Zwei Jahre lang durfte Merhabi Abraham kein Licht sehen. Nicht die Sonne, und auch nicht den Schein einer Lampe. "Sie hatten mich so lang eingesperrt, weil ich mich geweigert hatte, zum Militär zu gehen", sagt der junge Mann aus Eritrea, der mit 15 Jahren Kindersoldat werden sollte. Durch die lange, lichtlose Gefangenschaft wurde Abraham nachtblind. Bis heute haben sich seine Augen nicht regeneriert. "Ich sehe nur noch 20 Prozent", sagt der heute 23-Jährige, der seit März im Berufsförderungswerk Würzburg (BFW) Deutsch lernt.

Im Januar 2017 begann das BFW, sehbehinderten Geflüchteten Integrationskurse anzubieten. Den Anstoß gab Robert Metz, Würzburger Regionalkoordinator des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (BAMF). Ihm wurden immer mehr Geflüchtete bekannt, die blind sind oder nur sehr wenig sehen. Die Betroffenen können keinen herkömmlichen Integrationskurs besuchen, erklärt Robert Rosenhahn, der beim BFW Deutschkurse leitet. Wegen ihrer Erblindung oder ihres Augenleidens sind Deutschbücher nicht verwendbar.

Über einfachste Lernmaterialen zum Anfassen werden im BFW Brücken in die deutsche Sprache geschlagen. Auch kann nichts notiert werden "Unser Teilnehmer müssen sich alles im Kopf merken", sagt Rosenhahn. Bundesweit gibt es kaum Bildungseinrichtungen, die Integrationskurse für Geflüchtete mit Sehbehinderung anbieten. Das BFW ist zudem die einzige Institution, die seit Januar einen berufsorientierten Deutschkurs auf B2-Sprachniveau im Programm hat. Die rund 40 Teilnehmer der derzeit sechs Kursen kommen aus der ganzen Republik.

"Mein Deutsch muss besser werden"

Merhabi Abraham zum Beispiel lebt in der Nähe von Stuttgart. Dort hat er ein Praktikum in einem Pflegeheim abgeleistet. Das ging trotz seiner Sehbehinderung gut, weshalb er einen Ausbildungsplatz angeboten bekam. "Doch mein Deutsch muss besser werden", sagt der junge Mann. Deshalb wurde er ins BFW vermittelt.

Das in Veitshöchheim bei Würzburg BFW engagiert sich weit über die Deutschkurse hinaus für die Geflüchteten. Mit Ibrahim Elnomany, der aus Kairo stammt, wurde im April 2017 ein Dolmetscher angestellt, der fließend Deutsch und Arabisch spricht. "Ich bin hier Mädchen für alles", sagt er. Elnomany übersetzt nicht nur. Er hilft auch, Blindengeld, Beihilfe und Schwerbehindertenausweise zu beantragen. Alle zwei Wochen begleitet er die Kursteilnehmer, die im BFW-Internat wohnen, zur Heimreise an den Bahnhof. Häufig unterstützt er sie bei Arztbesuchen.

"Für diese Stelle erhalten wir keinen Cent Refinanzierung" sagt BFW-Teamleiterin Christine Haupt-Kreutzer. Überhaupt sei der Kampf ums Geld mühsam. So werde die dringend notwendige zweite Lehrkraft in den Kursen, eine Sozialpädagogin, nur zu einem geringen Anteil finanziert. Besonders empörend ist für die Betriebswirtin, dass sich die Krankenkassen oft quer stellen, wenn es um die Finanzierung des Mobilitätstrainings geht. Meist wird argumentiert, dass dem Flüchtling bereits ein Training mit dem Langstock bezahlt worden sei.

Wo ist das Bett? Wo der Tisch?

Doch es nützt einem BFW-Teilnehmer nichts, wenn er sich nun in der Unterkunft seines Wohnorts halbwegs zurechtfindet. Auf dem Gelände des Bildungszentrums ist er neuerlich hilflos. Das BFW geht in Vorleistung, ohne zu wissen, ob der Antrag auf Training später bewilligt wird. Einrichtungseigene Mobilitätstrainer helfen den Geflüchteten gleich nach der Ankunft, ihr Internatszimmer zu erkunden. Wo ist das Bett? Wo der Tisch? Wo das Bad? Sie trainieren mit dem Langstock außerdem tagelang den Weg vom Zimmer zum Kurs- und zum Speiseraum. Mehr, bedauert Haupt-Kreutzer, ist nicht drin: "Wobei es im Sinne der Integration und Inklusion wichtig wäre, auch zu lernen, alleine mit Bus und Bahn nach Hause zu fahren."

Aya Alhousary gehört zu den wenigen Teilnehmern, bei denen das Training anstandslos genehmigt wurde. "Ich hatte so etwas noch nie zuvor gehabt", sagt die 23-Jährige, die Anfang 2016 mit ihren Eltern und vier Schwestern vor dem Krieg aus Syrien floh. Bis zur neunten Klasse hatte sie in Syrien eine Regelschule besucht: "Dann wurde es mit meinen Augen immer schlimmer." Die junge Frau aus München, die zu den ersten BFW-Kursteilnehmern gehört, leidet an einer Netzhautentzündung. Inzwischen hat sie einen Sehrest von nur noch drei Prozent.

"Religionen interessieren mich sehr"

Ihr Landsmann Hasan Kalawe sieht nur geringfügig besser. "Ich nehme Menschen wahr, kann ihre Augen aber nicht erkennen", erklärt der 30-Jährige. Dennoch hatte er es geschafft, in Syrien Theologie zu studieren: "Religionen interessieren mich sehr." Er ging in die Türkei, um seinen Master zu machen. Dann kam der Krieg. Seine Familie schaffte es nicht, zu ihm in die Türkei nachzukommen. Kalawe beschloss vor drei Jahren, trotz seiner schweren Sehbehinderung alleine nach Deutschland zu fliehen. Im September 2017 begann er im BFW, Deutsch zu lernen. Zuvor hatte er in Limburg und Dortmund, wo er zunächst wohnte, zwei Jahre lang vergeblich nach einem Kurs gesucht.

Bis heute ist es ein Zufall, ob sehbehinderte Flüchtlinge von den wenigen Spezialkursen erfahren, bestätigt Christine Haupt-Kreutzer: "Es ist nicht einmal bekannt, wie viele Geflüchtete betroffen sind." Nach Ansicht des BFW bräuchte es dringend eine deutschlandweite Koordinationsstelle für Flüchtlinge mit Handicap. Damit auch diese Gruppe eine Chance erhält, sich zu integrieren.