Nadelbäume, so weit das Auge reicht. Wer ohne Begleitung durch die Reihen der Christbaumkulturen des Familienbetriebs Tannenhof Schorr läuft, verläuft sich. Es ist alles grün, unterschiedlich hoch, aber eben ein im Wind wogendes Meer aus Stacheln, Zapfen und Zweigen auf diesen zwölf Hektar Fläche. Aber Heinz Schorr kennt die Pfade wie seine Westentasche. Sein rund zweieinhalb Meter langer Bambus-Stock ragt über die meisten Wipfel hinaus. Den Stock hat er immer dabei, da die verschiedenen Längen-Markierungen darauf wichtig sind, um die bunten Zettel richtig an den Bäumen zu verteilen, die zumindest einen kleinen Farbtupfer bieten: Die Pflanzen mit orangen und lila Zetteln sind beispielsweise "A"-Bäume – die schönsten, die am Ende auch die teureren sind. 16 Euro pro Meter ist die Faustregel bei der Preisgestaltung. Bereits im Sommer werden die Nordmanntannen, die Schorr vorwiegend anpflanzt, entsprechend klassifiziert.

Zimmerdecke als Grenze

"Die Kunden haben zwar unterschiedliche Vorstellungen von ihrem idealen Christbaum. Aber kaum einer hat höhere Decken als zweieinhalb Meter", erklärt Schorr. Einig seien sich die meisten aber, dass ein Vorzeige-Christbaum rundum dicht sein und sich von unten nach oben pyramidenförmig entfalten soll, bis hin zur frei stehenden Spitze. Und dass die Bäume dann auch so wachsen, ist keinesfalls selbstverständlich, sondern verlangt dem Christbaumanbauer einiges an Geschick und sehr viel Zeit ab. Ähnlich einem Winzer, der die Triebe seiner Reben im Weinberg passend ausschneidet, geht auch Schorr von Baum zu Baum, trifft für jeden eine individuelle Entscheidung, wie der Wuchs weiter gehen soll und sich die Pflanze ideal entwickelt, sodass sie dem Geschmack der Kunden auch noch entspricht. Zwischen 1,75 und 2,25 Meter groß sind die Bäume, die jedes Jahr für das kommende Weihnachtsfest geschlagen werden. Etwa ein Fünftel der rund 100.000 Bäume, die in seiner Kultur gedeihen, kommt dafür in Frage. Darunter gibt es natürlich immer einige Exoten für Kunden, die einen viel größeren Baum wollen. Die kommen manchmal auch von "offizieller" Seite: Erst 2017 durfte Schorr das Bayerische Umweltministerium in München mit einem Baum bestücken.

So eine Christbaumproduktion muss natürlich nachhaltig geschehen, soll der Tannenwald nicht plötzlich ohne Bäume da stehen. Daher wird immer nur eine zusammenhängende Fläche gerodet, der Boden im Anschluss wieder renaturiert. Ein Jahr Pause wird dem Erdreich gegönnt, bis wieder ein neuer Setzling sprießen soll. Mindestens sechs Jahre braucht ein Baum, bis er christbaumtauglich ist.

Es fehlt an Wasser

Wer wegen der in diesem Jahr lange anhaltenden Trockenheit damit gerechnet hat, viele Bäume mit bereits braunen Nadeln zu sehen, der irrt: Heinz Schorrs Tannen stehen in sattem Grün, das für den Geschmack des Fachmanns etwas zu hell ist. "Ich mag es, wenn die Bäume noch etwas dunkler werden. Aber da ist in diesem Jahr nicht mehr viel zu machen, der Regen fehlt einfach", erklärt Schorr. Glücklicherweise gab es im Winter sehr viel Feuchtigkeit, davon zehren die Pflanzen noch. Die Wachstumsperiode der Bäume sei zur Jahresmitte in der Regel abgeschlossen. "Die Böden sind nährstoffreich und ideal, es fehlt alleine Wasser, meint Schorr. Seit dem extrem trockenen Sommer 2003 habe man sich auch in seinem Familienbetrieb auf längere Dürreperioden eingestellt.

