"Rast auf der Flucht vor der Auseinandersetzung mit der Abgefucktheit des Ist-Zustands": Diesen etwas sperrigen Titel hat das Künstler-Duo "Böhler & Orendt" ihrem Werk auf einem baumbestandenen Abhang vor der evangelischen Tagungsstätte Wildbad in Rothenburg gegeben. Nachdem die beiden Künstler im Sommer gut drei Monate im Wildbad gelebt und gearbeitet haben, wurde nun die von ihnen geschaffene Figurengruppe "eingeweiht". Offiziell übergeben wurde das dauerhaft installierte Kunstwerk – elf lebensgroße, mit Epoxidharz plastinierte Gestalten – im Rahmen des 9. Kunstsymposiums der bayerischen Landeskirche mit dem Thema "Sehnsuchtsorte".

Kurz vor dem landeskirchlichen Kunstsymposium war eine Bombe geplatzt: Der Evangelische Pressedienst hatte bekannt gemacht, dass der Kirche ein Kaufangebot für die traumhaft gelegene Immobilie im Taubertal vorliegt. Finanzchef Erich Theodor Barzen sagte, man prüfe das Angebot. Der Interessent ist ein Investor aus Bad Windsheim, der bereits als Hotelier in Rothenburg engagiert ist.

Ungewisse Zukunft

Kaum verwunderlich also, dass die Frage, wie es mit dem Wildbad weitergeht, auch auf dem Kunstsymposium in vielen Gesprächen das wichtigste Thema war. Hat man doch gerade mit "Art Residency Wildbad" den Versuch unternommen, das evangelische Tagungshaus als "­Kulturort" zu etablieren. Jeden Sommer sollten in den nächsten zehn Jahren Künstler im Wildbad für mehrere Monate wohnen und arbeiten.

"ART RESIDENCY WILDBAD ist auf mindestens 10 Jahre angelegt", schreibt der Leiter der evangelischen Tagungsstätte, Pfarrer Herbert Dersch, daher noch im Vorwort des zum Kunstwerk gehörigen Katalogs. Von den jüngsten Entwicklungen zeigt er sich geschockt. Ob wie geplant auch im kommenden Jahr wieder ein Künstler, eine Künstlerin oder Künstlergemeinschaft im Wildbad einziehen wird, um Kunst zu machen, ist nun völlig unsicher.

Der landeskirchliche Kunstreferent Helmut Braun (auf dem Bild links oben in der Mitte) zwischen dem Künstler-Duo »Böhler & Orendt« vor der von ihnen geschaffenen Figurengruppe im Park des Wildbads Rothenburg.
Der landeskirchliche Kunstreferent Helmut Braun (auf dem Bild links oben in der Mitte) zwischen dem Künstler-Duo »Böhler & Orendt« vor der von ihnen geschaffenen Figurengruppe im Park des Wildbads Rothenburg. Ganz rechts ist von hinten der Leiter der evangelischen Tagungsstätte, Pfarrer Herbert Dersch, zu sehen.
Figurengruppe von »Böhler & Orendt« im Park des Wildbads Rothenburg (2).
Elf lebensgroße menschliche Gestalten, die wie gestrandet Rast zu machen scheinen im Park vor der evangelischen Tagungsstätte Wildbad Rothenburg.
Köpfe der Figurengruppe von »Böhler & Orendt« im Park des Wildbads Rothenburg.
Köpfe der Figurengruppe von »Böhler & Orendt« im Park des Wildbads Rothenburg.
Flüchtlinge, Obdachlose oder spirituell Unbehauste auf dem Weg vom Touristen-Idyll Rothenburg zu einer Einrichtung der Kirche? Die Figurengruppe von »Böhler & Orendt« lässt viele Deutungen zu.
»Destination Promised Land« (»Zielort Gelobtes Land«) steht auf dem T-Shirt, das eine der Figuren trägt.
Figurengruppe von »Böhler & Orendt« im Park des Wildbads Rothenburg - Detail »Rückenansicht«
Erschöpfung auf der Flucht? Oder eine abwehrende Geste? Eine Figur aus der vom Künstler-Duo »Böhler & Orendt« im Park des Wildbads Rothenburg aufgestellten Gruppe.
Figurengruppe von »Böhler & Orendt« im Park des Wildbads Rothenburg.
Infotafel zur Figurengruppe von »Böhler & Orendt« im Park des Wildbads Rothenburg
»Rest on the escape from the confrontation with the fucked-up-ness of the status quo« oder »Rast auf der Flucht vor der Auseinandersetzung mit der Abgefucktheit des Ist-Zustands«: So hat das Künstler-Duo »Böhler & Orendt« ihr dauerhaft im Park der evangelischen Tagungsstätte Wildbad Rothenburg installiertes Werk betitelt. Doch ob es in den nächsten Jahren wie geplant zu weiteren Auflagen des »Artist in residency«-Programms im Wildbad kommt, ist ungewiss. Die Landeskirche prüft das Kaufangebot eines Investors.

