Auch wenn die ION in Nürnberg wegen des Verbots von "Großveranstaltungen" bis auf den letzten Spieltag am Sonntag ohne Zuschauer auskommen musste: Für das Team um den künstlerischen Leiter Moritz Puschke und die Musiker, die neun Abende lang per Live-Stream in den Wohnzimmern der Zuschauer teils außergewöhnliche spielten, wurde das Motto "Nah bei dir" Realität.

Für jedes der Konzerte, die in den Nürnberger Kirchen St. Sebald, St. Lorenz, St. Martha, St. Egidien, der Frauenkirche und im Germanischen Nationalmuseum stattfanden, musste tagesaktuell ein Stell- und Drehplan entwickelt werden, bei dem sowohl die Akteure zur Geltung kommen und dem Zuschauer ein bestmögliches Seh- und Hörerlebnis vermittelt werden kann.

Eine Achterbahnfahrt der Gefühle und gleichzeitiger schneller Entscheidungen, bei der Puschke auch manchmal in die Rolle des Seelentröster blicken musste: "Ein Künstler meinte plötzlich, er packe das nicht mit der Situation, kein Publikum vor sich zu haben, sondern in eine Kamera zu spielen. Da mussten wir dann ganz behutsam vorgehen", beschreibt der Kulturunternehmer und Musiker Momente seiner erst zweiten ION, die das wohl intensivste Projekt seiner Laufbahn gewesen sei.

"Ich habe seit Mitte März höchstens fünf Stunden am Tag geschlafen."

Erst Mitte Februar hatte er zusammen mit Geschäftsführerin Cornelia Schiffel das Programm vorgestellt, das unter anderem wieder ein Schülerchorprojekt mit bereits über 1000 angemeldeten Drittklässlern oder ein gemeinsames Singen Tausender in der Nürnberger Innenstadt beinhaltete.

Programm über den Haufen geworfen

Vier Wochen später kam der "Lockdown" – und ebenso wie viele andere Künstler und Veranstalter fielen die ION-Macher in eine tiefe Schockstarre, aus der sie sich langsam befreiten, als die Idee von rein live im Internet gestreamten Konzerten reifte und Puschke mit seinem alten Bekannten Jörg Lohner Kontakt aufgenommen hatte, der seit Jahren schon für den Bereich Musikfernsehen der "Neuen Musikzeitung" aus Regensburg tätig ist.

"Es muss nicht immer Wohnzimmer sein",

meint Lohner im Hinblick auf die zahlreichen Künstler, die ihr Auftrittsverbot durch mehr oder weniger technisch versierte Streams ihrer Darbietungen von zuhause aus kompensieren wollten.

Mit vier Kameras und drei Mitarbeitern, die nicht nur die Musiker in verschiedenen Einstellungen filmten, sondern auch für Ton, Licht und die Übertragung auf Facebook, YouTube, Vimeo und der ION-Webseite sorgten, entwickelte Lohner täglich in enger Absprache mit dem ION-Team und den Ensembles und Einzelkünstlern, wie die Konzerte medial aufbereitet werden sollen.

"Viele waren seit einem Vierteljahr nicht mehr live aufgetreten. Und auch unser eigentlich voller Terminkalender war nun auf einmal leer gefegt, da machte das richtig Laune", erklärt Lohner. Auch die Sponsoren signalisierten, dass sie bei einer reinen Online-ION das Festival ebenfalls finanziell unterstützen würden.

"Eine ganz tolle Solidarität", sagt Puschke. Trotzdem fehlen der ION rund 100.000 Euro, die eigentlich durch den Ticketverkauf hätten eingespielt werden sollen.

Vorschläge für 2021 stehen

Innerhalb weniger Wochen wurde ein nahezu komplett neues Programm auf die Beine gestellt, bei dem viele der ursprünglich eingeladenen Künstler ebenfalls mit von der Partie waren, andere Punkte aber vollkommen neu konzipiert wurden. Wie der rund vierstündige Eröffnungsabend in St. Sebald mit rund 30 Mitwirkenden, die ein Programm von Frühbarock bis Pop präsentierten und zu dem der Nürnberger Regionalbischof Stefan Ark Nitsche geistliche Impulse für die Zuschauer beisteuerte.

Die A-Cappella-Gruppe "Slixs" dagegen durfte ihr Programm "Von Bach bis Prince" sogar gleich drei Mal live vor Publikum im Klosterhof des Germanischen Nationalmuseums und für eine Online-Übertragung aufführen. Gestrichen werden mussten – wegen der Unmöglichkeit, die bestehenden Abstandsregeln einzuhalten – aber unter anderem die Aufführung von Händels Oratorium "La Resurrezione".

Planungsunsicherheiten wegen des Coronavirus

"So lange penibel auf Abstände geachtet werden muss, sind Veranstaltungen mit größeren Chören und mit viel Publikum einfach nicht möglich", blickt Puschke in die Zukunft. Seine Programmideen für die 70. Auflage der ION hat er bereits abgegeben, vermute aber, dass er noch mehrere Male alles umwerfen und neu denken müsse, weil einfach keiner wisse, wie sich die Sache mit dem Virus entwickle.

Ab September geht die Planung für das nächste Festival wieder los. Bis dahin sind Puschke und sein Team nicht untätig und versuchen, im Schulterschluss mit anderen Künstlern, Veranstaltern oder Betreibern von Konzertstätten und Vertretern der Branche gemeinsame Konzepte für Veranstaltungen zu entwickeln und mit einer geeinten Stimme an entsprechenden Stellen in der Politik zu sprechen.