Nicht nur einmal wurde dem Buch durch neue Medien ein langsames Sterben vorausgesagt oder zumindest drastische Veränderungen, weg vom Buch hin zu digitalen Produkten, prophezeit: "Sicher hat sich die Medienlandschaft diversifiziert, aber nach wie vor faszinieren Bücher", erklärt Jörg Hammerbacher, lange Zeit landeskirchlicher Beauftragter für Büchereiarbeit und seit wenigen Monaten Dekan in Weilheim. Zwar bräuchten nicht alle evangelischen Kirchengemeinden eine evangelische öffentliche Bücherei, sagt er; es dürfe aber nicht übersehen werden, dass in Gemeinden, die eine lebendige Büchereiarbeit haben, diese fast immer die Identität der Gemeinde geprägt hat.

"Nicht nur die Möglichkeit des Buchdrucks war eine wesentliche Voraussetzung der Reformation", sagt Hammerbacher.

Vor allem Philipp Melanchthon sei es gewesen, der mit der Reformation Bildung für breite Schichten zugänglich machen wollte.

"Zu selbstverständlich gehen wir heute teilweise davon aus, dass elementare Bildungsfragen über unser Schulsystem abgedeckt sind. Kirchlich nicht im Blick sei, dass die Zahl der Menschen, die nicht lesen können, in Deutschland zunimmt und bei etwa zehn Prozent der Bevölkerung liegt", so Hammerbacher weiter.

Schwerpunkte evangelischer Büchereiarbeit liegen laut Hammerbacher im Raum Nürnberg, aber auch im evangelisch geprägten Oberfranken im Raum Bayreuth oder Kulmbach. In Bad Reichenhall im Dekanat Traunstein, Partenkirchen im Dekanat Weilheim, Markt Erlbach im Dekanat Neustadt/Aisch, Bad Rodach im Dekanat Coburg und Leipheim im Dekanat Neu-Ulm seien evangelische Büchereien sogar die wichtigsten öffentlichen Büchereien am Ort. Sie haben also eine Funktion im Sozialraum.

Wichtig für das Gemeindeleben

Hammerbacher kennt einige herausragende Beispiele: "Der Gemeindepfarrer in Bad Reichenhall, Martin Wirth, sagte mir, die dortige Bücherei sei das Schaufenster der Kirchengemeinde für die lokale Öffentlichkeit. In Partenkirchen nimmt die evangelische Bücherei im Verbund mit katholischen Büchereien auch diese wichtige Funktion in der Kommune wahr", sagt er. Auch die evangelische öffentliche Bücherei in Himmelkron (Landkreis Kulmbach) sei so etwas wie der Mittelpunkt im Gemeindeleben. In der dortigen Bücherei sei eine größere Zahl Mitarbeiterinnen noch im Studierendenalter: "Kinder und Jugendliche, die sehr schnell von der Bücherei-Nutzerin zur Büchereimitarbeiterin geworden sind", schildert Hammerbacher.

Eine andere Funktion als Gemeinschaftsstifter habe die öffentliche Bücherei in der Vaterunser-Kirche in München-Oberföhring: Sie ist seit über 50 Jahren als ökumenische Bücherei im Stadtteil tätig. Hier habe die Büchereiarbeit zwei Gemeinden über Jahrzehnte ökumenisch zusammenwachsen lassen.

Ein halbes Jahrhundert: Bücherei Thalmässing

50 Jahre alt wird die evangelische Bücherei in Thalmässing im kommenden Jahr – und das Alter sieht man ihr gar nicht an. Was daran liegen könnte, dass die rund 10.800 Bände im Bestand erst im Dezember 2018 in ein neues Domizil umgezogen sind, an dem in dicken Lettern "Haus des Buches" steht. Was heute die zweitgrößte Bücherei Bayerns ist, hat mal mit 20 Büchlein begonnen.

