Ein deutscher Vertreter für Landmaschinen ist der erste offizielle Tote des Zweiten Weltkrieges: Franz Honiok, 1898 geboren. SS-Soldaten, verkleidet als polnische Freischärler, erschießen ihn beim inszenierten Überfall auf den deutschen Sender Gleiwitz (Gliwici) - Adolf Hitlers selbst geschaffener Anlass für den Überfall auf Polen am 1. September 1939. "Kaum eine Kriegslüge wurde so aufwendig in Szene gesetzt wie das Schauspiel von Gleiwitz. Es ging nicht allein darum, Informationen zu verfälschen, es war eine Kampf- und Mordaktion", urteilt der Historiker Ralf Zerback über das "Unternehmen Tannenberg" vor 80 Jahren.

Hitler will den Krieg, aber in der Öffentlichkeit nicht als Angreifer gelten. SS-Chef Reinhard Heydrich verspricht deshalb ein geheimdienstliches "Meisterstück, das aller Welt einwandfrei beweist, dass Polen diesen Krieg begann". Dazu macht er sich die von der NS-Presse systematisch aufgeheizte nationalistische Stimmung im Grenzgebiet zunutze.

"Gleiwitz und die anderen ähnlichen Operationen hatten eine innenpolitische Stoßrichtung", sagt der Historiker John Zimmermann vom Wissenschaftlichen Dienst des Bundestages. "Es ging darum, sich vor der deutschen Bevölkerung zu rechtfertigen. Im Ausland glaubte man Hitler ohnehin längst nicht mehr. Das war spätestens mit dem Bruch des Münchner Abkommens 1938 passé."

SS-Sturmbannführer Alfred Naujocks fährt Ende August mit fünf oder sechs Männern nach Gleiwitz. Über Tage warten sie auf das in Berlin vereinbarte Codewort für die Scheinattacke: "Großmutter gestorben".

Stichwort "Großmutter gestorben" für die Invasion

Hitler hat bereits eine Woche zuvor seinen führenden Militärs auf dem Obersalzberg erklärt: "Ich werde propagandistischen Anlass zur Auslösung des Krieges geben, gleichgültig, ob glaubhaft. Der Sieger wird später nicht danach gefragt, ob er die Wahrheit gesagt hat oder nicht."

Am 31. August dann ist es soweit: Naujocks Freischärler-Kommando dringt gegen 20 Uhr in die Sendestation nordwestlich von Gleiwitz an der Tarnowitzer Straße ein. Damit die Aktion glaubwürdig erscheint, muss auch ein toter Deutscher her: Honiok. Am Tag zuvor von zwei Gestapo-Männern festgenommen, wird er vermutlich betäubt und zum Sender gebracht.

Die als Polen verkleideten SS-Leute überwältigen die vier Sendetechniker und sperren sie in den Keller. Ihr Auftrag ist es, das Programm zu unterbrechen und einen Aufruf auf Polnisch zu verlesen. Problem: In der Sendestelle gibt es gar kein Studio. Naujocks berichtete später: "Dann haben wir uns heiß gesucht, damit wir die Sendung durchbekamen."

Einer der Techniker wird aus dem Keller nach oben geschafft. Der schließt ein sogenanntes Sturmmikrofon an. Damit kann die Hörfunkleitung mitteilen, wenn eine Sendung - etwa bei Gewitter - gestört ist. Es knackt und knarrt im Äther, dann folgt der Aufruf: "Achtung! Achtung! Hier ist Gleiwitz. Der Sender befindet sich in polnischer Hand (...) Die Stunde der Freiheit ist gekommen!" Es folgt eine vierminütige Rede, die mit dem Aufruf "Hoch lebe Polen!" endet. Im Gebäude wird Honiok erschossen, von wem, ist unklar. Der Tote bleibt liegen, als das Überfallkommando wieder in der Dunkelheit verschwindet. Was später mit seiner Leiche geschieht, ist nicht bekannt.

