Christian Schmidt erläutert in einem Gespräch mit dem Sonntagsblatt, dass das Grundgesetz den Staat eindeutig verpflichte, das Leben zu erhalten - und zwar in allen Situationen. Nach dem Urteil, so seine Befürchtung, könne der Suizid bewusst zur Lebensplanung dazugehören als eine von vornherein mitgedachte Alternative.  

Wie werten Sie das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zur Sterbehilfe?

Schmidt: Als Mitglied des Bundestages muss und will ich mich mit Kritik an einem anderen Verfassungsorgan sehr zurückhalten. Dennoch ist es aus meiner christlichen Überzeugung heraus und auch aus grundsätzlichen staatsrechtlichen Prinzipien ein irgendwie juristisch durchkonstruiertes, aber gesellschaftlich armseliges Urteil.

Das Bundesverfassungsgericht wollte aber doch gerade die Autonomie des Menschen stärken, was ja durchaus auch ein Prinzip evangelischer Religiosität ist.

Schmidt: Der wichtige Begriff der Autonomie kommt dann zwangsläufig an eine Grenze, wenn es um die Grundprinzipien des Staates und der christlichen Ethik geht, auf der unser Staat wesentlich beruht. Unser Grundgesetz verpflichtet den Staat eindeutig zur Erhaltung des Lebens, und zwar in allen Situationen. Und auch für jeden Christen gilt, dass das Leben von Gott gegeben ist und deshalb für den Menschen eben nicht beliebig verfügbar ist. Das muss Teil der Abwägung sein.

Spielt bei den Festlegungen des Grundgesetzes auch die spezifisch deutsche Geschichte eine Rolle?

Schmidt: Natürlich. Es gibt meines Wissens keine Verfassung auf der Welt, in der so eindeutig der Schutz des Lebens festgeschrieben ist, weil wir die furchtbaren, zutiefst unmenschlichen Verbrechen gegen das Leben durch die Euthanasie oder in den Konzentrationslagern mit ihren Gaskammern kennen.

Welche Folgen befürchten Sie durch das Karlsruher Urteil?

Schmidt: Zumindest eine Relativierung. Denn wo läuft in Zukunft die Trennlinie zwischen einer Autonomie, die auch die Selbsttötung mit einschließt, und der Hinwendung zum Leben? Der Suizid könnte dann bewusst zur Lebensplanung dazugehören als von vornherein mitgedachte Alternative. Außerdem erschüttert diese Entscheidung das bisher unumstößliche Prinzip, das Leben zu erhalten und es so lange wie möglich für jeden Menschen zu bewahren. Dazu gehört dann beispielsweise auch, dass man einen Menschen, der aufs Gleis springen will, um so sein Leben zu beenden, vom Bahndamm wegzieht. Als Mitglied im Aufsichtsrat der Deutschen Bahn weiß ich, wie belastend diese Suizide vor allem auch für die Lokführer sind. Allein dadurch sterben in Deutschland im Jahr 1.000 Menschen. Wir tun alles, um diese Zahl zu verringern.

Das Karlsruher Urteil sollte ein Ansporn sein für die Politik, für die Kirchen und die Gesellschaft insgesamt, den Schutz und die Bedeutung des Lebens wieder neu ins Blickfeld zu rücken und enge rechtliche Grenzen für eine geplante Selbsttötung zu finden. Für die Situationen zum Ende eines langen körperlichen Leidensweges wird es respektvoller Wege bedürfen, die wir eigentlich im § 217 StGB auch nicht verschlossen hatten. Wir werden gesetzgeberisch zügig handeln, und zwar zum Leben hin.