Angesichts des dräuenden landeskirchlichen Reformprozesses "Profil und Konzentration" (PuK) bringt sich auch die Kunst in Stellung – oder vielmehr die kirchliche "Kunstarbeit" im evangelischen Bayern. Wie immer vor Reformen (manche befürchten: Sparrunden) gilt es, die Bedeutung der eigenen Arbeit ins rechte Licht zu setzen.

Eine Art Positionsbestimmung plus Zwischenbilanz in Sachen Kunst und Kirche vermittelt der schön gestaltete Band "Sieben mal Sieben. Kunst des 21. Jahrhunderts in der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern", herausgegeben vom landeskirchlichen Kunstreferenten Helmut Braun und seinem Team.

Das 21. Jahrhundert ist zwar noch recht jung; aber es ist in der Moderne so eine Sache mit dem Verhältnis von Kunst und Kirche, vor allem jenem der Kirche zur Kunst. Umso verdienstvoller ist es, wie dieses Buch überzeugend anschaulich macht, von welch großer Qualität einiges von dem ist, was an Kunst in den vergangenen 20 Jahren neu in bayerische evangelische Kirchen gekommen ist.

Präsentation bei Kunstsymposium

2010 erschien ein Buch über den Kirchenbau in der ELKB seit 1945. Da lag es nahe, so etwas auch für die Kunst zu machen", sagt Braun bei der Vorstellung des sorgfältig gestalteten und reich bebilderten Bands. Die fand im Rahmen des 11. Kunstsymposiums der Landeskirche in der Münchner Markuskirche statt. Dieses Klassentreffen der evangelischen Kunst-und-Kirche-Szene gibt es seit 2005. Dass das Buch in der 2010 renovierten Münchner Innenstadtkirche seine Premiere hatte, schließt den Kreis: Die Markuskirche gehört mit ihren neuen Prinzipalia – Altar, Ambo und Taufbecken – zu den Vorzeigestücken bayerisch-evangelischer Kirchen-Kunst des 21. Jahrhunderts.

Benjamin Bergmanns unvergänglich-vergängliche Objekte aus mit Licht hinterlegten "Alu-Brettern" sind in dem Band ebenso prominent vertreten wie der Altar-Block und Ambo aus rotem Industriewachs in der Augsburger St.-Anna-Kirche von Lutzenberger + Lutzenberger (2013) oder die große schwebende Altar-Stahlplatte in der Nürnberger Christuskirche von Meide Büdel (2008).

Ein programmatischer Text der scheidenden Münchner Regionalbischöfin Susanne Breit-Keßler in dem Band über das Verhältnis von Kunst und Theologie beginnt mit einem Goethe-Zitat. Es benennt ein fundamentales Problem, wenn von Kunst die Rede sein soll: "Die Kunst ist eine Vermittlerin des Unaussprechlichen; darum scheint es eine Torheit, sie wieder durch Worte vermitteln zu wollen."

Das verbindet Kunst und Kirche: dass sie es beide mit dem Unaussprechlichen, dem "ganz Anderen" zu tun haben und dieses zum Ausdruck bringen wollen. Wie der christliche Glaube konstituiert Kunst "ein Moment von Freiheit in einer Welt der Funktionen und der einstudierten Posen", schreibt Breit-Keßler. Kunst und Kirche (oder besser: Christusglaube) haben die Aufgabe, "gegen schönen und scheußlichen Schein anzugehen, um in der Begegnung mit ihnen wahrhaftigen Sinn zu beschenken".

Parament von Heike und Jiri Mayr für die Emmauskirche Neusäß (2000).
Parament von Heike und Jiri Mayr für die Emmauskirche Neusäß (2000).

Einst war die Kunst nichts als eine "Dienstmagd" der mächtigen, mit dem Staat verbandelten Kirche und der Theologie, wovon Kirchen und Museen Europas reiches Zeugnis ablegen. In der Moderne herrscht eher ein Konkurrenzverhältnis der beiden Deutekünste. Die lang schon autonom gewordene Kunst hat (auch) religiöse Funktionen übernommen.

Umso fruchtbarer kann der Dialog zwischen beiden sein, wo er noch stattfindet – und sich "auf Augenhöhe" ereignet, wo also beide Seiten sich ernstnehmen und keine die andere vereinnahmt (eine Gefährdung, die auf kirchlicher Seite weiterhin viel größer ist als umgekehrt). Dann kann die christliche Deutung eines Kunstwerks dazu beitragen, dessen "schöpferische Tiefendimension" (Breit-Keßler) erst wirklich zu erkennen.

Buch "Sieben mal Sieben"

Der Band "Sieben mal Sieben" zeigt in sieben "Erfahrungsräume" gegliedert jeweils sieben ausgewählte Beispiele zeitgenössischer Kirchenkunst. "Gemeinschaft" und "Zeichen" thematisieren neue Prinzipalia und Kirchenraumgestaltungen. Unter den Überschriften "Gefäß" und "Farbe" geht es um Vasa sacra, Abendmahls- und andere liturgische Gerätschaften sowie Paramente. So hat beispielsweise Christian Hörl 2008 für das Coburger Gemeindezentrum elia&co von der Decke hängende "Liturgische Farbstäbe" geschaffen, die dem Jahresfestkreis folgend jeweils andere Farbseiten zeigen. Unter dem Titel "Raum" sind vor allem zeitgenössische Interventionen in historischen Räumen versammelt: die modernen Farbglasfenster von Johannes Schreiter in der Rothenburger Franziskanerkirche beispielsweise (1997/2015) oder die Deckenmalerei "Gott-Partikel" von Gerhard Mayer in der Markgrafenkirche St. Andreas in Seibelsdorf (2009).