Regelmäßig wird der ph-Wert im Boden gemessen, ein Indikator für die Bodenqualität und dessen alkalischen Gehalt. Der sollte nicht über 7,5 steigen, ideal sind 5,5. Und bewässern? Das sei in der dichten Christbaumkultur nur schwer möglich und mache das Geschäft auch schnell unrentabel. Eventuelle Schäden würden voraussichtlich aber erst bei den Bäumen für das Weihnachtsfest 2019 sichtbar werden. Den Christbäumen sei es allerdings heuer immer mehr an die Substanz gegangen. "Sollten jetzt noch Schädlinge die Pflanzen befallen, haben wir ein ernsthaftes Problem", meint Schorr. Und eines, das in solch einer Monokultur durchaus ein existenzielles werden kann. Schorr packt die chemische Keule aber nie gegen den ärgsten Feind des Christbaums, die Tannentrieblaus aus. Gegen Milben wird ab und an geschwefelt, dann aber von Hand und nicht per Drohne aus der Luft, wie dies bei noch größeren Plantagen dieser Art oftmals der Fall ist. Nicht zuletzt, um die nebenan grasenden Schafe nicht in Mitleidenschaft zu ziehen.

Heißer Tipp des Försters

Neben Heinz Schorr und seiner Frau ist noch Tochter Nicole im Betrieb mit dabei. Tatkräftige Unterstützung leistet die Familie ebenso in der Gastwirtschaft, die von den Schorrs zusätzlich betrieben wird. Heinz Schorr hatte eigentlich vor rund vier Jahrzehnten den Beruf des Landwirts gelernt, dazu kam 1984 der "Holzmacherbrief", da er auch noch Wälder bewirtschaftete. "Der damalige Förster hat dann beiläufig mal gefragt, ob ich es nicht mal mit Christbäumen probieren will. Das Jahr darauf ging es dann los. Und seither sind die Bäume nicht nur mein Job, sondern auch zur echten Leidenschaft geworden", sagt Schorr.

Mancher Stammkunde sucht sich bereits im August seinen Baum aus. Vor Ort, inmitten der Christbaumkultur. "Das ist aber eher die Ausnahme", meint Schorr. Alle Kunden durch die Parzellen zu führen, das koste viel zu viel Zeit. Schon lange gilt eine Goldene Regel: Kein Christbaum darf vor dem 15. November beziehungsweise drei Tage vor dem elften Vollmond im Jahr geschlagen werden.

Die Schorrs nutzen seit Jahren drei Verkaufswege: Ein Teil geht zu größeren Händlern der Region, ein anderer wird in den Wochen vor Weihnachten direkt am Hof verkauft. In der Adventszeit fahren Teams mit Bäumen auch in einem Radius von etwa 50 Kilometer in andere Ortschaften, wo dann kleine Verkaufsmärkte meist bei privaten Familien entstehen. Dort gibt es dann in der Regel auch immer ein Gläschen Glühwein und Plätzchen.

Auch beim Tannenhof gilt übrigens: Kleinvieh macht auch Mist. Ein großer Teil der Bäume wird für Tannenwedel und Bindegrün "ausgeschlachtet". Für die Weihnachtsdekoration beispielsweise, aber auch für die Gräber zum Abdecken im Winter sind diese Artikel immer gefragt.

25 Millionen Bäume pro Jahr

Keine Frage: Christbäume, das sind natürlich rein saisonal gefragte Produkte, die dazu noch in einem engen Zeitfenster angeboten werden, in dem der Anbauer sein Geld verdienen muss. Sie sind aber auch ein ernst zu nehmender Wirtschaftsfaktor: Wie die Bonner Schutzgemeinschaft Deutscher Wald (SDW), ein gesetzlich anerkannter Naturschutzverband vorrechnet, stehen rund 25 Millionen Christbäume jedes Jahr in deutschen Wohnzimmern. Fast jeder zweite Haushalt hat einen, private Haushalte mit mehr als drei Personen stellen zu 80 Prozent einen auf. Zwischen 2000 und 4000 Produzenten sind haupt- oder nebenerwerbsmäßig mit dem Anbau und der Kulturpflege der Bäume beschäftigt und stellt rund 100.000 Dauer- und 50.000 Saisonarbeitsplätze. Der jährliche Umsatz der Branche betrug im Jahr 2015 fast 700 Millionen Euro.