Leiterin Waltraud Vogel ist nur eine von 18 Ehrenamtlichen, die regelmäßig den Schlüssel in der Tür zur Bücherei herumdrehen und die Gäste einlassen. Exakt 534 waren das im vergangenen Jahr, die 14.844 Bücher an 283 Jahresöffnungsstunden ausgeliehen haben. 1.572 Stunden ehrenamtliche Arbeit wurden in dem Zeitraum absolviert, wie die ausgebildete "Fachfrau für evangelische Büchereiarbeit" stolz die Statistik vorlegt. "Ja, das heißt wirklich so", lacht sie und denkt an die Anfänge, als sie mit ihrer damals noch kleinen Tochter vor 28 Jahren hier die ersten Bücher auslieh. "Irgendwann bin ich an der Bücherei hängen geblieben und habe mit den Fort- und Weiterbildungen begonnen", erklärt Waltraud Vogel.

Damals befand sich die Bücherei noch nebenan in der zum Gemeindehaus umgebauten Marienkirche, wo vor einem halben Jahrhundert alles mit dem damaligen Pfarrer Andersen begann. "Seine Frau hatte im Pfarrhaus ein kleines Regal mit vielleicht 20 Büchern, die sie an die Menschen aus der Gemeinde verlieh. Den Kindern der Gemeinde erteilten die Pfarrersleute unter anderem Flötenunterricht", berichtet Pfarrer Rudolf Hackner. Mitte der 1980er-Jahre zog der mittlerweile gewachsene Bücherbestand in den Kirchturm um. Über viele Jahre hinweg besuchte Groß und Klein aus Thalmässing und Umgebung die Bücherei, die mit ihr aufwuchsen, während die Bibliothek selbst immer größer wurde und die Menschen miteinander verband.

Schon früh wurden Kooperationen mit den evangelischen und kommunalen Kindergärten geschlossen, der Nachwuchs der Gemeinde kam regelmäßig zu Besuch. Seit nunmehr 35 Jahren besuchen Schüler der Thalmässinger Grund- und Hauptschule die Bibliothek, Erst- und Zweitklässler werden sogar kostenlos mit dem Bus gebracht. Eine Bücherei also als integratives Element. 

"Ich bin katholisch, darf ich hier auch rein?", sei noch bis vor wenigen Jahren eine der häufigsten Fragen von Besitzern des anderen Gesangbuchs gewesen, erinnert sich Waltraud Vogel. Doch auf die Konfession habe hier noch nie jemand geschaut. Und Pfarrer Hackner bekräftigt: "Die meisten Religionen bauen auf einem Buch auf. Vielleicht ist dies der Grund, wieso eine Bücherei so gut Gemeinschaft schaffen kann." Schon früher stand die Thalmässinger Bücherei immer wieder auf dem Tourplan von lesereisenden Autoren. "Sams"-Schöpfer Paul Maar war beispielsweise schon hier. Der Lesesaal wird auf jeden Fall wieder am Buß- und Bettag bevölkert, wenn der traditionelle Lesetag stattfindet.

Den Kirchturm von St. Marien kann man immer noch gut von der Terrasse im ersten Stock aus sehen, auf die sich die Besucher zurück ziehen können. Irgendwann sagte der Brandschutz dort mal "geht nicht mehr". "Uns allen war aber klar, dass die Bücherei weiter leben muss", sagt Pfarrer Hackner. Glücklicherweise hatte die Kommune im Jahr 2014 ein ehemaliges landwirtschaftliches Anwesen gleich nebenan gekauft. Das wurde nun saniert, mit Lift und öffentlicher Toilette ausgestattet und Raum für die Bücherregale geschaffen worden. Das "Haus des Buches" weist jetzt 300 Regalmeter, einen Lastenaufzug sowie einen Spielbereich für Kinder und einen Raum für Lesungen auf. Schon früher stand die Thalmässinger Bücherei immer wieder auf dem Tourplan von lesereisenden Autoren. "Sams"-Schöpfer Paul Maar war beispielweise schon hier.

Das "Haus des Buches" weist jetzt 300 Regalmeter, einen Lastenaufzug sowie einen Spielbereich für Kinder und einen Raum für Lesungen auf. Vom Angebot her unterscheidet sich die Thalmässinger evangelische Bücherei kaum von einer mit weltlichem Träger. "Früher hatten wir hier rund ein Viertel christliche Literatur. Die wird aber ehrlich gesagt wenig nachgefragt", meint Waltraud Vogel. Dafür findet man eine reichhaltige Auswahl an Romanen, Sachbüchern und natürlich auch Bibeln – rund 150 verschiedene Ausgaben. "Keine Zeitschriften, DVDs oder Spiele, die Leute sollen schließlich lesen", ergänzt Vogel.

