Wilhelmine von Hillern (1836-1916) stammte aus einer Münchner protestantischen Familie. Wie alle evangelischen Münchner im 19. Jahrhundert hatte sie einen Migrationshintergrund: Sie war das einzige Kind der Schauspielerin Charlotte Birch-Pfeiffer und des Schriftstellers und Theaterkritikers Andreas Christian Birch, die beide aus Berlin stammten. Gegen den Willen der Eltern machte Wilhelmine zunächst Karriere als Schauspielerin. Nach ihrer Hochzeit konnte sie eine zweite Karriere als erfolgreiche Schriftstellerin anschließen.

Ihre 1875 erschienene "Geier-Wally" wurde zu einem Bestseller in ganz Europa und ihrem größten Erfolg. Kurz nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 war das Buch das erste deutsche, das in Frankreich verlegt wurde. Hillern besorgte selbst eine Bühnenfassung ihrer Geschichte, auf der auch die Oberammergauer Aufführung fußt. Und sie arbeitete am Libretto der Oper "La Wally" des italienischen Komponisten Alfredo Catalani mit, die 1892 an der Mailänder Scala uraufgeführt wurde.

Der Geier war ein Adler, die Wally eine Anna

Bei aller Märchenhaftigkeit der Motive der Geschichte – zur "Geier-Wally", der Figur der Walburga Stromminger, inspiriert hat von Hillern eine Frau aus Fleisch und Blut: die Tiroler Malerin Anna Stainer-Knittel (1841-1915). Wilhelmine von Hillern lernte sie in Innsbruck kennen und ließ sich von ihr ihre Lebensgeschichte erzählen.

Anna Knittel war eine eigensinnige, für ihre Zeit geradezu skandalös selbstbewusste Frau. Mit 17 traute sie sich, wozu allen Burschen ihres Dorfs der Mut fehlte: Sie kletterte am Seil gesichert eine steile Felswand hinunter, um ein Adlernest auszuräumen. Das machte man damals, um zu verhindern, dass die Greifvögel Lämmer rissen. Mit Erfolg: Ende des 19. Jahrhunderts war der Bart- oder Lämmergeier in den Alpen ausgerottet. Er blieb es rund 100 Jahre lang. Erst Ende der 1980er-Jahre gab es erste erfolgreiche Versuche der Wiederansiedelung. Anna Knittel packte damals ein Jungtier aus dem Nest in ihren Rucksack und zog es auf.

Später heiratete sie gegen den Willen ihrer strengen Eltern einen Mann, den sie sich selbst ausgesucht hatte; zuvor hatte sie in München versucht, Malerei zu studieren, bis ihr das Geld ausgegangen war. Doch ihr Talent setzte sich durch, allmählich konnte sie in Innsbruck als Porträt- und Landschaftsmalerin leben. 1873 eröffnete Stainer-Knittel eine "Zeichen- und Malschule für Damen", denen damals der Zugang an die Kunstakademien verwehrt war. Sie leitete ihre Innsbrucker Schule bis ins hohe Alter.

In Kloster Ettal konvertiert

Auch Wilhelmine von Hillern zog es ins Gebirge. Nach dem Tod ihres Mannes 1882 verlegte die Erfolgsautorin ihren Wohnsitz nach Oberammergau. Dort ließ sie sich eine prunkvolle Villa bauen: Das "Hillern-Schlössl" wurde zu einem gesellschaftlichen Anziehungspunkt für die höchsten Kreise.

Und immer mehr wandte sich Wilhelmine von Hillern Heimat- und Bergromanen zu. In ihnen strickte sie an der folgenreichen Blut-und-Boden-Fiktion vom romantischen Lederhosen-Bayern und urwüchsigen Luis-Trenker-Tirol mit. Auch wenn sich diese Fiktion als weltweiter und höchst erfolgreicher Exportschlager erwiesen hat – sie bleibt eine Fiktion. In Oberammmergau spielt man unter Passionsspielleiter Christian Stückl (und jetzt auch unter seinem Stellvertreter Abdullah Kenan Karaca) mutig und erfolgreich gegen ihre Folgen und Verirrungen an.

Da passt es, dass die bayerische Landesausstellung 2018 im nahen Ettal bald den "Mythos Bayern" ins Visier nimmt. Im dortigen Kloster besiegelte Wilhelmine von Hillern, die Protestantin mit preußischen Wurzeln, 1904 ihre Oberammergauer Heimatsuche: Sie konvertierte und wurde katholisch.

Maria Callas in der Oper »La Wally« von Alfredo Catalani. »Ebben ? Ne andrò lontana« ist die bekannteste Arie der Oper. In ihr nimmt die Geierwally für immer Abschied von ihrem Elternhaus. Auch von Anna Netrebko gibt es eine wundervolle Aufnahme der Arie.

Im Text heißt es: »Nun gut, so gehe ich denn, / So weit der Klang der Glocken reicht, / Bis hin zum weißen Schnee, / Bis zu den goldenen Wolken. / Dorthin wo man die Hoffnung beweint, / Bis dort, wo man den Schmerz beweint! (...) Ich werde gehen, alleine und weit weg, / Bis hin zum weißen Schnee, / werde ich gehen. / Ich werde gehen, alleine und weit weg, / Bis zu den goldenen Wolken.«