Zwar kommen laut der SDW rund 90 Prozent der Christbäume aus Deutschland, von denen wiederum jeweils ein Drittel direkt beim Betrieb, im Straßenhandel und in Supermärkten sowie in Garten- und Baumärkten gekauft werden. Jedoch gibt es auch für die Bäume Richtlinien und sogar ein Gütesiegel. "Geprüfte Qualität – Bayern" (GQ-Bayern) ist ein bayerisches Qualitäts- und Herkunftssicherungssystem. Produkte, die das GQ-Bayern-Siegel tragen zeichnen sich durch die Einhaltung definierter übergesetzlicher Qualitätsanforderungen sowie die garantierte Herkunft aus Bayern aus. Inzwischen gibt es 24 Produktbereiche, für die jeweils spezifische Qualitätskriterien gelten – seit dem Herbst 2017 ist einer davon der Produktbereich "Christbäume". "Besondere Anforderungen sind der Schnittzeitpunkt, die Beschränkung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes sowie Regelungen zur Düngung. Die Einhaltung der Anforderungen wird regelmäßig durch neutrale Kontrollstellen geprüft", erklärt Helmut Frank von der Bayerischen Landesanstalt für Landwirtschaft.

Seit wenigen Wochen haben auch die Bäume der Schorrs dieses Siegel. "Das ist auch wichtig, um dem Kunden zu signalisieren, dass er einen biologisch angebauten Baum kauft", sagt Heinz Schorr. Die Hochburg des deutschen Weihnachtsbaumanbaus ist das Sauerland  mit 12.500 ha. Zusammen mit Schleswig-Holstein und Niedersachsen werden hier etwa zwei Drittel der deutschen Bäume produziert. Schärfster Konkurrent der deutschen Christbaumanbauer seien die Dänen. Nach Statistiken der Uni Göttingen werden jährlich vier Millionen Bäume importiert.

In Bayern wacht der Verein "Bayerischer Christbaumanbauer" seit 2011 darüber, dass hier Christbäume aus Bayern vermarktet werden und die Bevölkerung verstärkt auf heimische Naturbäume aufmerksam wird. Sein Herkunftszeichen "Bayerischer Christbaum" steht für frische Weihnachtsbäume aus Bayern. Mit mittlerweile rund 170 Mitgliedern ist er einer der größten Landesverbände in Deutschland. Und er verleiht jährlich auf der Messe für Christbäume in Straßkirchen die Auszeichnung für den "schönsten Bayerischen Christbaum", die in den Jahren 2008, 2014 und 2016 nach Markt Taschendorf ging. "Jedes Mitglied der Bayerischen Christbaumanbauer kann seinen Baum mit dem Logo versehen. Es steht für Regionalität, der Baum muss in Bayern gewachsen sein. Darüber hinaus können wir aber auf den Anbau keinen Einfluss nehmen", meint Vorsitzender Thomas Emslander. Das Zeichen "Geprüfte Qualität" des Bayerischen Landwirtschaftsministeriums können seit letztem Jahr Anbaubetriebe aus Bayern auch für Christbäume erhalten. "Einen Mehrwert haben Kunden vor allem an einem garantierten Schnittzeitpunkt vor dem 15. November oder den Verzicht von Pflanzenschutzmitteln über Kopf in den letzten drei Jahren vor der Ernte", erklärt Emslander einige der Anforderungen. 

Bleibt noch die Frage, welchen Baum Heinz Schorr im heimischen Wohnzimmer bevorzugt? "Einen ganz einfachen, den keiner haben wollte", lacht er. Denn ein guter Christbaumanbauer, der liebt eben alle seine Bäume.