Erstaunlich - Restaurator Ingo Trüper vergleicht seine Arbeit mit der von Nationaltorwart Manuel Neuer. Wenn er sich in den kommenden Wochen über ein sehr berühmtes Kunstwerk beugt, über den Engelsgruß von Veit Stoß (etwa 1450-1533) in der Nürnberger Lorenzkirche, muss er wie Neuer "angstfrei agieren". Er müsse zwar seine Grenzen kennen, aber seiner Sache auch sehr sicher sein, sagt Trüper. Seit 30 Jahren kommt der Engelsgruß bei Trüper und seiner Frau Anja Maisel in regelmäßigen Abständen zur Inspektion.

2018 ist es wieder so weit: Das Kunstwerk mit drei Metern Durchmesser, das Maria mit dem Erzengel Gabriel bei der Verkündigung zeigt, wird wieder aus sechs Metern Höhe herabgelassen. In diesem Jahr wird der Engelsgruß 500 Jahre alt.

So lange ist es her, dass die Patrizierfamilie Tucher das Schnitzwerk beim angesehen Bildhauer in Auftrag gab. Die Reformationsbewegung war damals zwar schon in Nürnberg angekommen, aber sicher ist noch nicht, ob sie sich durchsetzt. Stoß umfasst die Szene mit einem Rosenkranz, fünfzig Rosen bilden die Umrandung, unterbrochen von fünf Medaillons. Engel mit Feder- und Fellkleid, lachend oder mit Musikinstrumenten, umtanzen das Paar in der Mitte. Als sich die Stadt Nürnberg 1525 dem lutherischen Glauben anschloss, war das Werk zu katholisch und wurde verhüllt. Ein Bildersturm wie anderswo blieb den Nürnberger Hauptkirchen zum Glück erspart.

Dem Restauratorenpaar Trüper und Maisel ist die Zeit der Entstehung des Kunstwerks allgegenwärtig und der große Veit Stoß ist immer dabei, wenn sie an die Lindenholschnitzereien gehen, die er einst schuf: "So ein Werk ist ja Ergebnis eines Schöpfungsprozess eines Menschen und insofern ist er dabei", sagt Trüper, "als Restaurator bin ich nichts ohne den Künstler".

Er und seine Frau einigen das Werk und nehmen kleine Reparaturarbeiten vor. Seit 30 Jahren nehmen sie immer wieder die gleichen Werkzeuge, erzählen sie: einen nicht zu lauten Staubsauger und einen schönen weichen Pinsel. Wenn tatsächlich einmal etwas kaputt sein sollte, aber in luftiger Höhe kann wenig passieren, kommt noch etwas Kleber zum Einsatz. Damit wird eventuell eine kleine Farb-Scholle befestigt.

Im Restauratoren-Handwerk habe sich zwar im Laufe der Jahre viel weiterentwickelt, erklärt Maisel. Bei aller Lasertechnik und anderen Innovationen gelte es aber zu bedenken, "Was ist machbar, was ist sinnvoll, wo will ich hin?" Bei ihrer Arbeit am Engelsgruß denken die Restauratoren auch an die 750.000 Besuchern, die jährlich auf das Kunstwerk schauen. "Man sollte sich fragen, wie sie das Werk empfinden, ob da was rüberkommt oder nicht. Wir restaurieren auch für die Menschen", sagt Maisel.

Eine umfassende Wiederherstellung hatte der Engelsgruß nötig, als er 1817 aus seiner Höhe auf den Boden fiel und in Tausende Stücke zersprang. Damals hatte die Gemeinde St. Lorenz das Werk wieder in ihre Kirche zurückgeholt, nach dem es seit 1811 in der Nürnberger Burg und in der Frauenkirche gehangen hatte. Maisel und Trüper sind nicht sauer über diese Ungeschicklichkeit, die ein Kunstwerk von Weltrang zerstörte: "Das ist einfach dumm gelaufen. Aber die Leute damals wollten den Engelsgruß wieder haben, das ist wichtig".

 

Der Engelsgruß von Veit Stoß
Der heruntergelassene Engelsgruß (Archivbild von 2013)

Was hat es mit dem "Engelsgruß" auf sich?

Der "Englische Gruß" oder der "Engelsgruß" ist das Hauptkunstwerk in der gotischen Nürnberger Lorenzkirche, einer der beiden evangelischen Hauptkirchen in der Stadt. 1517 hatte der Patrizier Anton II. von Tucher dem bereits 70-jährigen Bildhauer Veit Stoß (etwa 1450-1533) den Auftrag für das Werk aus Lindenholz gegeben.

Anton Tucher war damals "Vorderster Losunger", der Regierungschef des Stadtstaates. Veit Stoß gilt als einer der berühmtesten Bildhauer der Spätgotik. Seine Hauptwerke schuf er in Krakau und Nürnberg.

Bereits im Sommer 1518 wurde das Kunstwerk über dem Hallenchor der St. Lorenzkirche aufgezogen. Der Erzengel Gabriel verkündet Maria die Geburt Christi - steht im Mittelpunkt des Schnitzwerkes, das sechs Meter über dem Boden hängt. Die beiden zentralen Figuren, die farbig gefasst und teilweise vergoldet sind, sind über zwei Meter hoch und stehen in einem ovalen Kranz aus 50 Rosen, die von einer überdimensionale Gebetsperlenschnur umgeben sind.

Sieben Medaillons stellen die sieben Freuden Mariens dar. Am unteren Ende des Kranzes befindet sich eine Schlange mit angebissenem Apfel im Maul. Mit diesem Motiv wird der Bogen zum Alten Testament geschlagen.

Der "Englische Gruß" stürzte 1817 beim Wiederaufhängen ab und wurde dabei fast vollständig zerstört. Seit der Wiederherstellung fehlen die Krone über dem Engelsgruß, das kleine Jesuskind auf dem Zepter des Gabriel und zwei von ursprünglich sechs Engeln. Am 4. September 1939 wurde der Engelsgruß abgenommen und im "Kunstbunker" eingelagert. So überstand er die Bombenangriffe auf Nürnberg.

Vor der Reformation, die in Nürnberg 1525 stattfand, war es Brauch, das Kunstwerk mit einem Vorhang verhüllt zu lassen und an hohen Marienfesttagen den Gläubigen zu zeigen. In den Zeiten nach der Reformation muss der "Englische Gruß" als katholisches Sinnbild des Rosenkranzgebetes allerdings lange Zeit verhüllt geblieben sein.