Weihnachten sei eigentlich nur der Tiefpunkt, sagt Astrid Zeilinger. Im Prinzip fange alles schon mit St. Martin an. Wenn die Kinder draußen mit den Laternen umherziehen und singen. Wenn überall Lichtchen leuchten und Glöckchen bimmeln. Und wenn schließlich in der Fernsehwerbung die Großfamilien friedlich zusammen am Tisch sitzen und ein Festmahl essen. Heile-Welt-Überdosis, sozusagen. Die Wochen bis nach Heilig Drei König seien wirklich schlimm, sagt die Pfarrerin - und meint damit natürlich nicht sich selbst, sondern die Stimmung vieler ihrer Klienten: die Insassen der Würzburger Justizvollzugsanstalt (JVA). Deren Heiligabend sieht so aus: 23 Stunden in der Zelle eingesperrt, eine Stunde Hofgang. Fertig.

Die Monotonie des Zellenalltags ist zermürbend

Pfarrerin Zeilinger arbeitet gerne im Knast, sagt sie: "Aber ich kann ja auch abends wieder raus." Und das ist nicht nur ein flotter Spruch. Die Monotonie des Zellenalltags ist zermürbend. Etliche der JVA-Insassen haben keinen Job, sitzen außerhalb der Aufschlusszeiten allein oder mit bis zu drei anderen in einer Zelle, starren dabei buchstäblich die Wand an. "Wenn dann gerade an Weihnachten bei denen, die Frau und Kinder oder sonst wie Familie draußen haben, das Kopfkino anfängt - da sind die härtesten Typen einfach nur fertig", sagt die Theologin. Seit Juni arbeitet sie in der JVA Würzburg - es ist ihr erstes Weihnachten dort. "Aber ich bin mir sicher: Nach den Feiertagen habe ich viel zu tun."

An Heiligabend gibt es Steak

Dabei geben sich die Bediensteten im Würzburger Gefängnis für die ungefähr 600 männlichen und 100 weiblichen Gefangenen große Mühe, die Weihnachtszeit so erträglich wie möglich zu gestalten. Die Anstalt ist, so gut es die Vorschriften zulassen, geschmückt - es hängen einige Adventskränze in den Treppenhäusern, Gängen und natürlich der JVA-Kapelle. Und Küchenleiter Roland Hell versucht das Unmögliche: beim knappen Verpflegungsbudget von 2,40 Euro pro Tag und Häftling für drei volle Mahlzeiten trotzdem an den Feiertagen etwas Besonderes zu bieten. An Heiligabend gibt es Steak, am ersten Feiertag Wildgulasch, am zweiten Feiertag Spießbraten und an Neujahr sogar Entenkeule.

"Viele wären nicht hier, hätte man ihnen früher geholfen"

Das ist eine schöne Geste und hilft dem ein oder anderen - aber die seelische Not, die müssen die Insassen an den Feiertagen vornehmlich alleine aushalten. "Es gibt zwar einen Seelsorge-Notdienst, aber das ist wirklich nur für krasse Fälle", sagt Pfarrerin Zeilinger. Ein Großteil dieser Nöte wird sich anstauen und ab dem 27. Dezember seine Bahn brechen, wenn sie wieder im Dienst ist. "Ich weiß, dass mich die Menschen hier brauchen", sagt die 47-Jährige. Zuspruch, Seelsorge, Zuhören, Zeit. All das, was die Menschen im Leben draußen vor ihrer Haftstrafe nicht oder nur zu selten hatten. Auch deshalb wurden einige straffällig: "Ich bin mir sicher, dass viele nicht hier wären, hätte man ihnen früher geholfen."

Am Schluss gibt es oft die echte Wahrheit

Doch Astrid Zeilinger ist nicht naiv. Sie weiß, dass all diejenigen, die ihr in der JVA bei Gesprächen gegenübersitzen, nicht grundlos dort sind. "Aber es sind in erster Linie Menschen, die Seelsorge brauchen, wenn sie zu mir kommen - keine Verbrecher." Und die erzählen ihr dann Stück für Stück, was sonst oft niemand weiß. Zuerst bekommt sie vielleicht die Wahrheit zu hören, die es bei der Gerichtsverhandlung gab. Dann jene, oft geschönte Wahrheit, die sich die Insassen selbst erschaffen, um mit ihrer Tat und im Gefängnisalltag zu leben und zu überleben. Am Schluss gibt es dann oft die echte Wahrheit. Die, die wehtut, sagt die Pfarrerin: "Und all das bleibt ganz alleine bei mir, ich habe ja Schweigepflicht."

Fast überall im Knast haben die Wände Ohren

Das macht die Theologin als Gesprächspartnerin im Knast so attraktiv. Fast überall sonst haben die Wände Ohren. Nicht, dass dort abgehört würde. Aber Mitgefangene hören mit, verpfeifen oder erpressen einen daraufhin. Und natürlich sind die Vollzugsbeamten verpflichtet, hellhörig zu sein, wenn von Straftaten gesprochen wird. Nur in Astrid Zeilingers Büro und der Kapelle bleibt sicher alles unter vier Augen und Ohren. "Ich habe viel Verständnis", sagt sie, gerade weil die Lebensgeschichte oft der Grund dafür ist, dass jemand auf die schiefe Bahn gerät. "Schwierig ist für mich nur, wenn jemand auch nach längerer Zeit keine Einsicht in seine Schuld zeigt - da lege ich bewusst meine Finger in die Wunde."

Einige beginnen, in der Bibel zu blättern

Zum Missionieren ist die 47-Jährige nicht im Gefängnis. "Viele kommen erst einmal auch nicht aus Überzeugung in den Gottesdienst oder auch zum Gespräch mit mir", sagt sie. Den meisten gehe es um den "Tapetenwechsel" - also: raus aus der Zelle, vor allem am Sonntag, wenn schlimmstenfalls nur die eine Stunde Hofgang eine Abwechslung bietet. Aber einige beginnen dann doch in der Bibel zu blättern, denken über ihr Leben nach. "Nicht bei allen ist das nachhaltig", sagt sie: "Wer nach der Entlassung in alte Gewohnheiten zurückfällt, der verliert seinen Glauben schnell wieder." Doch es bleibe häufig eine positive Erinnerung, auf die sich später zurückgreifen lasse.