Topfpflanzen am Fenster, gemusterte Polsterstühle am Esstisch, Familienfotos, eine ausladende Couchgarnitur: Ingeborg Ammons Wohnzimmer wäre ein ganz gewöhnliches Wohnzimmer – wären da nicht diese Flyer und Plakate. "Büchel ist überall! Atomwaffenfrei frei jetzt!" prangt, an einen Stuhl gelehnt, ein Schild in Signalfarben. Flyer der Anti-Atomwaffenkampagne ican und Tagungsberichte der letzten Münchner Friedenskonferenz liegen auf dem Tisch. Eine Urkunde auf dem Bücherregal zeichnet Inge Ammon als "Botschafterin des Friedens" aus.

Eine Botschafterin des Friedens ist die 87-Jährige seit 40 Jahren. 1978 katapultierte ein Vortrag zum Thema "Apartheid in Südafrika – was hat das mit mir zu tun?" die Pfarrfrau und vierfache Mutter ins aktuelle politische Geschehen. "Das war mein Damaskus!", sagt sie mit hellwachem Blick. Seither hat sie die Friedensarbeit nie wieder losgelassen: Ostermärsche, Kirchentage, Mahnwachen, Sitzblockaden, politische Gebete, Demonstrationen, Petitionen, Hilfsaktionen – Inge Ammon war eine Galionsfigur der bayerischen Friedensbewegung. Noch heute ist die frühere Abgeordnete der bayerischen Landessynode Mitglied in verschiedenen Initiativen, von Amnesty International bis zu den Freunden Abrahams. Von ihrer Rente behält sie nur so viel, wie sie zum Leben braucht – den Rest spendet sie. "Frieden zu organisieren, kostet Geld", sagt sie schlicht.

Plakat Büchel atomwaffenfrei.
Mit dem Schild "Büchel ist überall! Atomwaffenfrei jetzt" wird Inge Ammon am Münchner Ostermarsch teilnehmen.

Milder ist sie mit den Jahren geworden, aber nicht weniger überzeugt: "Krieg ist Terror", sagt die alte Dame mit dem Friedenstaube-Button am Revers. Die aktuelle Weltpolitik besorgt sie, die vom Vietnamkrieg bis zum Syrienkrieg so viele Krisen in der Welt mitverfolgt hat: "Hochrüstung dieser Art hat schon immer zum Krieg geführt." Ammons blaue Augen blitzen, wenn sie über die Rolle ihres Heimatlandes im Weltgeschehen spricht. "Ich muss es so klar sagen: Deutschland führt Krieg – durch unsere Rüstungslieferungen nach Irak, Iran und andere Krisenregionen führen wir Krieg!"

Was sie am meisten in Rage bringt, ist die vermeintliche Alternativlosigkeit, mit der Regierungen ihre Rüstungsausgaben rechtfertigen. Da packt Ammon am Kaffeetisch eine brennende Ungeduld und man spürt, wie viel Kraft, Hartnäckigkeit und Unbeugsamkeit in dieser zierlichen Frau zu ihren aktiven Zeiten gesteckt haben. Die Mehrheit der Gesellschaft wisse immer noch nichts über Möglichkeiten der zivilen Konfliktbewältigung, über die Gestaltung von Frieden und Gerechtigkeit bis hin zu einer Ökonomie, die dem Gemeinwohl diene. "Warum wachen nicht endlich alle auf?", ruft Ammon ungeduldig.

Friedensfahne.
Friedensfahne bei Sitzblockade im August 2013 vor dem Atomwaffenlager Büchel in der Eifel.

Auf ihre eigene "Erweckung" hat sie indes 37 Jahre gewartet. 1931 in Ostpreußen geboren, floh die 13-Jährige Inge mit ihrer Familie 1944 übers zugefrorene Haff vor den Russen. Vor Stettin endete die Flucht in den russischen Panzerketten – die Familie rettete sich zu entfernten Verwandten ins hinterpommersche Stolp. Dort hütete Ingeborg die einzige Kuh, die ihnen geblieben war: "Ich weiß noch, wie ich da im Gras lag, neben unserer grasenden Kuh, und träumte", erinnert sie sich.

1946 schaffte es die Familie zu einer Tante nach Bonn. Inge wurde Volksschullehrerin und heiratete 1958 den Pfarrer Peter Ammon. Das Paar bekam vier Kinder und ging nach Fürstenfeldbruck, wo Inge als "klassische" Pfarrfrau Kinderbibelstunden hielt, während ihr Mann neun Jahre als Militärpfarrer auf dem Fliegerhorst tätig war. "Der Bürger in Uniform, Militär nur zur Verteidigung – ich habe das inhaliert", schüttelt Inge Ammon heute den Kopf. Naiv, gutgläubig, unkritisch sei sie gewesen – bis zu jenem entscheidenden Südafrika-Vortrag im Herbst 1978.