Die autonome Kunst der Moderne spricht eine eigene Sprache. Das Mittelalter, als die Künste fromme Dienstmägde von Kirche und Theologie zu sein hatten, sind lang vorbei. Mitunter reden moderne Kunst und Theologie vom Gleichen, verstehen sich aber nicht. Der landeskirchliche Kunstbeauftragte Helmut Braun leidet darunter, dass viele Vertreter seiner Kirche sich ebenso borniert wie beharrlich weigern, grundlegende oder verfeinerte Kenntnisse in der "Fremdsprache der Kunst" zu erwerben.

Unbehauste Fragensteller

Dabei ermöglicht oft schon ein kindlich unmittelbarer Blick Perspektiven: Die "Böhler & Orendt"-Figuren im Park des Wildbads lassen sich beispielsweise als Kommentar zu den Migrationsbewegungen unserer Zeit lesen. Rast auf der Flucht ist auch ein biblisches Thema. Rasten hier vor Krieg oder Armut zu uns Geflüchtete, eine sichere Unterkunft im Blick, weil die Kirche (als Eigentümerin des Wildbads) sie schützen wird? Dann wäre das Kunstwerk eine Art Lob für die Flüchtlingspolitik der Kirche.

Oder sind die unbehausten elf Reisenden Metaphern für eine säkulare Gesellschaft, die zunehmend rätselnd vor den Toren der Kirchen und ihrer Einrichtungen steht? Immerhin scheint die Figurengruppe ja vom Touristen­idyll der Rothenburger Altstadt hinunterzusteigen in Richtung Wildbad.

Dann könnten sich diese Reisenden Fragen stellen. Zum Beispiel, warum eine Kirche, die für ihre Zukunft auf "Profil und Konzentration" und auf "Leuchttürme" (EKD-Impulspapier "Kirche der Freiheit") setzt, eine Leuchtturm-Immobilie verkaufen möchte, nachdem man Millionen in Sanierung und Unterhalt steckte – und das Objekt damit für Investoren wieder interessant gemacht hat.

Oder welche Tragik darin stecken kann, Dinge zu beginnen, sie aber nicht zu Ende zu bringen.

WILDBAD ROTHENBURG

Millionen-Objekt

So recht unter einem guten Stern stand das 1903 eröffnete Luxus-Kurhotel Wildbad Rothenburg nie. Nach einer bewegten Geschichte ist es seit 1983 im Besitz der bayerischen Landeskirche. Diese griff damals zu, als Esoteriker es kaufen wollten, um dort "Transzendentale Meditation" zu veranstalten. Der Landeskirche entstehen für Betrieb und Erhalt des Wildbads Kosten von rund einer Million pro Jahr. Etwa 500 000 Euro entfallen auf den baulichen Erhalt, weitere rund 500 000 Euro auf die Bezuschussung des laufenden Betriebs der Tagungsstätte. Etwaige Großmaßnahmen sind da noch nicht eingeschlossen.

Internet: www.wildbad.de