Der Kurzfilm "Watu Wote - All of us" handelt von einer wahren Begebenheit: Am 21. Dezember 2015 stellten sich Muslime an der Grenze zwischen Somalia und Kenia schützend vor die in einem Bus mitreisenden Christen, als islamistische Terroristen die "Ungläubigen" töten wollten. Mit seinem Kurzfilm hat der Absolvent der Hamburg Media School Tobias Rosen jetzt als Produzent den Studenten-Oscar der berühmten Academy of Motion Picture, Art & Sciences in Beverly Hills gewonnen und steht in der Kategorie "Internationaler Kurzfilm" auf der Liste der Academy Awards. Am 24. November kommt Rosen an seine alte Schule, das Dietrich-Bonhoeffer-Gymnasium in Oberasbach.

 

Herr Rosen, Muslime schützen Christen vor islamistischen Terroristen, der Lehrer Salah Farah bezahlt seine Courage mit dem Leben – fraglos eine wuchtige Geschichte. Warum wollten Sie sie verfilmen?

Tobias Rosen: Weil es eine Geschichte von einer Universalität, Aktualität, Aussage- und Symbolkraft ist, die aus meiner Sicht zeitgemäßer kaum sein könnte! Es ist eine Geschichte, die alle angeht. Deshalb gelingt es ihr auch, selbst die zu berühren, denen die Menschen, die wir im Film sehen, von ihrer Kultur, ihrer Sprache und ihren Lebensumständen her fremd scheinen mögen. Hinzu kommt, dass es immer mein Traum war, in Afrika drehen zu dürfen. Es ist ein Kontinent voller unglaublich starker Geschichten, die uns alle angehen. Terrorismus, Flüchtlingskrise, Kolonialismus, Globalisierung, Armut und der Kampf um Ressourcen, wie durch ein Brennglas scheinen sich hier ein paar der existenziellsten Konflikte unserer Zeit abzuspielen, die auch uns in Europa direkt oder indirekt mehr betreffen, als uns oft bewusst ist.

 

Ging es Ihnen in erster Linie um die Rekonstruktion des Ereignisses, oder wollen Sie mit dem Film einen Beitrag zur Verständigung der Religionen liefern?

Rosen: Wir wollten in erster Linie eine gute, relevante und universelle Geschichte erzählen, die uns interessierte, und über einen Konflikt, der auch uns selbst betrifft. Dabei war uns bewusst, dass es uns nie gelingen würde, trotz zweier Monate intensiver Recherche und Gesprächen mit Augenzeugen, das reale Ereignis zu rekonstruieren.

 


Der Trailer zum Kurzfilm "Watu Wote - All of us"

Wie schwierig war es, als Student aus Hamburg das Filmprojekt an originalen Schauplätzen umzusetzen?

Rosen: Es war Teil der gesamten Idee dieses Projekts, diesen Film auf keinen Fall als einen Film entstehen zu lassen, für den ein paar weiße, deutsche Studenten nach Kenia reisen, um über etwas zu erzählen, das sie nicht kennen und das sie nicht betrifft. Aus diesem Grund arbeiteten wir von Beginn an zusammen in einem unglaublich intensiven Austausch mit kenianischen Partnern. Dieser Film wurde zu etwas, das uns alle anging. Dazu gehörten auch die Originalschauplätze. Die Produktion war für mich persönlich wohl die größte Herausforderung meines Lebens.
 

Sie haben große Teile Ihrer Kindheit in Südafrika verbracht. Inwieweit hat Sie dieses Land geprägt?

Rosen: Vieles, was ich heute bin, hat mit dem zu tun, wie ich aufgewachsen bin und was ich dort erleben und sehen durfte. Wir waren eng und sehr aktiv eingebunden in die Gemeinde der deutschen evangelischen Kirche Johannesburg, die einen äußerst offenen Austausch auch mit lokalen Partnergemeinden pflegte. Dies sind sicher Erlebnisse, die meinen Blick bis heute beeinflussen. In einer solch offenen und doch von Religion und Glauben stark geprägten Kultur aufwachsen zu dürfen, war für mich ein wahres Geschenk.

Szene aus Watu Wote: Terroristen greifen einen Reisebus an und wollen Christen unter den Muslimen suchen.
Szene aus Watu Wote: Terroristen greifen einen Reisebus an und wollen Christen unter den Muslimen suchen.

Was glauben Sie hat die muslimischen Fahrgäste des attackierten Busses dazu bewogen, sich gegen ihre »Glaubensbrüder« zu stellen?

