Ein Blick auf Deutschlands Straßen genügt, um die aktuelle Lage der Nation beurteilen zu können: Da ist sich jeder selbst der Nächste. Es wird beim Spurwechsel nicht geblinkt. Es wird jede Lücke genutzt, um möglichst schnell voranzukommen. Schlimmstenfalls wird sogar der Standstreifen im Stau missbraucht, um zur nächsten Autobahnabfahrt zu gelangen. Die Liste an Rücksichtslosigkeiten ließe sich noch weiter fortsetzen.

Das Institut für Demoskopie in Allensbach bestätigt nun mit dem Ergebnis einer repräsentativen Umfrage jenen Eindruck, der sich im Straßenverkehr aufdrängt. So finden zwei Drittel der 30- bis 59-Jährigen, dass die Gesellschaft materialistischer, egoistischer und intoleranter geworden ist – trotz materieller Absicherung. 67 Prozent der Befragten halten den gesellschaftlichen Zusammenhalt für schwach oder sehr schwach.

Wir klagen, doch sind wir selbst Verursacher des Problems. Wir wünschen uns mehr Nächstenliebe, doch verhalten wir uns selbst egoistischer. Wer hat nicht auch schon selber einmal bei der gelben Ampel noch schnell Gas gegeben, um nicht zwei Minuten warten zu müssen?

Allensbach-Umfage: Vertrauen in politische Stabilität abgesackt

So bitter diese Erkenntnis ist: Für Nächstenliebe braucht es die entsprechenden Rahmenbedingungen. Und die werden von der Politik geschaffen. Doch genau da liegt der Knackpunkt. Das Vertrauen in die politische Stabilität in Deutschland ist laut der Allensbach-Umfrage ebenfalls von 49 Prozent im Jahr 2015 auf nur noch 27 Prozent abgesackt. Der Generation Mitte, inmitten der "Rush Hour" des Lebens, muss wieder das Gefühl vermittelt werden, dass sich jemand ihrer Probleme annimmt.

Doch anstatt nach Lösungen für tatsächlich bestehende Probleme zu suchen, werden seit Wochen und Monaten nur noch ideologische Debatten geführt. Das Wohlergehen Deutschlands arbeitet sich scheinbar nur noch an der Frage "rechts" oder "links" ab. Der Fall des abgesetzten Geheimdienst-Chefs Maaßen verdeutlicht, wie sehr die aktuelle Politik von der Wirklichkeit der Menschen entfernt ist. Keiner blickt mehr durch in dem ganzen Wirrwarr an Partei-internen Schachzügen.

Kaum für Aufregung sorgt da die Meldung, dass die Bundesregierung ihren eigenen Koalitionsvertrag gebrochen hat: für mehrere Waffenexporte an drei arabische Länder, die am Jemen-Krieg beteiligt sind. Paradox, wie die starke Politisierung unserer Zeit zu zunehmender Politikverdrossenheit führt. Mit der Folge, dass sich immer mehr ins Innere Exil zurückziehen.