Vor dem riesigen Kreuz, im Scheinwerferlicht stehen sie: Entertainer, stille Wasser und Wortgiganten! Männer und Frauen mit Mikrofon in der Hand. Einer nach dem anderen tragen sie ihre selbst geschriebenen Texte vor - lustige, nachdenkliche, provokative. Wir sind mittendrin im "Charity-Slam" in der Lux, der Jugendkirche im Nürnberger Nordosten.

Charity-Slam in der Lux

Einmal im Jahr bringt die 22-jährige Lara aus Fürth, Poetry-Slammerinnen und Slammer aus der ganzen Republik zusammen, um Geld zu sammeln für die gute Sache. Jetzt ist Juston Buße aus Berlin dran:

"Heute sind wir in Deutschland an einem Punkt, wo jeder Sechste von euch von Armut bedroht ist. Wo immer mehr Menschen trotz Arbeit ihre Wohnung verlieren, weil sie sich die Miete nicht mehr leisten können."

Mit seinem Text über Obdachlosigkeit gewinnt Buße den Charity-Slam 2019. Selten sind Kirchen so voll wie an diesem Abend. Für alle, die heute in die Jugendkirche gekommen sind, ist was dabei. Und der Erlös des Abends geht an den Sigena Stützpunkt Nürnberg Nordost, der mit Wohnungsprojekten und Mittagstisch Menschen aus der Region ehrenamtlich unterstützt.

Und das kam gut an: Tosenden Applaus gibt es am Ende für die Veranstalterin des Abends, die selbst gefragte Poetry-Slammerin ist. Lara Ermer organisiert den Slam seit 2015 und ist überzeugt:

"Das Publikum freut sich über den fairen Eintrittspreis, das Spendenziel freut sich. Vom Orga-Aufwand her ist es einmal im Jahr echt okay. Deswegen tue ich das sehr gerne, weil wenn man schon Reichweite hat, warum nicht für was Gutes nutzen!"

Lara Ermer schreibt persönliche und ehrliche Texte, zum Beispiel über Feminismus, Sexualität oder das Polizeiaufgabengesetz. "Mein Lebensunterhalt ist die Bühne!", sagt sie. Eine Produktion von Roland Rosenbauer und Jasmin Kluge.

Die Bühne ist Laras Element

Auf der Bühne fühlt Lara sich wohl. Hier ist sie in ihrem Element. Dabei hat alles im stillen Kämmerchen begonnen: Schon als Kind hat sie Gedichte geschrieben, die sie heute fürchterlich findet. Sie hat sich später journalistisch betätigt und immer gerne mit Worten gespielt. Irgendwann haben Freunde ihr vom Format Poetry-Slam erzählt. "Dann hab' ich mich zum ersten Mal in Fürth in St. Michael auf die Bühne gestellt und gewonnen. Ich hatte Blut geleckt und bin durch Deutschland, Österreich und die Schweiz getourt und mach' das bis heute." Inzwischen hat Lara Ermer über 100 Auftritte pro Jahr im gesamten deutschsprachigen Raum.

"Es ist auch momentan mein einziger Job. Also das ist mein Lebensunterhalt - die Bühne."

Poetry-Slam ist in Deutschland unfassbar groß

Poetry-Slam ist eine Art Dichterschlacht. Hier treffen Rebellen der modernen Literatur und Wortkünstler aufeinander, um ihre Kräfte in Form von selbstgeschriebenen Texten zu messen. Dabei ist jede Art von Text erwünscht – ob Prosa, Lyrik,  Hip Hop oder Experimentelles. Entstanden ist die Idee im Rahmen der "Open Stage-Bewegung" in der USA. Lara Ermer erzählt: "Da hatte ein Amerikaner - Marc Kelly Smith - die Idee, einen Wettbewerb einzubauen als Anreiz fürs Publikum. Und dann ist es sehr schnell weltweit über die Bars und Bühnen geschwappt."

"Deutschland hat die aktivste und größte Slam-Szene der ganzen Welt. Besagter Erfinder kommt auch regelmäßig nach Deutschland und ist beeindruckt, wie unfassbar groß das in Deutschland geworden ist."

Was genau bei so einem Slam passieren wird, lässt sich nie vorhersagen. Außer, dass das Publikum über Sieg oder Niederlage der Poeten entscheidet. "Es treten alle in der Vorrunde auf. Dann entscheidet das Publikum, wen sie nochmal hören wollen. Nur diese Leute dürfen im Finale noch einen zweiten Text machen. Dementsprechend kann das Publikum mitbestimmen und am Ende einen Sieger, eine Siegerin küren. Dadurch ist es für alle aufregender und hat mehr Pepp", findet Lara.

Wer gewinnt, ist egal

Lara Ermer hat schon viele Slams gewonnen. So wurde sie unter anderem fränkische U20-Poetry-Slam-Meisterin und bayrische Vizemeisterin. Trotzdem ist ihr der Wettbewerb ziemlich egal:

"Der Wettbewerb ist vor allem, um es spannender zu machen fürs Publikum. Wir alle freuen uns einfach, auftreten zu dürfen. Es ist völlig egal, wer da gewinnt."

2018 erhielt Lara Ermer den Kulturförderpreis der Stadt Fürth. Und jetzt ist sie auch "Künstlerin des Monats März 2019 der Metropolregion Nürnberg". In der Begründung heißt es: "Ihre Themen sind aktuell und gesellschaftlich relevant, wie zum Beispiel ihr Text über das Polizeiaufgabengesetz. Derzeit beschäftigt sie sich viel mit Emanzipation und Feminismus und mit Themen, die man durchaus als unangenehm empfindet und die mit Scham besetzt sind, wie zum Beispiel Menstruation und Sexualität." Auch beim Charity-Slam spricht Lara gemeinsam mit Slam-Kollegin Theresa Reichl über Frauen:

"Frauen sind nicht immer zart und auch nicht immer reinlich. Manchmal sind wir derb und hart und gelegentlich auch peinlich. Außer wir! Wir sind nie peinlich. Manchmal sind Körper lästig, das gehört zum Leben wohl dazu. Doch von dem was uns beschäftigt, ist heute noch viel zu viel tabu. Für so vieles Alltäglich' müssen wir uns noch genieren. Ist es so eben unmöglich, sich vollends selbst zu akzeptieren. Du bist es wert, dass man dich hört. Denn seltsam bist du nicht. Es wird normal, was zwickt und stört, wenn man nur mal drüber spricht."