Türkische Minister, lupenreine­ Antidemokraten, wollen derzeit bei Wahlkampfveranstaltungen in Deutschland für die Abschaffung von Rechtsstaat und Parlamentarismus in der Türkei werben. Der Schwarze Peter liegt bei kleinen Bürgermeistern, die sich an den Veranstaltungsorten fehlenden Brandschutz oder andere Ausreden einfallen lassen, um die Propaganda für Erdogans Präsidialsystem zu verhindern. In den Augen der türkischen Regierung kommt die Intervention jedoch aus Berlin. Erdoğan schäumt und schimpft: Die Absage von Auftritten türkischer Minister käme den Methoden der Nazis gleich.

Wahlkampfauftritte im Ausland und in diplomatischen Vertretungen außerhalb der Türkei verstoßen sogar gegen das türkische Wahlgesetz. Erdoğan schert das nicht, er tritt in seinem Land Demokratie und Menschenrechte jeden Tag mit Füßen. Und es sieht ganz danach aus, als ob seine aktuellen Provokationen gegen Deutschland kalkuliert sind. Er sucht eine Opferrolle, aus der er möglichst viele Wähler um sich scharen kann.

Strategie: Problem aussitzen?

Die Antworten unserer Regierungspolitiker? Wachsweich. Manche meinen, die Demokratie "muss das aushalten". Andere sehen die Schmerzgrenze dessen, was man sich als Demokrat bieten lassen muss, längst überschritten und fordern "Kante".

Bundeskanzlerin Angela Merkel versucht, das Problem auszusitzen. "Solche deplatzierten Äußerungen kann man ernsthaft eigentlich gar nicht kommentieren", sagt sie. Sie will nicht das Gesicht vor den Wählern verlieren, aber auch nicht zu sehr auf Konfrontation mit Erdoğan gehen. Warum?

EU-Staaten müssen aufwachen

Zur Pflege der deutsch-türkischen Verhältnisse steht mehr auf dem Spiel als der Verlust eines Urlaubslands: das Flüchtlingsabkommen der EU mit der Türkei vom März 2016, das Erdoğan zum Schleusenwärter Europas macht. Merkel fürchtet, die Türkei könne aufhören, Flüchtlinge daran zu hindern, mithilfe von Schleppern auf die griechischen Inseln zu fahren. Daher gibt sie Erdoğan schier unbegrenzte Narrenfreiheit, und der führt sie vor, ebenso wie die Staatengemeinschaft.

Die EU-Länder sollten aufwachen und zusammenstehen, statt sich erpressen zu lassen. Sie haben es nicht geschafft, sich auf einen Verteilungsschlüssel der Asylsuchenden zu einigen, dafür teils Zäune gebaut und letztlich mit einem Diktator paktiert, um Flüchtlinge von Europa fernzuhalten. Dass der nun seinen Wahlkampf, für den er die in Europa lebenden, wahlberechtigten Türken braucht, auf der Schwäche der EU-Solidargemeinschaft aufbaut, ist die Quittung für den schmutzigen Flüchtlingsdeal. Für den man sich ebenso schämen muss wie für unsere hilflos agierenden Politiker.

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