Einmal im Jahr jedoch zeigt sich die Kirche sichtbar von ihrer literarischen Seite: Dann findet ein Literaturgottesdienst statt, bei dem ein Buch im Mittelpunkt steht. Das man freilich dann auch in der Bücherei ausleihen kann.

Immer größer geworden: Bücherei Himmelkron

Bereits 2018 den 50. Geburtstag feiern konnte die evangelische öffentliche Bücherei im sogenannten Grampp-Haus in Himmelkron, wo man seit 2011 sitzt. Mit rund 250 Büchern ging es 1968 im Pfarrhaus los, zwischen 1999 und 2010 war die Bücherei in einem ehemaligen Gemischtwarenladen in der Ortsmitte zu finden. Heute haben die neun Mitarbeiter rund um Leiterin Silvia Henke einen Bestand von rund 8.600 Medien. Und auch der Platz wurde von Standort zu Standort vergrößert. Hatte man am Anfang 20 Quadratmeter zur Verfügung, sind es heute 90 – und eine Erweiterung auf 110 steht noch aus. Regelmäßige Leser sind es 500, die in den Spitzen pro Jahr bis zu 17.000 Bücher ausleihen. Die Bücherei hatte 1968 ein Pfarrer-Ehepaar gegründet. Nach einigen Mitarbeiterwechseln wurde die Bücherei von 1988 bis 2017 von Isolde Hornfeck engagiert geführt.

"Die Unterscheidung weltlich/christlich/kirchlich oder gar evangelisch ist nicht mehr üblich", erklärt Henke. In evangelischen Gemeinschaften gebe es zwar noch einschlägige Buchangebote, die Büchereiarbeit in Himmelkron orientiere sich aber an den Vorgaben des evangelischen Literaturportals in Göttingen.

Das Buchangebot ist breit gefächert und umfasst weiterhin ein breites religiöses Spektrum. In kommunalen Büchereien sei das Angebot ähnlich aufgestellt.

"Den Unterschied macht wohl die Wohlfühlatmosphäre in unserer Bücherei. Wir legen seit Jahrzehnten großen Wert auf ein heiter-familiäres Miteinander von Besuchern und Mitarbeitern. Besucher berichten mitunter von sachlich-nüchternen und bürokratischen Erlebnissen in den Büchereien der Nachbarstädte Bayreuth und Kulmbach", meint Henke.

Ihre Bücherei sei seit Jahren ein Treffpunkt in der Gemeinde, der von allen Altersgruppen gleichermaßen angenommen wird. Das Büchereicafé, das regelmäßig am letzten Freitag im Monat stattfindet, hat sich zu einer festen Institution im Gemeindeleben entwickelt und wird auch von Nichtlesern gerne angenommen. Einmal pro Jahr findet ein Flohmarkt zugunsten der Bücherei statt, für den es zahlreiche Buchspenden von Gemeindemitgliedern gibt. Sehr gut laufe die Zusammenarbeit mit Kindertageseinrichtungen und Schulen. Es finden regelmäßige Besuche in der Bücherei statt. Hier wird auch mal ein Bilderbuchkino gezeigt, vorgelesen oder verschiedene Stationen zur Leseförderung angeboten. So könnten auch Familien erreicht werden, die die Bücherei noch nicht für sich entdeckt hatten.

Für die Kindereinrichtungen stellt das Himmelkroner Team themenbezogene Bücherkisten zusammen. Seit ein paar Jahren stehen für Kinder Bücherrucksäcke zur Verfügung, in denen Bücher und entsprechendes Spielmaterial die Kinder zum Lesen anregen sollen. Veranstaltungen wie Lesungen für Kinder und Erwachsene oder ein Ferienprogramm gehören ebenso zum Angebot. Engen Kontakt halte man zu den Bewohnern der diakonischen Einrichtung und Werkstatt für Behinderte. Der Trend zu den E-Books hat sich natürlich auch in der Bücherei in Himmelkron bemerkbar gemacht – in den vergangenen Jahren gingen die Ausleihzahlen zurück. "Das Bedürfnis nach Austausch und sozialen Kontakten überwiegt, und so ist zurzeit wieder ein Anstieg zu verbuchen", sieht Henke nach vorne.

