Auch wenn es heute an vielen Orten barrierefreie Toiletten gibt - für Menschen mit schweren Behinderungen ist der Gang aufs Stille Örtchen in der Öffentlichkeit häufig schlicht unmöglich, sagt Nadine Held von der Münchner Stiftung "Leben pur - Wissenschafts- und Kompetenzzentrum für Menschen mit Komplexer Behinderung". Ein Einkaufsbummel oder der Besuch eines Museums könne für sie in Bayern schon allein deshalb kaum stattfinden, weil es an Räumen für den Wechsel von Inkontinenzeinlagen im Liegen fehlt. Mit dem Projekt "Toiletten für alle" will die Organisation auf diese Situation aufmerksam machen und Betroffenen helfen, ein passendes öffentliches WC zu finden.

Frau Held, was macht eine "Toilette für alle" aus?

Nadine Held: Öffentlich zugängliche Toiletten und Babywickeltische sind in unserer heutigen mobilen Gesellschaft eine Selbstverständlichkeit. Und auch barrierefreie WCs gibt es viele. Doch für Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen ist ein gewöhnliches Behinderten-WC oft unzureichend. Eine "Toilette für alle" ist daher eine barrierefreie Toilette nach DIN 18040, die zusätzlich mit einem Personenlifter, einer Pflegeliege sowie einem luftdicht verschließbaren Windeleimer ausgestattet ist. Der zwölf Quadratmeter große Raum bietet genügend Platz für den Wechsel von Inkontinenzeinlagen.

Wie viele "Toiletten für alle" gibt es derzeit in Bayern? Wie wollen Sie dafür sorgen, dass ihre Zahl steigt?

Held: Derzeit gibt es in Bayern 25 "Toiletten für alle". Sie befinden sich zum Beispiel am Marienplatz in München, in der Allianz-Arena, im Flughafen München, in Nürnberg im "Weißen Turm", in Würzburg in der Don-Bosco-Berufsschule, in Regensburg in der Agentur für Arbeit und in Ingolstadt im Café Bistro-Holler. Desweiteren kann der mobile "Toiletten für alle"-Container gemietet oder gekauft werden, sodass Menschen mit komplexen Behinderungen die Teilnahme an Veranstaltungen, Konzerten, Märkten und so weiter ermöglicht werden kann.  Auf der interaktiven Landkarte unserer Website finden Nutzer den Standort aller "Toiletten für alle" - samt detailliertem Steckbrief.

Wir versuchen, für die menschenunwürdige und unhygienische Situation zu sensibilisieren und stellen etwa die Frage: "Würden Sie einen geliebten Menschen auf dem Boden eines öffentlichen WCs die Inkontinenzeinlage wechseln wollen?".

Wie, wann und warum ist das Projekt entstanden?

Held: Unsere Vorsitzende, Nicola Maier-Michalitsch, bemerkte bereits 2007, dass in London und Dundee viel mehr Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen auf den Straßen und in den Einkaufszentren sichtbar waren. In den Unterhaltungen mit schottischen Kolleginnen hat sie vom Projekt "Changing Places" erfahren - und brachte die Idee mit nach Deutschland. Gemeinsam mit der Aktion Mensch wurde ein dreijähriges anschubfinanziertes Projekt gestartet, danach bekamen wir eine Förderung auf bayerischer Ebene durch das Sozialministerium. Letztlich fristen Menschen mit schweren und mehrfachen Behinderungen ihr Leben hinter "den Mauern von Behinderteneinrichtungen", weil man meist nur dort auf ihre Bedürfnisse eingestellt ist. Der Besuch eines Museums, Theaters, Kinos oder Konzertes, ein Einkaufsbummel oder ein Festbesuch ist schon wegen fehlender Pflegeräume ausgeschlossen. Das wollten wir ändern.
 

www.toiletten-fuer-alle.de