 

Friedenstaube
"Der Friede liegt in unserer Hand": Die Taube als Symbol des Friedens.

Ein Zimmer in Inge Ammons Haus ist für Flüchtlinge reserviert

Zugleich trat ihr Mann seine neue Stelle an der Erlöserkirche München-Schwabing an und übernahm die Beauftragtenstelle für Homosexuelle. "Er hat klar erkannt, das Menschenrechte zur Friedensbewegung gehören, und er wollte glaubwürdig leben", erinnert sich seine Witwe. So beherbergten die Ammons u.a. eine junge contergangeschädigte Frau und eine Flüchtlings-Familie aus Uruguay. Währenddessen ging Inge Ammon weiter ihren Weg: 1981 besuchte sie die Homelands in Südafrika und hielt Mahnwachen für den inhaftierten Dekan Farsani. 1982 rief sie mit anderen die "Christen in der Region" ins Leben, mischte ab 1983 zwölf Jahre lang als unbequeme und aufrechte Synodale in der bayerischen Landeskirche mit. 1984 nahm sie an ihrem ersten Ostermarsch teil. Das ist ein fester Termin bis heute: Auch am Karsamstag 2018 ist Inge Ammon mit dabei - mit Rollator, weil die Knie nicht mehr so lange mitmachen. Neben dem Protestmarsch zu Ostern und zum Hiroshima-Tag hat die 87-Jährige auch ihre Gastfreundschaft beibehalten: In Ammons Reihenhaus ist immer ein Zimmer frei - im Moment wohnt dort der aus Syrien geflohene Omar, der sich gerade aufs Anglistik-Studium vorbereitet.

Christlich und politisch

Ob ihr Friedensengagement politisch oder christlich motiviert war, mag sie nicht mehr unterscheiden. "In der Politeia, im Staat, hängen wir alle zusammen. Gottes Geist ist kein Gegenüber, er ist überall in uns Menschen", erklärt sie ihre Haltung. Sie möchte Menschen ermutigen, sich aufzurichten gegen Angst und vermeintliche Perspektivlosigkeit. Angst zu verbreiten, sei eine Masche von Regierungen und Rüstungsindustrie. Dabei gebe es genügend positive Beispiele, wie friedliches Zusammenleben möglich sei – Ammons Lieblingsinitiative ist derzeit das Bellevue di Monaco, das sich in München für Flüchtlinge und gegen Rechtsextremismus einsetzt.

Ob sie in 40 Jahren Friedensarbeit, angesichts der unzähligen Kriege auf der Welt, nicht manchmal der Mut verlassen hat? Ingeborg Ammon schüttelt mit leisem Lächeln den Kopf. "Die Tropfsteinhöhlen, die wir heute so bewundern, sind in Millionen Jahren entstanden", sagt sie, "ich denke da in anderen Zeiträumen – von Ewigkeit zu Ewigkeit." Die Hoffnung der Friedensarbeit ruhe auf der Enkelgeneration. "Meine Generation tritt ab", sagt Ammon. Dieser Abschied fällt ihr schwer: ihr Kopf steckt voller Wissen, ihr Herz brennt leidenschaftlich für den Frieden – doch der Körper fordert mehr Ruhe, als ihr lieb ist. "Es ist Zeit, loszulassen", sagt die Powerfrau, und ihre Augen glänzen vor Wehmut. Doch loslassen bedeutet im Falle Ammon nur, das der Radius des Wirkens etwas kleiner gefasst wird: Jeden Nachmittag warten schon die Kinder in der Flüchtlingsunterkunft Fürstenfeldbruck auf ihre "Oma", die dort die Hausaufgabenbetreuung organisiert. "Das bleibt meine Aufgabe bis zum Schluss", lächelt Ingeborg Ammon.

 

Ostermarsch 2018

Ostermärsche in 13 bayerischen Städten

Zu zahlreichen Ostermärschen ruft die bayerische Friedensbewegung am Karsamstag und Ostermontag auf: In den Großstädten Nürnberg und München sowie elf weiteren Städten gehen an beiden Tagen Menschen auf die Straße, um gegen Atomwaffen und militärische Aufrüstung und für eine friedliche Zukunft zu demonstrieren. Zu den Organisatoren gehören kirchliche und bürgerliche Friedensinitiativen, Gewerkschaften und Parteien.

Die Ostermarschbewegung feiert 2018 ihren 60. Geburtstag: An Ostern 1958 organisierten britische Atomwaffengegner den ersten Ostermarsch von London zum Atomforschungszentrum Aldermaston mit rund 10.000 Teilnehmern. Zwei Jahre später fand der erste Ostermarsch in Deutschland statt und führte in drei Tagen von Braunschweig zum Nato-Truppenübungsplatz Bergen-Hohne (bei Celle).

Alle bayerischen Termine finden sich auf der Internetseite von Netzwerk Friedenskooperative.