Halb-weltlich: Bücherei Leipheim

Eine halb kirchlich, halb weltliche Einrichtung ist die Stadtbücherei im Kantorhaus Leipheim, die wahrscheinlich bereits Ende der 1940er-Jahre im Pfarrhaus gegründet wurde. "Leider ist das nicht genauer datiert", sagt Uwe Geiger, der die Büchereileitung seit 2009 zusammen mit Petra Marczinzik-Geiger innehat. Auf eine Einwohnerzahl von etwa 7.500 kommen in Leipheim etwa 1.800 Protestanten.

1975 zog die Bücherei ins neue evangelische Gemeindehaus um, 1990 drohte die Schließung. Im Jahr drauf Aufatmen: Ein Kooperationsvertrag zwischen evangelischer Kirchengemeinde und der Stadt Leipheim wurde geschlossen, um die Bücherei in gemeinsamer Trägerschaft weiterzuführen. Im September 1992 zogen die evangelische Stadtbücherei und die Schulbücherei ins Kantorhaus. Die Leipheimer Bücherei-Räume erstrecken sich auf einen etwa 20 Quadratmeter großen Kinderbereich und einen etwa 50 Quadratmeter großen für die Erwachsenen.

"Wir sind klein und fein und führen trotzdem einen aktuellen Bestand. Bei uns geht es noch persönlich zu, und wir haben Zeit für unsere Leserschaft", erklärt Geiger. Manche Leser kommen aus den größeren kommunalen Büchereien, da hier die aktuellen Bücher nicht über Monate vergriffen seien.

16 Mitarbeiter sind zehn Stunden pro Woche ausschließlich ehrenamtlich in der Bücherei Leipheim tätig – davon eine Fachfrau und sechs mit Grundkursausbildung.

Die Nutzung der Bücherei ist kostenlos. Etwa 6.300 Bücher, Zeitschriften, Hörbücher (CDs) und Spiele stehen zur Verfügung. Etwa 11.000 Medien werden im Jahr ausgeliehen.

Die Hälfte der Kunden sind Kinder bis zwölf Jahre. Mitverantwortlich für den jungen, aber auch treuen Stamm sind sicherlich regelmäßige Veranstaltungen wie Kindergartenführungen, der Bücherflohmarkt, Kinder- und Erwachsenen-Lesungen, Spielenachmittage und -abende oder ein Bastelnachmittag. Insgesamt bringt es das Bücherei-Team auf circa 35 Veranstaltungen mit rund 2.000 Besuchern im Jahr, für die der Zeitaufwand bei etwa 2.300 ehrenamtlich geleisteten Stunden liegt.

Auch wenn die Evangelische Stadtbücherei im Kantorhaus Leipheim sich behauptet – ein Trend der vergangenen Jahre ist eher negativ: Zwischen 13 und 35 Jahren geht die Leserschaft fast gegen null. Positiv dagegen: Die Ausleihzahlen für Spiele und audiodigitale Medien steigen stetig. "Trotz der Digitalisierung werden die Kinderveranstaltung sehr rege genutzt. Und trotz der E-Book-Ausleihe bleiben die Ausleihzahlen der Printmedien konstant und steigen sogar leicht an", freut sich Geiger.

Attraktives Ehrenamt

So ganz nebenbei scheint auch die Mitarbeit in einer evangelischen Bücherei sehr attraktiv für Menschen zu sein, die sich in ihrer Freizeit engagieren möchten: In der Ehrenamtsevaluation der bayerischen Landeskirche im Jahr 2012 wurde deutlich, dass Mitarbeiter in den evangelischen öffentlichen Büchereien nach den Chorleitern wöchentlich die meiste Zeit für ihr Ehrenamt aufbringen: durchschnittlich acht Stunden. Büchereien werden meist nur dann aufgegeben, wenn Mitarbeiter ihre Tätigkeit beenden, heißt es da. Für die Bücherei in Leipheim und an anderen Standorten kommt das derzeit jedoch nicht infrage.