Unter der Überschrift "Zeit" geht es um temporäre Kunstaktionen wie das Kunstprojekt "12 (W)ORTE" des Kirchenkreises Bayreuth zur Lutherdekade (2014/15) oder die gerade wieder laufende Münchner artionale, bei der sich seit 1996 mehr als 80 Künstlerinnen und Künstler beteiligt haben (artionale.de, bis 6. November).

Deckenmalerei »Gott-Partikel« von Gerhard Mayer in der Markgrafenkirche St. Andreas in Seibelsdorf (2009).
Deckenmalerei »Gott-Partikel« von Gerhard Mayer in der Markgrafenkirche St. Andreas in Seibelsdorf (2009).

Schließlich findet unter dem Titel "Bild" noch die landeskirchliche Kunstsammlung Erwähnung. Sie umfasst die stolze Zahl von fast 1.200 Werken und entstand durch Nachlässe, Schenkungen und gelegentliche Ankäufe durch den Landeskirchenrat. Zum Beispiel Arbeiten der Künstler, die die Landeskirche seit 1980 mit ihrem Kunstpreis ausgezeichnet hat, wie jüngst den Bad Windsheimer Maler Gerhard Rießbeck.

Die meisten Objekte stammen aus dem 20. und 21. Jahrhundert, hauptsächlich Druckgrafiken (rund 300 Drucke sind allein vom Augustinum-Künstler Walter Habdank). Aber auch ein Luther-Porträt aus der Werkstatt des jüngeren Lucas Cranach ist darunter oder der Luther-Zyklus von Lovis Corinth (1858-1925), der in München bei Franz von Defregger und Wilhelm Diez studierte und einige seiner bekanntesten Bilder schuf.

Unbekannte Kunstsammlungen

Dennoch dürfte die Existenz der Sammlung den wenigsten evangelischen Christen in Bayern bekannt sein. Die meisten Kunstwerke liegen in einem geräumigen Depot im Neubau des Münchner Landeskirchenamts. Andere sind ausgeliehen: Sie hängen in den Büros der Regionalbischöfe oder im landeskirchlichen Archiv. Den breitesten Einblick in die landeskirchliche Kunstsammlung bietet ein Gang durchs Landeskirchenamt und dessen Büros.

Aber Helmut Braun und sein Team haben schon ein paar Ideen: Die Bilderleihe soll leichter werden für Gemeinden. Und bald, vielleicht schon nächstes Jahr, soll man im Internet durch den Bestand spazieren können – fast schon ein Museum.

Videoinstallation "Hoc est corpus meum" von Benjamin Zuber, Kirche Betzenstein 2014 ("12 (W)ORTE").
Videoinstallation "Hoc est corpus meum" von Benjamin Zuber, Kirche Betzenstein 2014 ("12 (W)ORTE").

Kunst gehört zur kirchlichen Körperpflege...

Angesiedelt ist die kirchliche Kunstarbeit übrigens im landeskirchlichen "Ministerium" für "Gemeinden, Kirchensteuer und Kirchenverfassung" – zusammen mit dem Kirchbau, der Arbeitssicherheit und dem Gesundheitsschutz. Der zuständige "Minister", Oberkirchenrat Hans-Peter Hübner, zitiert in seinem Beitrag Martin Luther: "sine loco et corpore non est ecclesia – ohne einen Ort oder ohne einen Gemeindekörper gibt es keine Kirche" hat dieser in seiner Streitschrift gegen Ambrosius Catharinus geschrieben.

Kunst gehört also zur kirchlichen Körperpflege, "denn für die bewusste Lebensgestaltung sind Kunst und Kultur unverzichtbar", sind sich Hübner und Braun einig. Die landeskirchliche Kunstarbeit entspreche dabei dem Anliegen des PuK-Prozesses, "indem sie verstärkt dorthin geht, wo Menschen leben, statt zu warten, dass sie kommen, weil sie seit Jahren schon mehr in Räumen denkt und weniger in Gemeindegrenzen".

...nach Möglichkeit flächendeckend

Die Kunst sollte der Kirche also nicht nur lieb, sondern auch teuer sein: Hübner und Braun plädieren für eine "nach Möglichkeit flächendeckende" Intensivierung der Kunst- und Kulturarbeit vor Ort.

Dort machen sich, so Brauns Kritik, allerdings viel zu oft schlampige Gemütlichkeiten und "Kitsch" breit: "Auch im Rahmen von Meditationsecken entstehen ganz merkwürdige ›Wohlfühlbiotope‹ mit Sandhaufen, Kerzen, Blumen, bunten Bändern oder farbigen Schals (…)". Richtig ist: Kirchenräume sind öffentliche Räume, "keine Wohnzimmer".

Nicht zuletzt damit sich diese Einsicht verbreitet, gehört "Sieben mal Sieben" in jedes evangelische Pfarramt in Bayern – zumal angesichts des günstigen Subskriptionspreises von 19,80 Euro (bis Weihnachten). Das Buch macht aber auch auf jedem Wohnzimmer-Couchtisch eine gute Figur. Und vielleicht bekommt der eine oder die andere beim Schauen und beim Schmökern ja Lust, die hier versammelten Schätze einmal vor Ort, gewissermaßen "live" auf sich wirken zu lassen.

BUCHTIPP

BUCHTIPP: "Sieben mal Sieben – Kunst des 21. Jahrhunderts in der Evangelisch-Lutherischen-Kirche in Bayern", Kunstverlag Josef Fink, 2019, 232 Seiten, 140 Abbildungen. ISBN 978-3-95976-207-6. Subskriptionspreis bis Weihnachten 2019: 19,80 Euro, danach 29,80 Euro.

Bestellungen über das Kunstreferat der Landeskirche: (0 89) 55 95-313, lkkr@elkb.de