Die erhoffte mediale Wirkung der kaum 15-minütigen Provokation bleibt jedoch aus. Denn die Attacke der SS ist miserabel geplant: Sie hat keinen Sender mit großer Reichweite überfallen, sondern nur die Verstärkerstation für den 150 Kilometer entfernten Sender Breslau, dessen Sendungen außerhalb Schlesiens nicht empfangen werden können. Das bemerkt auch Heydrich, dessen Volksempfänger in der Hauptstadt auf der Gleiwitzer Frequenz stumm bleibt. Deshalb wird vom Berliner Sender aus das Kommuniqué zwei Stunden später noch einmal auf Deutsch verlesen.

Scheinattacken an der Grenze

In der späteren Nacht verüben SS-Kommandos weitere Scheinattacken an der Grenze: Rund 30 als polnische Soldaten verkleidete Männer überfallen die Zollstation bei Hochlinden, schießen um sich, verwüsten das Gebäude und lassen sechs Tote zurück - es sind zuvor ermordete KZ-Häftlinge. Eine dritte Aktion richtet sich gegen das Forsthaus Pitschen in der Nähe von Kreuzburg.

Dann ist Eile geboten. Die Gestapo muss an den Überfallorten sofort mit ihren Scheinermittlungen beginnen, auch braucht die Berliner Zentrale für die Presse Fotos der Leichen. Anschließend werden die Opfer im Wald verscharrt.

Die Propagandamaschine ist da längst angelaufen. Schon um 22.30 Uhr berichtet der Rundfunk über sich häufende Zwischenfälle an der Grenze. Hitler erwähnt in seiner vom Radio übertragenen Rede vor dem Reichstag am 1. September die Vorfälle in Gleiwitz und Umgebung namentlich nicht, spricht aber von Gräueltaten: "Nachdem schon neulich in einer einzigen Nacht Grenzzwischenfälle waren, sind es heute Nacht 14 gewesen, darunter drei ganz schwere." So manövrierte er Polen in die Rolle des Aggressors, der durch Übergriffe auf Angehörige der deutschen Minderheit den Einmarsch selbst provoziert habe.

Polen habe "heute Nacht zum ersten Mal auf unserem eigenen Territorium auch durch reguläre Soldaten geschossen. Seit 5 Uhr 45 wird jetzt zurückgeschossen", verkündet der Führer. Auch das stimmt zeitlich nicht: Das Linienschiff "Schleswig-Holstein" eröffnet das Feuer auf ein Munitionsdepot auf der Westerplatte bei Danzig bereits eine Stunde früher.

Gedenken zum 80. Jahrestag des Beginns des Zweiten Weltkrieges

Am Sonntag, den 1. September 2019, jährt sich der Überfall der deutschen Wehrmacht auf Polen, mit dem der Zweite Weltkrieg begann, zum 80. Mal. Zu diesem Anlass wird Präses Dr. h. c. Annette Kurschus in Warschau einen deutsch-polnischen Gedenkgottesdienst mitgestalten. Am 31. August predigt die stellvertretende Ratsvorsitzende der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) gemeinsam mit Bischof Jerzy Samiec, dem Präsidenten des Polnischen Ökumenischen Rates.
 
Am 1. September wird darüber hinaus innerhalb der evangelischen Kirche in vielfacher Form an den Beginn des Zweiten Weltkrieges erinnert. Hier eine Auswahl:
 

  • Die EKD hat eine Themenseite zum Zweiten Weltkrieg erstellt. Dort finden interessierte Gemeinden Material für Andachten und Gottesdienste sowie Hintergrundinformationen zum Zweiten Weltkrieg.
  • Das Frankfurter evangelische Zentrum Oekumene hat in Kooperation mit den Zentren Verkündigung, Seelsorge und Bildung der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) Arbeitsmaterial unter dem Titel „80 Jahre sind ein Menschenleben (1939–2019)“ entwickelt. Die Handreichung soll Gemeinden vor allem dabei unterstützen, den Krieg und seine Folgen in Gottesdiensten, Veranstaltungen oder Gesprächen zu thematisieren.
  • Für die Gottesdienste am 1. September schickt der Leitende Bischof der VELKD, Landesbischof Meister, ein Fürbittengebet an die Kirchengemeinden.