Im Werkkeller der Hardtschule Weilheim herrscht konzentrierte Betriebsamkeit. Teresa Krötz bohrt gerade ein Loch in den Stamm einer Palme, die gleich das geschäftige Treiben auf dem Marktplatz ihrer orientalischen Krippe säumen wird. Albert Linner testet die Beleuchtung seines Bauernhofs: Sogar im Brotback-Häuschen neben dem Wohnhaus glimmt Glut, und der Stall, wo bald Maria und Josef ihr Kind bestaunen, schimmert im warmen Schein einer Laterne. Heute ist Finale beim Krippenbaukurs 2017 des Trachtenvereins Weilheim. Mittendrin: Pfarrer Jost Herrmann. Seine Krippe ist weder alpenländisch noch orientalisch. Das Miniatur-Steinhaus mit Flachdach ist historischen Wohnhäusern aus der Gegend von Bethlehem nachempfunden.

Drei Monate lang hat Herrmann jeden Freitagabend und den ganzen Samstag mit seinen fünf Kollegen hier in der Werkstatt verbracht. »Das schweißt zusammen«, sagt der Pfarrer. Welche Akribie in den Amateurkrippen steckt, zeigen die Details: Jede Dachschindel ist handgefertigt, die Heuböden haben Mini-Seilwinden, Zaunlatten sind absichtlich gebrochen und genauso absichtlich wieder geflickt. Die Kleinigkeiten und das Herzblut machen den Unterschied zu gekauften Krippen aus. »Ich habe eine im Baumarkt gesehen – das geht gar nicht«, sagt Astrid Klein, die extra aus Geltendorf zum Krippenbau nach Weilheim fährt.

Krippenbaumeister gibt praktische Tipps

»Wichtig ist, dass man nicht zu akkurat baut, sondern alles ein bisschen rustikal hält«, erklärt Eckhard Bahle. Der 47-jährige Elektro-Ingenieur hat in einem vierjährigen Lehrgang des Tiroler Krippenverbands alles über Theorie und Praxis des Krippenbaus gelernt. Mit drei Kollegen steht der Krippenbaumeister den Männern und Frauen des diesjährigen Kurses zur Seite. Jede Idee ist willkommen, und so stieß auch Jost Herrmann mit seiner historischen Krippe auf offene Ohren.
 

Bayerische Krippe.
Bayerische Krippe aus Weilheim
Albert Linner mit Krippe.
... Albert Linner in dreimonatiger Feinarbeit. »Ich hab immer gesagt, dass ich eine Krippe baue, wenn Enkel kommen«, sagt Linner.
Teresa Krötz mit orientalischer Krippe.
Für Teresa Krötz ist es schon der zweite Krippenbaukurs. Mit ihrer Mutter Ursula hat die Weilheimerin einen Marktplatz als Erweiterung zu ihrer eigentlichen Krippe gebaut - beides im orientalischen Stil.
Astrid Klein mit bayerischer Krippe.
»Figurenlos« ist Astrid Klein zum Krippenbau gekommen. »Eine Krippe gehört für mich einfach dazu, aber die aus dem Baumarkt kommen nicht in Frage«, sagt die junge Frau, die 50 Kilometer Anfahrt zum Kurs auf sich genommen hat ...
Bayerische Krippe.
... um eine bayerische Krippe für ihre nagelneuen 10-Millimeter-Figuren zu bauen. Die Kunst steckt im Detail: absichtlich gebrochene und wieder geflickte Zäune oder Brückengeländer geben den Krippen ihren Charme.
Jost Herrmann mit Krippe.
Auch bei Jost Herrmanns historischer Krippe, die einem Bethlehemer Wohnhaus zu Jesu Zeit nachempfunden ist, sind alle Steine von Hand ins Baumaterial Styrodur geritzt.
Heilige Familie in historischer Krippe.
Hier liegt das Jesuskind in einem Futtertrog, der - wie zur damaligen Zeit üblich - in den Boden des Wohnraums eingelassen ist. Nach dieser Interpretation wäre Jesus Geburt also keine Stall-, sondern eine Wohnzimmer-Geburt.

Schon lange wollte der Pfarrer ein Missverständnis in puncto Weihnachtsgeschichte aus dem Weg räumen: das vom hartherzigen Herbergsvater, der die hochschwangere Maria nicht ins Haus lässt, sondern zur Niederkunft in den Stall schickt. Herrmann fand Berichte über archäologische Grabungen, die zeigen, wie Wohnhäuser zur Zeit Jesu aussahen: Extra Ställe gab es nicht, die Tiere lebten mit den Menschen quasi im Wohnzimmer – also gab es dort auch eine Futterkrippe. Zum anderen ertappte Herrmann den Bibelübersetzer Martin Luther bei einer kleinen Schlamperei. »Luther übersetzte das griechische Wort ›kataluma‹ mit Herberge – zutreffender wäre aber wohl Gästezimmer gewesen«, erklärt der Pfarrer.

Weihnachtskrippen vermitteln wichtige Botschaft

Hartherziger Wirt? Das Gegenteil könnte der Fall gewesen sein: Weil das Gästezimmer schon vergeben war, ließ der Hausbesitzer Maria und Josef in seinem eigenen Wohnzimmer schlafen. Dort, bei den Tieren, brachte Maria ihr Kind zur Welt und legte es in eine der Futterkrippen. Diese Deutung des amerikanischen Theologen Kenneth Bailey leuchtete Herrmann ein – und passte zu den Erfahrungen, die er in der Flüchtlingshilfe machte. »Gastfreundschaft wird bei den Menschen aus Afghanistan, Syrien und Palästina großgeschrieben«, sagt der Koordinator für »Asyl im Oberland«. Dass beim Krippenbaukurs 2017 ein Platz frei war, schien wie ein Wink des Schicksals. Und so knien im Schaufenster des »Café Asyl« in der Weilheimer Oberstadt nun Maria und Josef in einem Steinhaus vor dem Jesuskind. Es liegt in einer Futterkrippe, die im Boden des Wohnraums eingelassen ist. Das sieht weder kalt aus, noch zugig, es ist nicht abseits, sondern mittendrin.

Jost Herrmann hat nicht die Absicht, die Herbergssuche samt grimmigem Wirt aus den Krippenspielen zu streichen. Er will auch die bayerischen Krippen nicht ihrer Ställe berauben. Krippen und Krippenspiele transportierten eine wichtige Botschaft für die träge gewordene Christenheit: »Öffnet eure Herzen und Häuser – Gott will bei euch einziehen!«, bringt es Herrmann auf den Punkt. Ob er das als Baby tut, oder als Flüchtling aus Syrien, ist für den Asylhelfer offen.

Ausflugs-Tipp

Der Weilheimer Krippenweg

Die Weilheimer Einkaufsstraße »Obere Stadt« lädt im Advent wieder zum »Oberstadtler Krippenweg«: Bis zum 6. Januar präsentieren die Ladenbesitzer in ihren Schaufenstern eine Vielzahl von Krippen. Auch die Exemplare aus dem Krippenbaukurs 2017 sowie Jost Herrmanns historische Krippe sind zu sehen.