Die Medien feiern ihn als Modemacher, aber in der Gemeinde Wackersberg bei Bad Tölz ist er für jeden der Tom. Tom, der Sohn vom Landwirtschaftsbetrieb, der wegen seiner Tattoos und langen Haare aus der Blaskapelle flog. Tom, den alle für verrückt erklärten, als er in seinem Garten in Oberbayern Yoga machte – lange bevor es hip wurde. Tom, der sich nie davon beirren ließ, unkonventionell zu sein, und heute 44 Familien von seinem modernen Trachtenlabel "Liebling" ernährt. Zufriedenheit, Harmonie und Liebe lautet Toms Dreisatz, Bedürfnisse, die seiner Meinung nach jeder Mensch hat: "Und die erlangen wir nur durch Bewegung."

Mit Liebe denken

Schule war für ihn reines Pflichtprogramm. Vom bayerischen Landleben und der sozialen Kontrolle im Dorf fühlte er sich als Heranwachsender immer mehr eingeengt. Der vielleicht größte Liebesbeweis, den Tom in dieser Situation von seinen Eltern erfuhr: Sie konnten ihn vielleicht nicht immer verstehen, aber haben ihn sich frei entwickeln lassen. Mit 20 machte er sich selbstständig und zog los.
"Am Ende der Welt kannst du dir mit deinem Geld nichts mehr kaufen, sondern nur mit Fleiß und Freundlichkeit."
Er ging barfuß durch Indien, lernte Qigong, übte sich in Meditation. Heute, sagt er, kann er sich mithilfe der jahrtausendealten Techniken in kürzester Zeit erholen und die Freizeit mit seinen Kindern intensiv erleben: miteinander rangeln, Körperkontakt bewusst wahrnehmen, sich zwicken, kitzeln, außer Atem und ins Schwitzen kommen. Wen zu viele Grübeleien umtreiben, ist Tom überzeugt, der kann diese Emotionen nicht genießen und fühlt sich folglich gestresst. Ihm helfe die Liebe dabei, Prioritäten zu setzen. Und der Liebe Raum zu geben sei wiederum eine Frage der Einstellung, wie sie Tom auch in den Lehren verschiedener Religionen begegnet: "Ob Jesus, Muhammad oder Buddha: Die Religionsstifter haben erkannt, was der Gesellschaft fehlt – und Menschen geheilt, indem sie ihnen gezeigt haben, eine andere Haltung anzunehmen."

Die Welt als harmonische Einheit begreifen

Alles ist rund. Es ist der Mensch, der eckig denkt, schachtelt, polarisiert, sagt Tom. Oft genug hat er das selbst erfahren, wenn andere seine Ideen als Spinnereien abgetan haben. Für sich hat er darum entschieden, dass er anders leben möchte. Der Glaube, erzählt er, half ihm dabei, sich auf einer Reise von weltlichen Zwängen frei zu machen, Gepäck und Ballast abzuwerfen und sich auf das Wesentlichste zu besinnen: hungrig sein, müde sein, lachen und weinen, einfach Mensch sein.
"Ich habe mich einmal in meinem Leben komplett entmaterialisiert. Nach einem Monat bin ich geflogen. Ich war so leicht, weil ich auf nichts mehr aufpassen musste als auf mich selbst."
Auf Reisen fand Tom, was ihm in der Heimat zuweilen abging: Zwischenmenschlichkeit und die Bereitschaft, miteinander zu teilen. In den Ländern, die wir Entwicklungsländer nennen, lächeln die Menschen viel, sagt er. Sie sehen einem in die Augen und wollen verstehen, wer man ist. Die Deutschen hingegen lebten zwarin großem Reichtum, aber alle suchten und keiner findet. Durch die wachsende Multimediawelt reisten sie zudem gedanklich, nur ihre Körper spürten die Bewegung nicht, meint Tom:
"Wir müssen uns wieder physisch und mental auf den Weg machen, dann ist Reisen auch Entschleunigung."
Was ihn andere Völker gelehrt haben, hat Tom zur Strategie in der Führung seiner Mitarbeiter gemacht. Harmonie spielt dabei eine große Rolle. Neben Worten läuft immer auch Energie, glaubt er. Darum herrscht in seinem Betrieb ein "Problem"-Verbot: "Es gibt nur unterschiedliche Sichtweisen, auch das ist eine Einstellungssache."

Jedes Jahr steht unter einem Motto.

2018 war es die "Komfortzone": niemanden in seiner Intimsphäre verletzen, aber gleichzeitig die Mitarbeiter dazu motivieren, den vertrauten Komfortbereich zu verlassen und über sich hinauszuwachsen. 2019 ist es die "Balance", denn nur die Dosis macht das Gift, sagt Tom. Wer viel arbeitet und leistet, müsse Pausen machen, um in Ruhe zu essen und wieder Energie aufzuladen. Gemeinsame Stärkungsphasen will der Unternehmer in diesem Jahr fördern. "Ich habe Menschen ausgebildet, die aus der Gesellschaft gedrückt worden sind. Wer bei mir arbeitet und konstant Leistung bringt, bekommt bedrucktes Papier. Und das bedeutet Freiheit, Essen, Familie."

Zufrieden ist, wer fertig wird

"Erst wenn du oben angekommen bist, wirst du frei. Vor zwei Jahren war ich allein auf einer Alm mit 47 Kälbern. Da weiß ich, wer ich bin. Und die Zufriedenheit, die kommt über die Natur." Innere Zufriedenheit im Alltag muss wachsen, findet Tom. Aber viele Menschen seien ungeduldig, machten sich Druck und brächten nichts mehr zum Abschluss. Darin sieht er eine der großen Ursachen der Unzufriedenheit: "Wenn wir auch mal durch das dunkle Tal hindurchgehen, um auf dem Berggipfel anzukommen, nimmt alles um uns herum Schönheit an", sagt er. So sei das auch mit seinen Produkten. Brauchtum entstehe über Jahre und Jahrhunderte hinweg. Dementsprechend brauche traditionelle Kleidung ihre Zeit. Und auch Tom sah mehrere Oktoberfest- Saisons an sich vorüberziehen, bis er Produktion und Vermarktung seiner Jacken gewinnbringend optimiert hatte.
"In meinen Produkten stecken meine Vorstellung von der Welt und 100 Prozent Ehrlichkeit, keine fiktiven Werte." Für ein langes Janker-Leben bietet die "Liebling"-Manufaktur auch einen Reparaturservice.
Sich spüren und mit etwas fertig werden – um diese Sehnsucht vieler rastloser Menschen hat Tom ein Waldprojekt gesponnen. Im "Timber Workout" sollen Besucher den Wald kennenlernen, das Alter von Bäumen feststellen, Holzarbeiten machen, den Boden unter den nackten Füßen spüren. Tom will ihnen in verschiedenen Programmen für Körper und Geist nahebringen, wie sehr Zufriedenheit vom Einklang mit der Natur abhängt. Der Generation Smartphone rät er: "Nimm das Handy ruhig mit! Nach einem Meter im Wald gibt es keinen Empfang mehr. Dann musst du loslassen."