Deutsch-polnische Versöhnungsgesten haben 80 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkrieges das Gedenken geprägt. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bat bei einem Besuch im Nachbarland um Vergebung, bekannte deutsche Schuld und unterstrich die Verantwortung für europäischen Zusammenhalt. "Ich verneige mich vor den polnischen Opfern der deutschen Gewaltherrschaft", sagte er am 1. September 2019 auf dem Marktplatz von Wielun auf Deutsch und Polnisch.

Die Gedenkfeier am Ort des ersten deutschen Angriffs mit Sturzkampfbombern am 1. September hatten der polnischen Präsident Andrzej Duda und Steinmeier im vergangenen Jahr vereinbart. "Dass Sie hier sind, ist eine Form der moralischen Wiedergutmachung", sagt Duda an Steinmeier gerichtet vor mehreren tausend Menschen, die sich noch vor Sonnenaufgang auf dem Marktplatz der Kleinstadt rund 100 Kilometer südwestlich von Lodz versammelt hatten.

Die Gedenkfeier, die sich an der Zeit des ersten Fliegerangriffs orientierte, wurde als starke Geste für die Bürger von Wielun und die polnische Bevölkerung gewertet. Sie unterschied sich damit deutlich von der zentralen Veranstaltung zum 80. Jahrestag des Kriegsbeginns am Mittag in Warschau, zu der Staatsgäste aus rund 40 Ländern angereist waren und bei der die Polen wegen der strengen Sicherheitsvorkehrungen weitgehend außen vor blieben. Unter den Gästen in der polnischen Hauptstadt waren neben Steinmeier auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und US-Vizepräsident Mike Pence.

Gedenken in Wielun

Steinmeier sagte in Wielun, Deutschland nehme die Verantwortung an, "die unsere Geschichte uns aufgibt": "Wir wollen und wir werden uns erinnern." Auf Wielun hatte die deutsche Luftwaffe nahezu zeitgleich zu den ersten Gefechten auf der Halbinsel Westerplatte bei Danzig am frühen Morgen des 1. September 1939 ab 4.40 Uhr mehrere Angriffe geflogen. Von den rund 15.000 Einwohnern kamen an diesem Tag mindestens 1.000 Frauen, Männer und Kinder ums Leben.

Einige Besucher der Gedenkfeier am Sonntag hatten Kerzen dabei, wenige schwenkten polnische Fahnen. Zu Beginn der Gedenkfeier gellten Alarmsignale und riefen die Erinnerung an den Angriff vor 80 Jahren wach. "Wielun muss in unseren Köpfen und in unseren Herzen sein", sagte Steinmeier: "Wielun war ein Fanal, ein Terrorangriff der deutschen Luftwaffe und ein Vorzeichen für alles, was in den kommenden sechs Jahren folgen sollte."

Auch Duda sprach von einem Terrorangriff und schilderte die Gräuel des Bombardements, das die Zivilbevölkerung traf und unter anderem ein Krankenhaus zum Ziel hatte. "Der Zweite Weltkrieg war ein großes Verbrechen", betonte der polnische Präsident. Schätzungen zufolge starben im Zweiten Weltkrieg zwischen 1939 und 1945 rund 60 Millionen Menschen.

Appelle zu internationaler Zusammenarbeit und Einsatz für den Frieden prägten das Gedenken am Mittag in Warschau. Das vereinte Europa sei die "rettende Idee" und die "Lehre aus Jahrhunderten von Krieg und Verwüstung, von Feindschaft und Hass", sagte Bundespräsident Steinmeier. Duda appellierte an die Staaten der Nato und der EU, Aggressionen in den internationalen Beziehungen entschieden entgegenzutreten. In den 1930er Jahren sei das versäumt worden. Dem nationalsozialistischen Deutschland hätte früher Einhalt geboten werden müssen.

Steinmeier sagte: "Ich bitte um Vergebung für Deutschlands historische Schuld. Ich bekenne mich zu unserer bleibenden Verantwortung." Die Versöhnung nach dem Krieg sei eine Gnade, "die wir Deutsche nicht verlangen konnten, aber der wir gerecht werden wollen". Die deutsche Verantwortung gelte Europa.

Europa müsse stärker und selbstbewusster werden. "Aber wir wissen auch: Europa soll nicht stark sein ohne Amerika - oder gar gegen Amerika", fügte der Bundespräsident hinzu. US-Vizepräsident Pence sagte: "Heute sind wir hier als Freunde, als Alliierte zusammen." Das Zusammenstehen unabhängiger Nationen sei die beste Absicherung für Freiheit.

Ursprünglich hatte US-Präsident Donald Trump nach Warschau reisen wollen, seinen Besuch aber mit Verweis auf die Hurrikan-Gefahr in Florida kurzfristig abgesagt. Russland war beim Weltkriegsgedenken in Warschau angesichts der angespannten Beziehungen zu Polen nicht vertreten.

Weder Steinmeier noch Duda gingen am Sonntag in ihren Reden auf die von der polnischen Regierungspartei PiS befeuerte Debatte um deutsche Reparationszahlungen an Polen ein. Steinmeier sagte in Wielun lediglich: "Unrecht und erlittenes Leid können wir nicht ungeschehen machen. Wir können es auch nicht aufrechnen." Duda hatte der "Bild"-Zeitung vor den Gedenkfeiern gesagt, er halte die Forderung nach Reparationszahlungen für eine Frage von Verantwortung und Moral. Mit der Höhe der Forderung "befasst sich gerade unser Parlament und wird eine Rechnung vorlegen".