kulturen als Wohnsitz der Götter und wurden durch Heiligtümer verehrt. Später entdeckten die Machthabenden Berge als idealen Schauplatz für Hinrichtungen. Dort konnten sie ihre Urteile für das Volk gut sichtbar vollstrecken. Auch Jesus wurde auf einem Hügel, der Schädelstätte Golgatha, gekreuzigt.

Heidnische Kulte, christliche Kreuzverehrung und Aberglaube: Peter Danner, Salzburger Archäologe und Historiker, hat die verschiedenen Traditionslinien von Gipfelkreuzen erforscht. Das erste Gipfelkreuz in christlicher Tradition steht auf Zypern. Helena, die Mutter des römischen Kaisers Konstantin, hatte das Kreuz des guten Schächers um 327 auf die Insel gebracht. Angeblich wurde es dort auf den 668 Meter hohen Berg Olympos entrückt, der seither "Kreuzberg" heißt.

Aber auch Kreuzfahrer und Almbauern konnten dem Gipfelkreuz einen eigenen Nutzen abgewinnen. Erstere setzten es als Wegmarkierungen für ihre Nachfolger ein, letztere erhofften sich von dem Zeichen Schutz vor Unwettern. Ende des 18. Jahrhunderts gelangten die Gipfelkreuze mit der systematischen Alpenerschließung in die höchsten Regionen: 1799 errichteten die Erstbesteiger des Kleinglockners (3770m) ein eisernes Kreuz auf dem bezwungenen Gipfel.

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden viele Gipfelkreuze in den Alpen den Heimkehrern und Gefallenen gewidmet. Vor wenigen Jahren, so Danner, hat die Telekommunikationsbranche die Gipfelkreuze für sich entdeckt als Tarnung für Handymasten. (ssc)