"Haben Sie Angst vor Särgen, Kälte oder niedrigen Decken?": Letzte Chance für einen Rückzieher, bevor Jörn Surek die Tür zum Kühlraum des Münchner Krematoriums öffnet. Denn bevor es heiß wird für die Verstorbenen, um genau zu sein 900 Grad, wird es kalt: Gut gekühlt warten an diesem Morgen rund 30 Särge auf ihren letzten Weg. Darauf, dass sich die Klappe der Brennöfen schließt und das Feuer die Körper in wenige Häufchen weiß-graue Asche verwandelt.

Bis es so weit ist, durchläuft ein Verstorbener im Krematorium einige Stationen. Haben sich die Angehörigen für eine Sargtrauerfeier entschieden, können sie in der Trauerhalle Abschied nehmen. Blumen, Kerzen, Sarg: Wenig unterscheidet so ein Lebewohl zunächst von einer Sargbestattung. Nur wird der Leichnam im Anschluss eben nicht zu Grabe gelassen.

"Wir geben die Asche nicht heraus"

Stattdessen geht es von der schummrigen Trauerhalle mit Kirchenduft in einen neonröhrenhellen Gang vorbei an den Sammelgrab-Containern. Hier werden die Urnen und Überreste aufgelöster Gräber aufbewahrt. Denn biologisch abbaubare Urnen gibt es erst seit zehn Jahren, erklärt der technische Leiter des städtischen Krematoriums München. Und bei Urnennischen kommen auch heute Metallkapseln zum Einsatz.

"Wir geben die Asche nicht heraus", betont Surek. Wünsche, die Urne ins Regal zu stellen, die Asche ins Meer zu streuen oder sich aus den Resten einen Anhänger zu machen, widersprechen dem Friedhofszwang. Surek findet den gut: "Ein Grab ist ein Ort, den jeder aufsuchen kann, um zu trauern - egal ob sich die Angehörigen verstehen."

In den Brennkammern des Krematoriums kann es mehr als 1000 Grad heiß werden.
In den Brennkammern des Krematoriums kann es mehr als 1000 Grad heiß werden.

Seit dem 2. Jahrhundert war Sargbestattung die allgemein übliche Form. Krematorien entstanden erst im 19. Jahrhundert, Kirchen lehnten sie lange ab. Mittlerweile sieht das anders aus, sagt Theologe Johannes Minkus von der bayerischen evangelischen Landeskirche: Das Christentum präferiere keine Bestattungsform. "Für Christen gilt die Verheißung der Auferstehung", erklärt er: "Das gilt für Verstorbene, die erdbestattet werden ebenso wie für Verstorbene, die feuer- oder seebestattet werden."

Neben religiösen Bedenken kämen Vorbehalte häufig durch Unwissen, sagt Arndt Schulte Döinghaus, Friedhofs-Experte der Stadt: "Für viele ist ein Krematorium eine 'Blackbox'." Manche hätten Angst, ob die Verstorbenen vertauscht oder bei lebendigem Leibe verbrannt würden. Freunde der Feuerbestattung schätzen dagegen, dass es eine hygienische Form sei: Das Bild, von Maden zerfressen zu werden, schrecke viele an einer Sargbestattung ab.

Reine Einäscherung inkl. Urne für 269 Euro

Auch spiele der günstige Preis eine Rolle: Die reine Einäscherung inklusive Urne und Beschriftung kostet in München 269 Euro. Aktuell sei die Feuerbestattung in der Stadt gefragter als auf dem Land, glaubt Minkus. Doch auch dort steige der Wunsch nach einer Bestattungsform, bei der wenig Grabpflege nötig ist - etwa, weil die Angehörigen selbst nicht mehr am Ort wohnen.

Ehe ein Sarg in den Brennofen kommt, wird er geprüft: Griffe, Beschläge und Kreuze aus Plastik und Metall stapeln sich in Tonnen vor dem Kühlraum. Das Krematorium verkauft das Material für Recyclingzwecke, der Erlös komme der Kriegsgräberfürsorge zugute, erklärt Surek. Doch wozu braucht es einen Holzsarg, wenn dieser ohnehin verbrannt wird? Pappe ginge auch, nickt Surek. Weil die aber sofort wegbrenne, mache es das für das Feuer schwierig, auf den Leichnam überzugreifen.

Bis zu 50 Särge schaffen die Brennkammern pro Tag

Im Kühlraum also warten die Särge auf ihren letzten Weg. Schlicht und nackt, lediglich mit dem Namen des Verstorbenen und seiner Nummer, die den Dahingeschiedenen auf einer feuerfesten Tonmarke bis in die Urne begleitet, stehen sie zum Abtransport bereit. Erst wenn Totenschein, Anordnung und das Okay der Polizei vorliegen, darf Surek die Öfen anwerfen.

Liegt alles vor, öffnet sich die Tür zum Zentrum des Krematoriums: Laut wummern die Maschinen, vier der fünf Brennkammern mit glühenden Schamottsteinen kommen ihrer Aufgabe nach. Bis zu 50 Särge schaffen sie am Tag. Durch winzige Guckfenster lässt sich ins Innere blicken, wo die Flammen in zwei Stunden von den massiven Särgen und gestandenen Menschen nicht vielmehr übriglassen als ein Häufchen Asche.

Krematorium
Der technische Leiter des Münchner Krematoriums, Jörn Surek, zeigt bei Führungen durch die Verbrennungsstätte einen Schrank mit typischen Gegenständen, die nach der Einäscherung übrigbleiben.

Ganz richtig ist das freilich nicht: In den Überresten offenbaren sich künstliche Gelenke, Herzschrittmacher und anderes Metall, dem das Feuer nicht Herr wird. Mit einem Magneten fischt Surek das aus der Asche. Doch was passiert mit Gold aus Zähnen oder Schmuck? Surek stellt klar: "Wir suchen in den Überresten nicht nach Gold". Der Magnet erfasse sie nicht, zudem schmelze das Edelmetall und sei allenfalls als Klümpchen zu sehen. Surek beteuert: "Und die kommen mit den menschlichen Überresten in die Urne."

Mehr Urnen- als Sargbestattungen

Feuerbestattungen nehmen stark zu. In Ostdeutschland liegt ihr Anteil bereits bei 90 Prozent. In München gibt es 65 Prozent Urnen- und 35 Prozent Sargbestattungen, sagt Schulte Döinghaus. In Bayern sehe es ähnlich aus. Dieses Verhältnis sei gekippt: Vor einigen Jahren war es noch anders herum. "Der Trend geht zur Urne", sagt der Friedhofs-Beauftragte.

Bevor der Verstorbene endgültig in seine Urne gefüllt wird, wandern die Überreste durch eine Mühle, die letzte Teile wie Knochenköpfe zerkleinert. Je mehr Knochenmasse der Verstorbene mitbringt, desto voller wird die drei Liter fassende Aschekapsel. Schließlich kommt die Tonmarke hinein, der Deckel drauf und die Überreste werden je nach Auftrag an ihre letzte Ruhestätte verschickt.