Speyer ist in diesen Wochen Schauplatz einer bemerkenswerten Ausstellung. »Odyssey 2017« heißt das Kunstprojekt des britischen Bildhauers Robert ­Koenig mit 45 Holzskulpturen. Die überlebensgroßen »Wächter der Erinnerung«, so heißt es in einer Beschreibung, »stellen Erniedrigte dar, deren Würde durch die skulpturale Übergröße symbolisch erhöht wird«. Sie verweisen auf Flucht, Vertreibung, Heimatlosigkeit und Entwurzelung. »Es geht um die Reisen von Menschen durch ihr Leben, durch ihre Höhen und Tiefen und die Tragödien, die sie erleben«, sagt Koenig über seine Arbeit.

Auch auf dem Platz vor dem Dom steht eine Gruppe dieser »Wächter«. Sie sind an diesem Wochenende stumme Zeugen, wenn dort das Requiem für den verstorbenen Altbundeskanzler Helmut Kohl stattfindet. Der Dom ist ein Ort, der in der deutschen und europäischen Geschichte einen herausragenden Platz einnimmt. In der größten erhaltenen romanischen Kirche der Welt sind acht Kaiser und Könige bestattet.

Helmut Kohl starb am 16. Juni. Seitdem wetteifern die Medien darin, sein Lebenswerk zu hinterfragen, zu deuten und zu sezieren.

Fraglos lässt sich bei Persönlichkeiten wie Kohl das politische Vermächtnis nicht vom Privatmenschen trennen. Es gehörte ja zu seinen Besonderheiten, Weltpolitik in quasi familiärem Umfeld zu kultivieren – die Gespräche des Kanzlers mit dem damaligen sowjetischen Generalsekretär Michail Gorbatschow im Sommer 1990 beispielsweise machten als »Strickjackendiplomatie« den Weg frei für die deutsche Wiedervereinigung.

Verbittert bis zuletzt

Bestürzend ist aber, was sich in den Tagen nach dem 16. Juni abspielte. Nicht nur, dass der schon seit Jahren schwelende innerfamiliäre Streit zwischen Kohls Söhnen aus erster Ehe und seiner Witwe erneut hochkochte und der stets für Empörung empfänglichen Boulevardpresse Stoff für Schlagzeilen lieferte. Ausgerechnet der »Kanzler der deutschen Einheit« soll seinem Vaterland testamentarisch verweigert haben, ihm mit einem Staatsakt die letzte Ehre zu erweisen. Für die Feierstunde am Samstag im Europäischen Parlamentsgebäude in Straßburg gab es bis jetzt nicht einmal ein Vorbild.

Mag sein, dass sich Helmut Kohl auf diese Weise für die zweifellos zahlreichen und manchmal unverdienten Kränkungen und Verletzungen revanchieren wollte; dass er, Feinden wie Freunden gegenüber, nachtragend war, ist kein Geheimnis. Dass auch nach Kohls Tod einer versöhnlichen Geste, sei es auf politischer wie auf familiärer Ebene, bislang keine Chance gegeben wurde, trägt jedoch fast die Züge einer alten griechischen Tragödie.

Die Lebensreise Helmut Kohls war keine Odyssee, eine Entwurzelung blieb dem Heimatverbundenen erspart. Er hinterließ den Weiterlebenden die öffentliche Tragödie nach seinem Tod.

 

Was denken Sie? Schreiben Sie an Sonntagsblatt-Redakteur Wolfgang Lammel: wlammel@epv.de