Rosen: Oberflächlich betrachtet würde die Antwort sicher lauten: Mut, Nächstenliebe, Courage und der Wille, endlich eine Grenze zu ziehen zwischen denen, die einen friedlichen Islam leben möchten und denen, die diese Religion als Vorwand für ganz eigene, terroristische Zwecke nutzen. Wahrscheinlich auch, weil die Musliminnen, die ihre Kopftücher an Christinnen verteilten, in diesem Moment keinen Unterschied sahen zwischen sich und dem Menschenn der neben ihnen saß. Die Religion war nichts, das sie voneinander trennte. Es waren Menschen, die anderen Menschen in einer tödlichen Gefahr schützend zur Seite standen. Möchte man den wahren Hintergründen aber gerecht werden, bedarf es sicher eines genaueren Blicks.

Christen und Muslime leben in dieser Gegend grundsätzlich sehr friedlich und freundschaftlich zusammen. In der gesellschaftlichen und sozialen Struktur der mehrheitlich muslimischen Region spielen die Christen eine elementare Rolle. Nach mehreren Attentaten im November/Dezember 2014 verließen viele von ihnen Mandera County, darunter vor allem Lehrer, Ärzte und Krankenschwestern. In der Folge schlossen Schulen und Krankenhäuser, Kinder konnten nicht mehr unterrichtet werden, die medizinische Versorgung brach zusammen. Lange lebten die Muslime der Region selbst in Angst vor der Al-Shabaab. Die vermehrten Anschläge 2014 und 2015 allerdings brachten wohl auch für sie das Fass zum Überlaufen.

Es war sicher kein Zufall, dass es sich beim vermeintlichen Wortführer des Widerstands gegen die Terroristen an diesem Tag um einen Lehrer handelte. Salah Farrah war jemand, der die Folgen des Terrorismus für seine Schule, die Schüler und die Kollegen täglich am eigenen Leib erfahren hatte. Umso tragischer, dass er seinen außergewöhnlichen Mut an diesem Tag mit seinem Leben bezahlte.

Szene aus Watu Wote.
Szene aus Watu Wote.

Sie haben sich während der Recherchen und während des Drehens eindringlich mit dem Spannungsfeld Religion und daraus resultierendem Hass und Gewalt beschäftigt. Welche Schlüsse ziehen Sie aus Ihrer christlichen Haltung daraus?

Rosen: Die wichtigste Antwort gaben für mich an diesem Tag die Muslime, die sich schützend vor die Christen stellten. Mir ist eine Szene der Dreharbeiten in bleibender Erinnerung geblieben: Fünf Tage drehten wir mit einem Team von 120 Menschen in der Wüste. Christen und Muslime, Somalier und Kenianer, verschiedenste gesellschaftliche Schichten und Ethnien. Wir drehten tagsüber bei bis zu 39 Grad in der prallen Sonne, schliefen nachts in Iglozelten für zwei Mann, hatten kein fließend Wasser und nur improvisierte Toiletten.

Immer wieder stand der Dreh auch wegen interkultureller und religiöser Konflikte kurz vor dem Abbruch. Am letzten Tag des Drehs aber begannen ein paar unserer muslimischer Komparsinnen, vor Freude und Erleichterung über das Ende dieses Drehabschnitts zu tanzen. Bald stand fast die komplette Crew um sie herum, tanzte oder klatschte im Rhythmus mit. Wer woher kam, ob und woran er glaubte, spielte in diesem Moment keine Rolle mehr. Wir hatten etwas erlebt und geteilt, das uns einte. Und doch hätte jeder Einzelne, und gerade ich, diese Tage nicht durchgehalten ohne seinen eigenen, persönlichen Glauben und die Kraft der Gemeinschaft der Menschen, die diesen Glauben mit ihm teilten.

Über Tobias Rosen

TOBIAS ROSEN (34) ist Schauspieler und Filmproduzent. Geboren in Nürnberg verschlug es ihn mit seiner Familie 1987 für sieben Jahre nach Johannesburg/Südafrika. Die Gymnasialzeit verbrachte er wieder in Oberasbach. Nach dem Abitur besuchte er vier Jahre in München die Schauspielschule und drehte 2006 seinen ersten Kurzfilm. Zwischen 2010 und 2014 spielte er die Rolle des Michael Eckert in der ARD Serie »Rote Rosen«. »Watu Wote« ist sein Abschlussfilm an der Hamburg Media School.