Johann Friedrich Hessing (1838-1918) war ein echter Tausendsassa. Der gelernte Schreiner und Orgelbauer aus Schönbronn unweit von Rothenburg ob der Tauber war ein Tüftler und gilt als Erfinder der Prothese. Damit nicht genug: In Göggingen bei Augsburg eröffnete Hessing eine Heilanstalt, die in kurzer Zeit enormen Zulauf erfuhr. Es folgten weitere Sanatorien, darunter auch das Wildbad Rothenburg, das Hessing in seiner bis heute nahezu unveränderten Form Ende des 19. Jahrhunderts bauen ließ. Am 16. März vor 100 Jahren starb er.

Hessing wurde als 13. Kind in ärmlichen Verhältnissen geboren. Sein Vater war Hafner, die Mutter Hebamme, zusammen betrieben sie eine kleine Landwirtschaft. Hessing hätte es mit seiner Begabung zwar auf die Oberschule geschafft, der Familie fehlte aber das Geld. Er ging zur Volksschule und begann in Schillingsfürst eine Gärtnerlehre. Die brach er ab, ebenso eine erste Schreinerlehre, sagt Pfarrer Herbert Dersch, der langjährige Wildbad-Leiter. Denn Hessing war nach eigenem Ermessen schon "besser als der Meister". Eine zweite Schreinerlehre beendete er.

Hessing, der Wunderdoktor

Doch mit der Schreinerei alleine wollte sich Hessing nicht begnügen. Auf der Wanderschaft kam er in Kontakt mit der Orgelbaufirma Steinmeyer. Der Schreiner lernte noch das Orgelbauhandwerk und erhielt 1866 die Lizenz zum Orgelbauer. Hessings eigentliche Leidenschaft war aber seit jeher etwas anderes: die Orthopädie. Von Kindesbeinen an beschäftigte er sich mit dem menschlichen Körper, dem Zusammenspiel von Knochen, Muskeln und Sehnen. Einem Müllergesellen, der sein Bein verloren hatte, hatte Hessing bereits als Schreiner eine Holzprothese gebaut.

1868, also im Alter von gerade einmal 30 Jahren, hatte Hessing endlich das erreicht, was er von klein auf gewollt hatte: In Augsburg eröffnete er eine Heilanstalt und machte die Orthopädie zu seinem Beruf. Ein Jahr später verlagerte er sie nach Göggingen bei Augsburg. Dort ersann der Autodidakt orthopädische Geräte, die auch noch heute in veränderter Form eingesetzt werden, beispielsweise das "Hessingkorsett", mit dem man Wirbelsäulenverkrümmungen behandeln kann. Zudem entwickelte er für an Kinderlähmung Erkrankte seinen "Schienenhülsenapparat".

Hessing wurde mit seiner Heilanstalt bald als "Wunderdoktor" bekannt und behandelte an die 60.000 Menschen. Den Schulmedizinern war der Erfolg des Laienorthopäden Hessing natürlich äußerst suspekt und ein Dorn im Auge. Trotz heftiger Angriffe seitens der Schulmedizin setzte er sich auf dem Berliner Chirurgenkongress 1874 mit seinen neuartigen orthopädischen Behandlungsmethoden durch. Auch auf dem 16 Jahre später stattfindenden "10. Internationalen Medizinischen Kongress" wurden seine Methoden von Fachärzten übernommen.

 

Wildbad Rothenburg
Wildbad Rothenburg, historische Aufnahme

In den Folgejahren trat Johann Friedrich Hessing auch als Pächter der Badebetriebe in Bad Kissingen und Bad Bocklet auf, ehe er Ende des 19. Jahrhunderts nach Rothenburg zurückkam. Dort baute er an den einst städtischen Badeanlagen in neun Jahren das heutige Gebäude. 1903 wurde das prachtvolle Wildbad eröffnet. Dem "Kurhotel ersten Ranges" war aber nur ein kurzer Erfolg gegönnt; 1917 verkaufte er es an die "Genossenschaft deutscher Bühnenangehöriger", 1925 wurde es an den Landesverband der Bayerischen Ortskrankenkassen versteigert.

Seit 1978 ist das Wildbad im Besitz der Landeskirche

Während des Zweiten Weltkriegs wurde der Prachtbau als Lazarett, als Kinderheim, als Hitlerjugend-Schule und nach Kriegsende vom US-Militär genutzt. Anschließend diente es als Lager für Vertriebene aus dem Baltikum. Zwischen 1951 und 1976 wurde es Ausbildungszentrum der Bayerischen Bereitschaftspolizei, 1977 errichtete die "Gesellschaft für Transzendentale Meditation" dort eine "Residenz des Zeitalters der Erleuchtung". Seit 1978 ist es im Besitz der bayerischen evangelischen Landeskirche - und hat sich einen Namen als Tagungsort gemacht.

Das liegt zum einen "an der besonderen Architektur und der Geschichte des Wildbades", sagt Wildbad-Leiter Dersch. Bereits im 14. Jahrhundert seien am Tauberhang Heilquellen entdeckt worden, um 1400 wurde dort das erste Bad errichtet. Weil die Heilwasserqualität abnahm, verkaufte die Stadt das Areal an Hessing. Zum anderen lockten "dieses idyllische Ambiente und die liebevollen Details" der Kuranlage viele Besucher an. "Man taucht in eine andere Welt ein", wenn man in das große, am Hang gelegene Gebäude kommt, findet Pfarrer Dersch.